Arzneimittel und Therapie

Nahrungsmittelallergien und atopische Dermatitis – ein Wechselspiel

Wie beide Erkrankungen zusammenhängen und wie man vorbeugen kann

Eine atopische Dermatitis geht oft mit einer Sensibilisierung oder Allergie gegen Nahrungsmittel einher und umgekehrt. Das ist lange bekannt. Neu sind eine Studie zum konkreten Ausmaß dieser Ko-­Erkrankungen und aktuelle Empfehlungen, um Allergien und Ekzemen vorzubeugen. Hier kommt auch die erweiterte Hypothese der dualen Allergenexposition ins Spiel. Denn für Sensibilisierung oder Toleranz ist ausschlaggebend, wie der Erstkontakt mit Allergenen erfolgt – oral, dermal oder inhalativ.

Mit der atopischen Dermatitis steigt auch das Risiko für Immunglobulin-E­(IgE)-vermittelte Nahrungsmittel­allergien. Diese sind bei 30% der Kinder mit schwerer Neurodermitis nachweisbar. Daneben liegt bei den Kindern häufig eine Sensibilisierung vor allem gegen Milch- und Hühnereiweiß, Weizen und Erdnüsse vor. Ein Kontakt mit diesen Lebensmitteln kann ein Ekzem verschlechtern. Laut der Hypothese der dualen Allergenexposition spielt es eine entscheidende Rolle, über welchen Weg der Erstkontakt mit Nahrungsmittelallergenen erfolgt. Während die frühe orale Aufnahme toleranzfördernd sein kann, führt die kutane Exposition offenbar zur Sensibilisierung. Fest steht: Die Haut spielt eine entscheidende Rolle in der Pathogenese von Nahrungsmittelallergien. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis begünstigt die gestörte Schutz­barriere der Haut die Aufnahme von Reizstoffen und potenziellen Aller­genen. Es kommt dann zur Typ-2-­Immunantwort mit erhöhten IgE-Spiegeln, Eosinophilie und Infiltration mit TH2-Zellen, gefolgt von einer Nahrungsmittelallergie und anderen allergischen Erkrankungen.

Zusammenhang in Zahlen

In welchem Ausmaß atopische Dermatitis und Nahrungsmittelallergien zusammenhängen, verdeutlicht eine aktuelle Studie [1], bei der drei Gruppen im Fokus standen: Personen mit Sensibilisierung gegen Nahrungsmittel­allergene, Menschen mit Nahrungsmittelallergie (selbst berichtet oder ärztlich dokumentiert) und Patienten mit Nahrungsmittelallergie und positivem Provokationstest. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis lagen die gepoolten Prävalenzen für eine Sensibilisierung gegen Nahrungsmittelaller­gene bei 48%, für eine Nahrungsmittel­allergie bei 33% und für eine nachgewiesene Nahrungsmittelallergie bei 41%. Umgekehrt erreichte die atopische Dermatitis bei Nahrungsmittel-sensibilisierten Patienten eine Häufigkeit von 51%, bei einer Nahrungsmittel­allergie waren es 45% und bei einer Nahrungsmittelallergie mit einer provozierbaren Reaktion 55%. In der Kontrollgruppe fielen diese Anteile jeweils vier- bis fünfmal niedriger aus. Auffallend häufig traten Sensibilisierungen und Allergien in der Altersgruppe bis zwei Jahren auf. Zudem stieg die Wahrscheinlichkeit einer Sensibilisierung gegen Nahrungsmittelallergene oder einer Nahrungsmittelallergie mit dem Schweregrad der Hauterkrankung. Das weist darauf hin, dass die nicht intakte Hautbarriere bei schwerer atopischer Dermatitis eine Sensibilisierung gegenüber Nahrungsmitteln erleichtert. Doch Sensibilisierung scheint nicht nur über die Haut stattzufinden, sondern auch über die Atemwege – so die Hypothese von Forschern der University of North Carolina (siehe Abb.). Sie identifizierten die Anwesenheit von Erdnuss im Hausstaub als Risikofaktor für die Entwicklung einer Erdnussallergie [4]. Ob eine Sensibilisierung letztlich allein über einen oder über kombinierte Wege – Haut und Atemwege – stattfindet, ist gegenwärtig unbekannt und bleibt Gegenstand zukünftiger Forschung.

 

Abb.:Erweiterte Hypothese der dualen Allergenexposition mit den Atemwegen als möglichem Expositionsweg, am Beispiel der Erdnussallergie. Erdnussallergene gelangen gemeinsam mit einem Adjuvans in die Atemwege oder bei atopischer Dermatitis durch die Haut, worauf der Körper mit einer erhöhten Zytokin-Produktion (Interleukine [IL], Thymus-Stroma-Lymphopoietin [TSLP]) reagiert. Dendritische Zellen nehmen die Allergene auf, migrieren in Lymphknoten und präsentieren dort naiven CD4-positiven T-Zellen das Allergen. Diese T-Zellen werden aktiviert, produzieren TH2-Zytokine und signalisieren B-Zellen, Erdnuss-spezifisches Immunglobulin E (IgE) zu bilden. Anders verhält es sich im Gastrointestinaltrakt nach oraler Exposition. Erdnussallergene werden dort zwar ebenfalls von dendritischen Zellen aufgenommen, die in Lymphknoten wandern und sie naiven CD4-positiven T-Zellen präsentieren, aber diese T-Zellen differenzieren sich zu regulatorischen T-Zellen, was schließlich zur Toleranz führt (modifiziert nach [4]).

