Arzneimittel und Therapie

Lichtexposition mit schmerzhaften Folgen

Krankheitsbild und Behandlung der erythropoetischen Protoporphyrie

Die einen lieben sie, die anderen meiden sie – die Sonne. Der Grund: Die Lichtexposition kann unerträgliche Schmerzen auf der Haut hervorrufen. Dann liegt möglicherweise eine erythropoetische Protoporphyrie vor und es stellen sich zahlreiche Fragen. Was sind typische Symptome? Gibt es hilfreiche Therapieoptionen? Ist ein beschwerdefreier Aufenthalt im Freien möglich und wenn ja, wie?

Die erythropoetische Protoporphyrie (EPP) ist eine seltene, erblich bedingte Stoffwechselerkrankung. Sie geht einher mit einer gestörten Bildung von Häm, einem wichtigen Bestandteil des Hämoglobins in den Erythrozyten ­sowie des Muskelfarbstoffs Myoglobin. Bei der erythropoetischen Protoporphyrie besteht ein Defekt des Enzyms Ferrochelatase, das Eisen in Protoporphyrin einfügt. Der Körper ist somit nicht in der Lage, Häm regulär zu bilden. Die Folge: Es kommt im Knochenmark zur Überproduktion von metallfreiem Protoporphyrin, einer Häm-Vorstufe. Protoporphyrin reichert sich ebenfalls an, wenn ein Problem im ersten Schritt des Häm-Synthesewegs vorliegt. Ursache ist dann eine hohe Aktivität des Enzyms Delta-Amino­lävulinsäure-Synthase-2 (ALAS2), und es kann sich eine sogenannte X-chromosomal-dominante Protoporphyrie (XLPP) ausbilden mit übermäßigem Zink-Protoporphyrin.

Foto: Günter Albers/AdobeStock

Sonnenlicht, aber auch künstliches Licht, kann bei Patienten mit erythropoetischer Protoporphyrie starke Schmerzen auslösen. Für die Betroffenen gilt, Sonnenlicht möglichst zu meiden.

Die erythropoetische Protoporphyrie und X-chromosomal-dominante Protoporphyrie sind sehr seltene Erkrankungen. Die Prävalenz in der weißen Bevölkerung liegt bei 1 : 75.000 bis 1 : 200.000. Die ersten Symptome können bereits im frühen Kindesalter, also schon bei Säuglingen, nach der ersten Sonnenlichtexposition auftreten. An allen lichtexponierten Hautarealen kommt es unter Sonneneinstrahlung, meist im Frühjahr und im Sommer, zu Sonnenbrand-ähnlichen, phototoxischen Reaktionen. Kribbeln, Brennen und Juckreiz gehen starken, quälenden Schmerzen voraus. Darüber hinaus bilden sich Erytheme und ödematöse Schwellungen, vor allem an den Händen und im Gesicht. Bei vielen Betroffenen sieht die Haut jedoch völlig normal aus ohne Entzündungs- und Schwellungszeichen, dennoch leiden sie unter starken Schmerzen. Die Seltenheit der Erkrankung sowie die teilweise unsichtbaren Sym­ptome sind die Gründe, warum die Diagnose oft erst sehr spät gestellt wird.

Übeltäter Protoporphyrine

Zur Diagnose der erythropoetischen Protoporphyrie führen erhöhte Protoporphyrin-Spiegel in Plasma und Erythrozyten. Bei dieser Erkrankung ist das metallfreie Erythrozyten-Protoporphyrin erhöht, bei der X-chromosomal-dominanten Protoporphyrie das Zink-Protoporphyrin. Genetische Analysen bestätigen die Ergebnisse (EPP: Mutation des FECH-Gens, XLPP: Mutation des ALAS2-Gens). Einen frühen Hinweis auf die Erkrankung kann ein auffälliges Vermeidungsverhalten gegenüber Sonnenlicht geben.

