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Arzneimittel und Therapie
Gefährliche „Zombie-Droge“ Xylazin
Beruhigungsmittel aus der Veterinärmedizin verstärkt Opioid-Effekte
In den Vereinigten Staaten scheint eine Drogenkrise auf die nächste zu folgen. Methamphetamin ist in einigen Regionen ein großes Problem. Die Crackwelle der 1980er- und 90er-Jahre wurde von der immer noch andauernden Opioid-Epidemie abgelöst. Was sich derzeit in Philadelphia und anderen Städten abspielt, ist eine Begleiterscheinung der Opioid-Plage. Aggressives Marketing von Opioiden, die von Pharmakonzernen als ohne Suchtpotenzial angepriesen wurden, führte zu leichtfertiger und übermäßiger Verschreibung der Substanzen an Millionen Amerikaner. Gleichzeitig schwemmte billiges Heroin aus Mexiko auf den amerikanischen Markt und wurde durch ebenso billiges aber deutlich stärkeres Fentanyl aus Asien ersetzt. Seit einigen Jahren sind Dealer dazu übergegangen, Opioide mit Xylazin zu strecken, das in der Veterinärmedizin als Analgetikum, Sedativum und Muskelrelaxans unter anderem bei Hunden, Katzen und Pferden eingesetzt wird [1]. Für die Anwendung am Menschen ist Xylazin nicht zugelassen. Das Arzneimittel ist billig und potenziert Opioid-Effekte. Es stimuliert im zentralen Nervensystem weit verbreitete α2-Adrenozeptoren, wodurch die Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin reduziert wird. Hierdurch kommt es zu den gewünschten dämpfenden Effekten, aber auch zu Hypotension, Atemdepression, zentralnervöser Depression und Bradykardie. Opioide haben ein ähnliches Wirkspektrum. Eine Kombination kann gefährliche synergistische Effekte hervorrufen. Zum Image als „Zombie-Droge“ passt auch, dass Abhängige, die mit Xylazin verunreinigte Opioide intravenös konsumieren, oft Ulzera und großflächige Hautnekrosen entwickeln. Hierfür ist wahrscheinlich die lokal vasokonstriktive Wirkung verantwortlich. Bei regelmäßigem Missbrauch kommt es zu dauerhaft schlecht durchbluteten Hautarealen mit beeinträchtigter Wundheilung und infiziertem Gewebe. Im schlimmsten Fall müssen betroffene Gliedmaßen amputiert werden [2, 3].
Opioid-Antagonist Naloxon unwirksam
Xylazin als Streckmittel von Opioiden scheint in Puerto Rico seinen Ursprung zu haben, wo die Substanz „Anestesia de Caballo“ (Pferdebetäubungsmittel) genannt wird. Von dort verbreitete sich die Nutzung auf dem Festland der Vereinigten Staaten. In der Drogenszene ist Xylazin unter dem Straßennamen „Tranq“ bekannt [4]. Philadelphia scheint das Epizentrum der Krise zu sein. Während dort 2015 bei nur etwa 2% der Drogentoten Xylazin gefunden wurde, waren es 2020 bereits über 25%. In fast allen dieser Fälle war außerdem Fentanyl involviert [5]. Gleichzeitig nahm auch die Gesamtzahl der Drogentoten zu [6]. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) warnte medizinisches Personal 2022 vor Xylazin als möglicher Ursache bei Drogenvergiftungen. Bei Verdacht auf eine Opioid-Überdosis wirkt der Opioid-Rezeptorantagonist Naloxon schnell und hebt die Atemdepression auf. Nicht jedoch bei einer Xylazin-Überdosis. α2-Adrenozeptorantagonisten wie Yohimbin oder Tolazolin werden zwar in der Tiermedizin eingesetzt, um die Wirkung von Xylazin aufzuheben, wurden jedoch nicht am Menschen auf ihre Sicherheit getestet [7, 8]. Die Verbreitung von Xylazin als Streckmittel von Opioiden scheint bisher größtenteils auf den nordamerikanischen Kontinent begrenzt zu sein. Ende 2022 wurde jedoch der erste Fall in Europa dokumentiert. Ein 43-jähriger Brite mit einer Vorgeschichte von Drogenmissbrauch wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden. Bei der toxikologischen Analyse seiner Körperflüssigkeiten wurde neben Fentanyl, Heroin und Cocain auch Xylazin gefunden [9]. In Europa hat die Opioid-Epidemie nie die extremen Ausmaße wie in den USA erreicht. Es ist zu hoffen, dass auch Xylazin beim ohnehin schon verheerenden Opioid-Missbrauch eine Randerscheinung bleibt. |
Literatur
[1] Greene SA, Thurmon JC. Xylazine – a review of its pharmacology and use in veterinary medicine. J Vet Pharmacol Ther 1988;11(4):295-313, doi: 10.1111/j.1365-2885.1988.tb00189.x
[2] Malayala SV et al. Xylazine-Induced Skin Ulcers in a Person Who Injects Drugs in Philadelphia, Pennsylvania, USA. Cureus 2022;14(8):e28160, doi: 10.7759/cureus.28160.
[3] Ayub S et al. Xylazine in the Opioid Epidemic: A Systematic Review of Case Reports and Clinical Implications. Cureus 2023;15(3):e36864, doi: 10.7759/cureus.36864.
[4] Ruiz-Colón K et al. Xylazine intoxication in humans and its importance as an emerging adulterant in abused drugs: A comprehensive review of the literature. Forensic Sci Int 2014;240:1-8, doi: 10.1016/j.forsciint.2014.03.015
[5] Friedman J et al. Xylazine spreads across the US: A growing component of the increasingly synthetic and polysubstance overdose crisis. Drug Alcohol Depend 2022;233:109380, doi: 10.1016/j.drugalcdep.2022.109380
[6] Johnson J et al. Increasing presence of xylazine in heroin and/or fentanyl deaths, Philadelphia, Pennsylvania, 2010-2019. Inj Prev 2021;27:395–398, doi:10.1136/injuryprev-2020-043968
[7] FDA Alerts Health Care Professionals of Risks to Patients Exposed to Xylazine in Illicit Drugs. Mitteilung der Food and Drug Administration, 8. November 2022, www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/fda-alerts-health-care-professionals-risks-patients-exposed-xylazine-illicit-drugs
[8] Rubin R. Here‘s What to Know About Xylazine, aka Tranq, the Animal Tranquilizer Increasingly Found in Illicit Fentanyl Samples. JAMA 2023;329(22):1904-1906, doi: 10.1001/jama.2023.8625
[9] Rock KL et al. The first drug-related death associated with xylazine use in the UK and Europe. J Forensic Leg Med 2023;97:102542, doi: 10.1016/j.jflm.2023.102542
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