Technologie

Beschleunigte Stabilitätsuntersuchungen dank Mechanochemie

Mit neuem Verfahren könnten zulassungsrelevante Daten schneller generiert werden

Stabilitätsdaten sind im Rahmen der Zulassung neuer Arzneimittel unerlässlich. Um sie zu generieren, bedarf es allerdings sehr viel Zeit. Daher haben Wissenschaftler ein neues mechanochemisches Verfahren entwickelt, das schneller zu den benötigten Ergebnissen führt.

Soll ein neues Arzneimittel von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), der Food and Drug Adminis­tration (FDA) oder von nationalen Behörden zugelassen werden, müssen Stabilitätsdaten vorgelegt werden. Die entsprechenden Untersuchungen hierfür müssen den Q1-Richtlinien des „International Council for Harmoni­sation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use“ (ICH) folgen, und zwar nicht nur für den Arzneistoff, sondern auch für das Arzneimittel. Sie sind sehr zeitaufwendig und bergen immer das Risiko, dass beispielsweise am Ende einer Langzeitstudie unerwartete Zersetzungs- bzw. Reaktionsprodukte entdeckt werden, was den Zulassungs­prozess gefährden kann. Deshalb hat in den letzten Jahren ein Konsortium von Forschern des Leibniz-Instituts für Katalyseforschung in Rostock, des Unternehmens RD&C-Research in Wien, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ein alternatives Verfahren auf Grundlage der Mechanochemie entwickelt. Mit diesem können Stabilitätsstudien schneller und reproduzierbar durchführt werden. Die im Grunde uralte Methode der Mechanochemie, die mit dem Mörsern verglichen werden kann, hat in den letzten 30 Jahren großen Aufschwung in der organischen und anorganischen Chemie genommen. Sie bedient sich einer Kugelmühle, in der (Stahl-)Kugeln in einem Mahlbecher beschleunigt werden, wodurch auf das Mahlgut kinetische Energie übertragen wird, die dann wiederum Reaktionen in Gang setzen kann. Man kann die Mechanochemie als grüne Chemie betrachten, da bei ihr keine Lösungsmittel eingesetzt werden (s. Kasten „Hintergrund zur Mechanochemie“).

Die zu prüfenden Arzneimittel, z. B. in Form von Pulvern oder Tabletten, werden in der Kugelmühle gemahlen und zeitabhängig Proben entnommen, um zu prüfen, ob Zersetzungs- oder Reaktionsprodukte entstanden sind.

Hintergrund zur Mechanochemie

Foto: Serhiy/AdobeStock

dab | Bei der Mechanochemie macht man sich zunutze, dass chemische Reaktionen und chemisch-physika­lische Umwandlungen durch mech­anische Energie ausgelöst werden können. Lösungsmittel benötigt man hierfür nicht, zudem wird Energie gespart, was die Mechanochemie als nachhaltige Methode interessant macht. Obwohl mechanochemische Reaktionen schon in der Antike beschrieben wurden, gewann die Methode erst in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt an Bedeutung. Als Reaktoren werden häufig Mühlen, insbesondere Kugelmühlen, verwendet. Die Mahlkörper bestehen dabei beispielsweise aus Stahl oder Zirkoniumdioxid. Werden Kugeln als Mahlkörper eingesetzt (s. Abb.), weisen diese meist eine Größe von fünf bis 30 mm auf. Je nach Art des Reaktors wirken durch Schlag-, Druck-, Prall- und Scherprozesse verschiedene Kräfte auf das Mahlgut. Neben der Zerkleinerung des Mahlguts werden auch chemische Bindungen gebrochen und neu geknüpft, dadurch sind mithilfe mechanochemischer Verfahren nicht nur Zersetzungsreaktionen, sondern auch Synthesen möglich, z. B. anorganische, organische, Komplex- und Polymersynthesen [3].

Studie mit Clopidogrel und Co.