Verantwortlich für die extreme Lichtempfindlichkeit sind die Protoporphyrine. Sie akkumulieren im Knochenmark und in den Erythrozyten, gelangen ins Plasma und werden in der Haut abgelagert. Dort führt dann eine Exposition gegenüber sichtbarem Licht zur Bildung von Sauerstoffradikalen, die Entzündungen, Zellschädigung und starke Schmerzen verursachen. Die Haut der Betroffenen reagiert am empfindlichsten auf blaues sichtbares Licht im Bereich der Wellenlänge von etwa 400 nm, dem Hauptabsorptionsspektrum von Protoporphyrin. Die Zeit bis zum Auftreten der Beschwerden variiert individuell von wenigen Minuten bis zu einer Stunde. Zu beachten gilt: Auch künstliches Licht kann Schmerzen und Phototoxizität auslösen. Nach wiederholter Exposi­tion treten mitunter chronische Hautveränderungen auf wie eine Licheni­fikation, also Vergröberung des Haut­reliefs, abweichende Pigmentierung und wachsartige Haut. Neben den Hautsymptomen entstehen bei einem Viertel der Patienten bereits in jungem Alter Gallensteine, wenn Protoporphyrin vermehrt über die Leber an die Galle abgegeben wird. Bis zu 5% der Betroffenen entwickeln darüber hinaus schwere Leberfunktionsstörungen.

Management und bisherige Behandlung

Die wichtigste Präventivmaßnahme ist das Meiden von Sonnenlicht, was aber die normalen täglichen Aktivitäten einschränkt und die Lebensqualität enorm reduziert. Zudem sollten Betroffene langärmelige und dicht gewebte Kleidung tragen (u. a. Handschuhe, Hut, geschlossene Schuhe). Erforderlich ist auch eine Mikropigment-haltige Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor im UV-A-Bereich, welche allerdings die auslösenden Wellenlängen nicht ausreichend abdeckt. Da Fensterscheiben (Auto, Haus) ebenfalls keinen ausreichenden Schutz bieten, sind Filter gegen Blaulicht ratsam.

Einen kurativen Ansatz bei erythro­poetischer Protoporphyrie und X-chromosomal-dominanter Protoporphyrie gibt es derzeit nicht. Bereits vorhandene Symptome klingen beim Aufenthalt in dunklen, kühlen Räumen innerhalb von Stunden bis Tagen wieder ab. Die Empfehlungen zu kalten Kompressen sowie topischen und/oder oralen Corticosteroiden sind hingegen widersprüchlich. Ausreichende Evidenz für die Anwendung von Betacarotin, N-Acetylcystein, Vitamin C und Anti­histaminika wie Cimetidin zur Sym­ptomvorbeugung fehlt. Lange Zeit wurde auf UV-B-Bestrahlung gesetzt, um eine Pigmentierung der Haut zu induzieren. Seit 2014 ist Afamelanotid (Scenesse®) als einziges Präparat für Erwachsene mit erythropoetischer Protoporphyrie zugelassen. Dieser Agonist am Melanocortin-1-Rezeptor wird alle zwei Monate subkutan als Implantat verabreicht – nur von Ärzten in spezialisierten Zentren und nur in Phasen mit starker Sonnenlicht­exposition. Empfohlen werden drei Implantate pro Jahr, die Höchstzahl beträgt vier. Die Jahrestherapiekosten liegen laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss pro Patient zwischen 76.000 und 102.000 Euro (Stand Lauer-Taxe 15. Juli 2016). Afamelanotid regt in der Haut die Produktion des schwarzbraunen Pigments Eumelanin an. Somit verhindert der Wirkstoff das Eindringen von Licht in Zellen und damit die schmerzhaften Reaktionen. Gemäß der zulassungsrelevanten Studienergebnisse konnten sich die Patienten signifikant länger schmerzfrei direktem Sonnenlicht aussetzen als die unbehandelte Kontrollgruppe. Sehr häufige Nebenwirkungen unter Afamelanotid sind Übelkeit und Kopfschmerzen, häufig treten Reaktionen an der Implantationsstelle auf. Zu beachten gilt auch: Unter der Therapie lassen die Symptome nach, aber die Behandlung hat keinen Effekt auf die Protoporphyrin-Konzentration.

