Arzneimittel und Therapie

Negative Schlagzeilen für niedrig dosierte ASS

Anämie- und Eisenmangelrisiko bei älteren Menschen erhöht

Die Liste potenziell negativer Folgen einer Langzeiteinnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) wird immer länger. So deckte eine Post-hoc-Analyse der ASPREE-Studie neben den bereits bekannten Blutungsrisiken einen bislang nicht erfassten Nachteil auf: Für ältere gesunde Menschen steigt nach einer mehrjährigen Einnahme des Thrombozytenaggregations­hemmers auch das Anämie- und Eisenmangelrisiko.
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In der ASPREE-Studie (ASPirin in Reducing Events in the Elderly), einem US-amerikanischen und australischen Forschungsprojekt, wurden die Auswirkungen einer langjährigen Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure im Hinblick auf verschiedene Endpunkte untersucht. Der erhoffte Benefit blieb indes aus (s. Kasten „Die ASPREE-Studie“). Die vorliegenden Daten wurden nun erneut analysiert und zwar hinsichtlich der Frage­stellung, ob die langjährige Einnahme von niedrig dosierter ASS bei gesunden Älteren den Eisenstoffwechsel, ­genauer gesagt das Anämie- und Eisen­mangelrisiko, beeinflusst. Diese Frage ist insofern von Bedeutung, als rund 30% der weltweiten Bevölkerung im Alter von mindestens 75 Jahren eine Anämie aufweisen. Anämien sind bei Älteren unter anderem mit Fatigue, kognitiven Störungen und depressiver Symptomatik assoziiert. Die häufigste Ursache einer Anämie ist ein Eisenmangel, bei etwa einem Drittel der Fälle ist der Auslöser der Anämie nicht bekannt. Da ASS zu okkulten Blutverlusten führen kann, könnte auch eine langfristige Einnahme des Thrombozytenaggregationshemmers eine Anämie hervorrufen. Um diese Hypothese zu untersuchen, wurden die Daten der ASPREE-Studie herangezogen. In die doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Studie waren knapp 20.000 Menschen im Alter von 70 Jahren (bei afroamerikanischer oder hispano-afrikanischer Abstammung > 65 Jahren) oder älter eingeschlossen, die täglich 100 mg ASS in magensaftresistenter Formulierung oder ein Placebo eingenommen hatten. Aus den vorliegenden Daten gingen unter anderem die jährlich gemessenen Hämoglobin-Konzentrationen und die zu Beginn der Studie und nach drei Jahren ermittelten ­Ferritin-Spiegel hervor.

Die ASPREE-Studie

An der ASPREE-Studie nahmen 19.114 Probanden aus den USA und Australien im Alter von mindestens 70 Jahren (Farbige und Hispanics über 65 Jahre) ohne kardiovaskuläre Erkrankungen, Demenz und Mobilitätseinschränkungen teil. Ein Teil der Probanden erhielt täglich 100 mg Acetylsalicylsäure als magensaftresistente Tablette, der andere Teil ein Placebo. Als Endpunkte untersucht wurden Mortalität, kardiovaskuläre Erkrankungen, dauerhafte körperliche Einschränkungen, Demenz sowie schwere intrakranielle und ­gastrointestinale Blutungen. Im Me­dian wurden die Studienteilnehmer 4,7 Jahre nachbeobachtet. Die Ergebnisse zeigten Folgendes:

  • Im untersuchten Patientenkollektiv verlängerte die Einnahme von ASS das Überleben ohne Demenz oder dauerhafte körperliche Einschränkung nicht. Die Rate an schweren Blutungen war unter ASS signifikant höher als unter Placebo.
  • Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen war nicht signifikant verringert.
  • Die Gesamtmortalität war unter der ASS-Einnahme im Vergleich zu Placebo erhöht und stand primär mit Krebs-bedingten Todesfällen im Zusammenhang. Die Studien­autoren mahnten allerdings, dieses unerwartete Ergebnis mit Vorsicht zu interpretieren.

Risikosteigerung um 20%

In der ASS-Gruppe wurden 51,2 An­ämien pro 1000 Personenjahre festgestellt, in der Placebogruppe waren es 42,9 (Hazard Ratio = 1,20; 95%-Kon­fidenzintervall [KI] = 1,12 bis 1,29), was einer Risikoerhöhung um 20% entspricht. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von fünf Jahren eine Anämie zu erleiden, lag in der ASS-Gruppe bei 23,5% und in der Placebogruppe bei 20,3%. Die Hämoglobin-Konzentration nahm innerhalb von fünf Jahren in der Placebogruppe um durchschnittlich 3,6 g/l ab. In der ASS-Gruppe sank sie im Vergleich zu Placebo um weitere 0,6 g/l pro fünf Jahre. Bei 7139 Teilnehmern, bei denen die Ferritin-Spiegel zu Studienbeginn und im dritten Jahr bestimmt wurden, zeigte sich, dass die Prävalenz von Ferritin-Werten unter 45 µg/l im dritten Jahr in der ASS-Gruppe höher war als in der Placebogruppe. In der ASS-Gruppe unterschritten 13% der Probanden diesen Wert im Vergleich zu 9,8% in der Placebogruppe. Die Anämie war nicht auf signifikante Blutungsereignisse zurückzuführen und vermutlich einem okkulten Blutverlust geschuldet.