Aber eins nach dem anderen: Vor gut 15 Jahren haben Buschmann und Handler nach einer ersten sichtenden Studie ein internationales Patent mit der Nummer WO 2018/096066 A1 unter dem Namen „Mechanochemical Process in a Solid State Reaction“ angemeldet, in dem sie zum ersten Mal Clopidogrel-Hydrogensulfat einem Kugelmühlenprozess unterzogen haben. Dabei konnten sie die Entstehung von Zersetzungsprodukten beobachten. Dies war der Ausgangspunkt für das Konsortium, eine detaillierte Proof-ofConcept-Studie durchzuführen. In einem ersten Schritt wurde Clopido­grel unter oxidativen Bedingungen gemahlen, und zwar in Gegenwart von Kaliumpermanganat, Kaliumnitrat bzw. Oxone® (Kaliumperoxymono­sulfat) in einem Zirkonoxid-Gefäß mit einer Mahl-Frequenz von 30 Hz für nur 15 Minuten. Mittels Hochleistungs­flüssigkeitschromatographie-Massenspektrometrie (HLPC-MS) sowie Infrarot(IR)- und Kernspinresonanz(NMR)-Spektroskopie konnten auf diese Weise fünf Reaktionsprodukte identifiziert werden, die je nach Methode in unterschiedlichen Mengen entstanden ­waren [1]. In einem nächsten Schritt wurde dann nicht nur Clopidogrel-­Hydrogensulfat, sondern auch Ticlo­pidin­-Hydrochlorid und Prasugrel­-Hydrochlorid untersucht [2]. Alle bilden strukturell ähnliche Reaktionsprodukte, das heißt N-Hydroxy-Derivate, eine Endo-Iminium-Spezies und der Stickstoff wird häufig oxidiert. Interessant ist, dass Ticlopidin und Prasugrel, die als Hydrochlorid vorliegen, am ­Thiophenring chloriert werden.

Außerdem wurden Clopidogrel-Tabletten (Plavix®) als Ganzes mechano­chemisch mit Oxone® gestresst sowie der Arzneistoff in Gegenwart der Einzelkomponenten der Formulierung. Die in Plavix® enthaltenen Hilfsstoffe Mannitol, Cellulose, hydriertes Castor-Öl, Macrogol 6000 und Hypromellose haben das Clopidogrel-Zersetzungsprofil prinzipiell nicht verändert, allerdings wurde der Ester eines Zersetzungsproduktes durch Cellulose und Mannitol hydrolysiert. Ein ähn­liches Verhalten wurde auch für Efient®, das Prasugrel enthält, und Ticlopidin-­neuraxpharm® beobachtet. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die hochauflösenden Massenspektren mit einem Quadrupol-Flugzeitmassenspektrometer (QTOF) gemessen wurden, das eine exakte Masse messen kann, mittels derer man die Summenformel bestimmen und mithilfe von Fragmentierungsberechnungen auf die Struktur rückschließen kann.

Weitere Untersuchungen laufen

Viele Studien, die nach Zersetzungsprodukten suchen, werden in wässrigen Lösungen durchgeführt, was nicht den Gegebenheiten in einer Tablette entspricht, und dauern zumeist Monate. Insofern ist die hier vorstellte Vorgehensweise nahe an der Lager-Realität und dauert nur wenige Minuten. Um die mechanochemischen Stabilitätsuntersuchungen auf eine breitere Basis zu stellen, werden derzeit weitere Arzneistoffe und Arzneimittel untersucht. Die Publikationen sind bereits in Arbeit. |

 

Literatur

[1] Kaiser RP, Krake EF, Backer Let al. Ball milling – a new concept for predicting degradation profiles in active pharmaceutical ingredients. Chem Commun 2021;57:11956-11959, doi: 10.1039/D1CC04716G

[2] Krake EF, Backer L, Andres B et al. Mechanochemical Oxidative Degradation of Thienopyridine Containing Drugs: Toward a Simple Tool for the Prediction of Drug Stability. ACS Central Sci 2023, doi: 10.1021/acscentsci.3c00167

[3] Reschetilowski W (Hrsg.). Handbuch Chemische Reaktoren. Chemische Reaktionstechnik: Theoretische und praktische Grundlagen, Chemische Reaktionsapparate in Theorie und Praxis. Springer Spektrum, Berlin 2020

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Würzburg

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