Orale Therapie in der Pipeline

Nun wurde kürzlich im „New England Journal of Medicine“ eine Phase-II-­Studie zu einem neuen Wirkstoff veröffentlicht. Dersimelagon ist genauso wie Afamelanotid ein Melanocortin-1­-Rezeptoragonist, der ebenfalls die Eumelanin-Spiegel erhöht, Patienten mit erythropoetischer Protoporphyrie und X-chromosomal-dominanter Protoporphyrie vor phototoxischen Zellschäden schützt und insgesamt für mehr Sonnentoleranz sorgt. Der große Vorteil: Die Substanz lässt sich oral verabreichen. Im Rahmen der Studie erhielten 102 Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren entweder Placebo oder Dersimelagon in einer Dosierung von 100 mg oder 300 mg einmal täglich über 16 Wochen. Das Ergebnis: Dersimelagon erhöhte in beiden Dosierungen signifikant den Zeitraum sym­ptomfreier Sonnenlichtexposition. Er war unter 100 mg Dersimelagon durchschnittlich 54 Minuten und unter 300 mg 63 Minuten länger als unter Placebo. Im Vergleich zu Placebo nahm unter der Einnahme von Dersimelagon auch die Anzahl von Episoden mit phototoxisch bedingtem Schmerz ab, zudem verbesserte sich die Lebensqualität der Patienten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren mild bis moderat und äußerten sich in vorübergehender Übelkeit, Kopfschmerzen und hyperpigmentierter Haut, einschließlich Sommersprossen. Mit Spannung zu erwarten sind die Ergebnisse der derzeit laufenden Phase-III-Studie, in der bereits jüngere Patienten ab zwölf Jahren einbezogen wurden und in der die Dersimelagon-Dosierung aufgrund dosisabhängig gehäufter Nebenwirkungen auf 100 mg täglich beschränkt wurde. Weiterhin gefragt sind Therapieoptionen für die ganz jungen Patienten. Und für alle Betroffenen zählt: Erythrozytenzahl und Protoporphyrin-Gehalt im Plasma sowie die Leberfunktion sollten jährlich überprüft werden. Eine Hepatitis-A- und -B-Impfung ist dringend anzuraten. Jugendliche und Erwachsene sollten möglichst auf Alkohol verzichten. Ein bei der erythropoetischen Protoporphyrie häufig vorkommender Vit­amin-D-Mangel lässt sich mit einem Vitamin-D-Präparat ausgleichen. Hingegen sollte bei auftretender An­ämie eine Eisen-Supplementierung nur nach Rat erfahrener Spezialisten erfolgen. Und schlussendlich kann eine sequenzielle Leber- und Knochenmark-Transplantation für die schwersten Verläufe der erythropoetischen Protoporphyrie mit Leberbeteiligung in Betracht gezogen werden. |

Literatur

Balwani M et al. Dersimelagon in Erythropoetic Protoporphyrias. N Engl J Med 2023;388:1376-1385, doi: 10.1056/NEJMoa2208754

Biolcati G et al. Long-term observational study of afamelanotide in 115 patients with erythropoietic protoporphyria. Br J Dermatol 2015;172(6):1601-1612, doi: 10.1111/bjd.13598

Erythropoietic protoporphyria (EPP) and X-linked erythropoietic protoporphyria (XLP). Informationen des International Porphyria Network, Stand: Mai 2021, porphyrianet.org/en/content/erythropoietic-protoporphyria-epp-and-x-linked-erythropoietic-protoporphyria-xlp

Extension Study to Evaluate Safety and Tolerability of Oral Dersimelagon (MT-7117) in Subjects With Erythropoietic Protoporphyria (EPP) or X-Linked Protoporphyria (XLP). Studienregister ClinicalTrials.gov, Registernummer: NCT05005975

Hölzle E. Photodermatosen und Lichtreaktionen der Haut, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2003

Langendonk JG et al. Afamelanotide for Erythropoietic Protoporphyria. N Engl J Med 2015;373(1):48–59, doi: 10.1056/NEJMoa1411481

Protoporphyrie, erythropoetische, autosomale Form. Informationen des Portals für seltene Krankheiten und Orphan Drugs, www.orpha.net/consor/cgi-bin/Disease_Search.php?lng=DE&data_id=11304&Disease_Disease_Search_diseaseGroup=alas2&Disease_Disease_Search_diseaseType=Gen&Disease(s)/group%20of%20diseases=Erythropoietic-protoporphyria&title=Erythropoietic-protoporphyria

Sandberg S et al. Management of severe erythropoietic protoporphyria (EPP). Webinar des International Porphyria Network, 17. März 2022, ­porphyrianet.org/en/content/ipnet-advanced-webinars-2022#wbn3

Scenesse. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, Stand: 11. April 2022, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/scenesse

The Porphyrias - introduction for non experts. Informationen des International Porphyria Network, porphyrianet.org/en/content/2021-webinar-series-porphyrias-introduction-non-experts

Zusammenfassende Dokumentation über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Afamelanotid. Gemeinsamer Bundesausschuss, 4. August 2016

Apothekerin Dr. Ines Winterhagen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.