Überwachung der Hämoglobin-Konzentration empfohlen

Aufgrund dieser Ergebnisse kommen die Studienautoren zu dem Schluss, dass die langfristige Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure die Häufigkeit von Anämien erhöht und zu einer Abnahme der Ferritin-Spiegel führt. Bei älteren Menschen, die niedrig dosiertes ASS einnehmen, sollte daher der Hämoglobin-Wert ­periodisch überwacht werden. Zudem sollte laut den Autoren die Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure auf evidenzbasierte Indikationen beschränkt werden. In den USA wird ASS von etwa der Hälfte der älteren Bevölkerungsschicht eingenommen – teilweise auf Verschreibung, aber auch als Präventionsmaßnahme aus Eigeninitiative. Die Studienautoren gehen davon aus, dass sich die Einnahme von niedrig dosierter ASS bei älteren Menschen verringern wird, nachdem sich die US Preventive Services Task Force im Jahr 2022 gegen eine Primärprävention mit dem COX-­Hemmer bei Personen ≥ 60 Jahren ausgesprochen hat. |
 

Literatur

McNeil JJ et al. Effect of Aspirin on Disability-free Survival in the Healthy Elderly. N Engl J Med 2018;379:1499-1508, doi: 10.1056/NEJMoa1800722

McNeil JJ et al. Effect of Aspirin on Cardiovascular Events and Bleeding in the Healthy Elderly. N Engl J Med 2018;379:1509-1518, doi: 10.1056/NEJMoa1805819

McNeil JJ et al. Effect of Aspirin on All-Cause Mortality in the Healthy Elderly. N Engl J Med 2018;379:1519-1528, doi: 10.1056/NEJMoa1803955

McQuilten ZK et al. Effect of Low-Dose Aspirin Versus Placebo on Incidence of Anemia in the Elderly: A Secondary Analysis of the Aspirin in Reducing Events in the Elderly Trial. Ann Intern Med 2023, doi: 10.7326/M23-0675

Ragan K. Aspirin Warning: Anemia May Increase With Use. Nachricht von Medscape, 20. Juni 2023, www.medscape.com/viewarticle/993420#vp_1

US Preventive Services Task Force. Aspirin Use to Prevent Cardiovascular Disease: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA 2022;327(16):1577-1584, doi:10.1001/jama.2022.4983

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

Kontrolle ist besser

Ein Gastkommentar

Prof. Dr. med. Thomas Herdegen Facharzt für experimentelle Pharmakologie, stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie an der Universität Kiel

Die aktuelle Post-hoc-Analyse der ASPREE-Studie widmete sich der Frage, inwieweit Low-Dose-Acetyl­salicylsäure (ASS 100 mg täglich als magensaftresistente Tablette) die Hämoglobin-Konzentration und den Ferritin-Spiegel beeinflusst, beides Marker für eine Anämie. In gesunden Probanden erhöhte ASS im Vergleich zu Probanden ohne ASS die Inzidenz einer Anämie um 8,3 Fälle pro 1000 Patientenjahre, verminderte die Hämoglobin-Konzentration um zusätzlich 0,6 g/l in fünf Jahren sowie die Wahrscheinlichkeit einer Abnahme von Ferritin.

Was bedeuten diese Daten? Generell belegt das ASPREE-Programm, dass eine Gabe von 100 mg ASS pro Tag keinen Nutzen für das Entstehen kardiovaskulärer Erkrankungen hat. Das ist nicht weiter überraschend, es gibt schon seit Langem Daten zum Risiko von ASS als Primärtherapeutikum. Aber: Diese Daten dürfen nicht dazu führen, dass bei kardiovaskulären Patienten mit arteriellen Thromboembolien keine ASS oder andere Thrombozytenaggregationshemmer (kein relevanter Unterschied im Blutungsrisiko z. B. zu Clopidogrel) gegeben werden. Thrombozytenaggregationshemmer werden bei Älteren immer – zumeist über Mikro- und Makroblutungen – die Hämoglobin-Konzentration und den Ferritin-Wert senken. Wer Gerinnung hemmt, riskiert Blutungen. Aber diese Nebenwirkungen, die sich erfassen und beheben lassen (z. B. mit duodenal resorbierbarem Eisen, nüchtern abends und/oder morgens) sind weniger lebensbedrohlich als ein kardialer Reinfarkt. Und regelmäßige Labor­kontrollen der Blutwerte gehören zu einer guten ärztlichen Begleitung von ­kardiovaskulären Patienten dazu.

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