Präventionsstrategien

Nur wenn eine Nahrungsmittel­allergie eindeutig durch einen positiven oralen Provokationstest nach­gewiesen wurde, sollte eine gezielte Eliminationsdiät erfolgen. Hingegen rechtfertigt eine alleinige Sensibilisierung gegen ein Lebensmittel keine Karenzmaßnahmen. Auch die S3-Leitlinie „Allergieprävention“ setzt längst schon nicht mehr auf Nahrungsmittelkarenz in den ersten Lebensmonaten. Empfohlen wird vielmehr eine frühe umfangreiche Einführung der Beikost nach dem abgeschlossenen vierten Lebensmonat mit Vollkorn, Gemüse, Sauermilchprodukten wie Joghurt, aber auch Fisch, einer begrenzten Menge Milch (bis zu 200 ml pro Tag) sowie durcherhitztem (z. B. verbackenem oder hart gekochtem) Hühnerei [11]. Die Vielfalt auf dem Speiseplan ist laut neueren Studien vor allem im ersten Jahr protektiv und führt seltener zu atopischer Dermatitis, Nahrungsmittelallergien und allergischen Atemwegserkrankungen.

Eine frühe orale Einführung aller­gener Lebensmittel kann jedoch nicht alle Patienten mit atopischer Derma­titis ausreichend vor einer Nahrungsmittelallergie schützen. So weisen vor allem Säuglinge und Kleinkinder mit schweren Ekzemen in den ersten sechs Lebensmonaten und schlechtem Therapieansprechen oder mit einem exsudativen Ekzem im Gesicht eine erhöhte Allergieneigung auf. Der Prävention dient dann eine frühe intensivierte Neurodermitis-Therapie mit topischen Corticosteroiden. Laut den Ergebnissen einer japanischen Studie mit 640 Säuglingen besserten sich die Hautsymptome unter einer erweiterten proaktiven Anwendung von topischen Corticosteroiden im Vergleich zu einer Gruppe mit der konventionellen reaktiven Therapie. Auch trat bei den intensiv behandelten Säuglingen mit atopischer Dermatitis eine Hühner­ei­allergie seltener auf (31,4% versus 41,9%). Allerdings ging ein gut ge­steuertes Dermatitis-Management zugleich mit Wachstumsverzögerungen und damit mit nicht zu vernachlässigenden Sicherheitsrisiken einher. Als weitere Präventionsstrategie gilt: Keine Haut­pflegeprodukten auf Lebensmittelbasis (z. B. Ziegenmilch, Erdnuss, Hafer oder Weizen) auf entzündeter Haut verwenden. Denn hier können diese Pflegeprodukte eine systemische Sensibilisierung auf die entsprechenden Lebensmittel hervorrufen und letztlich schwere Nahrungsmittelallergien auslösen (s. DAZ 2022, Nr. 47, S. 24). |

Literatur

[1] Christensen MO et al. Prevalence of and association between atopic dermatitis and food sensitivity, food allergy and challenge-proven food allergy: A systematic review and meta-analysis. J Eur Acad Dermatol Venereol 2023;37(5):984-1003, doi: 10.1111/jdv.18919

[2] Miyaji Y et al. Earlier aggressive treatment to shorten the duration of eczema in infants resulted in fewer food allergies at 2 years of age. J Allergy Clin Immunol Pract 2020;8(5):1721-1724.e6, doi: 10.1016/j.jaip.2019.11.036

[3] Yamamoto-Hanada K et al. Enhanced early skin treatment for atopic dermatitis in infants reduces food allergy. J Allergy Clin Immunol 2023;S0091-6749(23)00331-7, doi: 10.1016/j.jaci.2023.03.008

[4] Kulis MD et al. The airway as a route of sensitization to peanut: An update to the dual allergen exposure hypothesis. J Allergy Clin Immunol 2021;148(3):689-693; doi: 10.1016/j.jaci.2021.05.035

[5] Lack G. Update on risk factors for food allergy. J Allergy Clin Immunol 2012;129(5):1187-1197, doi: 10.1016/j.jaci.2012.02.036

[6] Worm M et al. Frequency of atopic dermatitis and relevance of food allergy in adults in Germany. Acta Derm Venereol 2006;86(2):119-122, doi: 10.2340/00015555-0028

[7] Bublak R. Hautexposition triggert Nahrungsallergie. MMW Fortschr Med 2018;160(13):14, doi: 10.1007/s15006-018-0742-3

[8] Klein S. DDG Derma 2023: Aktuelles zu Prävention und Therapie der atopischen Dermatitis. Gelbe Liste, 4. Mai 2023, www.gelbe-liste.de/dermatologie/aktuelles-atopische-dermatitis

[9] Engemann I. Erweiterte Behandlung mit topischen Kortikosteroiden bei Säuglingen mit AD? Gelbe Liste, 26. April 2023, www.gelbe-liste.de/dermatologie/topische-kortikosteroide-saeuglinge-atopische-dermatitis

[10] Ranft D. Eine Einheit aus Ekzem und Allergie. Medical Tribune, 19. Mai 2023, www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/eine-einheit-aus-ekzem-und-allergie

[11] Allergieprävention. S3-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ), AWMF-Registernr. 061-016, Stand: 11. November 2022

[12] Neurodermitis. S2k-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e. V., AWMF-Registernr. 013-027, Stand: 31. März 2015

[13] Winterhagen I. Allergiegefahr durch Ziegenmilch: Hautpflegeprodukte können sensibilisieren. DtschApothZtg 2022;162(47):24

[14] Fechte S. Neurodermitis: Mehr cremen zur Allergieprävention? Pharmakotherapie, 24. Mai 2023, pharmakotherapie.blog/2023/05/24/neurodermitis-mehr-cremen-zur-allergiepraevention/

Apothekerin Dr. Ines Winterhagen

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