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Lessons learned?

Foto: Philip Kottlorz Fotografie

Julia Borsch, Chefredakteurin der DAZ

Als im Juli 2018, also vor fünf Jahren, die ersten Rückrufe Valsartan-haltiger Fertigarzneimittel bekannt wurden, ahnte wohl kaum jemand, was für eine Lawine in den folgenden Monaten über uns hinwegrollen würde. Der Grund für den Rückruf – wir erinnern uns – war eine „produktionsbedingte Verunreinigung des Wirkstoffs mit N-Nitrosodimethylamin“. Betroffen waren alle Arzneimittel, deren Wirkstoff von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produziert wurde. Und das waren viele. In den Wochen und Monaten nach dem ersten Rückruf kamen weitere, gefühlt im Stundenrhythmus – erst Valsartan, später weitere Sartane. Was es bedeutet, wenn die Arzneimittelproduktion der ganzen Welt nur von wenigen Wirkstoffproduzenten abhängt, wurde im Zuge des „Valsartan-Skandals“ mehr als deutlich. Die Pharmaunternehmen, die weiterhin liefern konnten, weil ihre Wirkstoffe aus anderen Quellen stammten, ließen sich an einer Hand abzählen.

Eine neu aufgesetzte Analytik förderte dann relativ bald zutage, dass auch in zahlreichen anderen nicht Sartan-haltigen Fertigarzneimitteln Nitrosamine nachweisbar waren. Schnell wurde klar: Die Verunreinigungen waren nicht neu, man hatte nur bislang nicht danach gesucht. Denn sie können nicht nur wie bei den Sartanen während der Synthese entstehen, sondern auch an vielen anderen Stellen über die Lebenszeit eines Arzneimittels, zum Beispiel bei der Lagerung. Zudem können auch recycelte Materialien wie Lösungsmittel, Synthese-Ausgangsmaterialien oder Trinkwasser mit Nitrosaminen kontaminiert sein.

Die Apotheken vor Ort stellten während dieser Zeit einmal mehr unter Beweis, wie unersetzlich sie in diesem System sind. Denn auch wenn keine Rückrufe auf Patientenebene erfolgten, war die Botschaft von mit einer möglicherweise krebserregenden Substanz verunreinigten Arzneimitteln in allen Medien. Entsprechend groß war die Panik unter denen, die diese Mittel seit Jahren einnahmen. Für viele Patientinnen und Patienten war die erste Anlaufstelle die Apotheke vor Ort. Dort wurden sie nicht nur aufgeklärt und beruhigt, sondern es wurden auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, Ersatzpräparate zu organisieren.

Heute, fünf Jahre später, stellen wir uns die Frage, ob wir aus der ganzen Sache etwas gelernt haben. Die Antwort von Professorin Ulrike Holzgrabe (s. S. 52) ruft sehr gemischte Gefühle hervor. Denn dass alle Prozesse nicht nur rund um die Herstellung von Wirkstoffen und Hilfsstoffen, sondern auch um die Formulierung und Verpackung zum Fertigprodukt nun genauer analysiert werden, ist auf jeden Fall ein Resultat der „Valsartan-Krise“. In diesem Punkt hat sich die Arzneimittelsicherheit klar verbessert. Es wird aber auch deutlich, dass Nitrosamine nur eines von vielen möglichen Problemfeldern sind. Von anderen wissen wir möglicherweise einfach nur nichts, weil danach nicht gezielt gesucht wird. Es bleibt also abzuwarten, was die neuen Auf­lagen zur Risikobewertung der EMA, die als Konsequenz aus der „Valsartan-Krise“ etabliert wurden, noch zu Tage fördern. Daran, wie mit solchen Auffälligkeiten umgegangen wird – ignorieren wie die ersten Anzeichen der Nitrosamin-Verunreinigungen in China oder analytisch nachgehen – lässt sich dann bemessen, welche Lerneffekte die Krise wirklich hervorgerufen hat.

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