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AMTS-Spezial

Schlucken als Qual

Was tun bei Arzneimittel-induzierter Dysphagie?

Der Schluckakt gilt als höchst komplexer physiologischer Vorgang. Genauer gesagt müssen willkürliche und unwillkürliche Abläufe von mehr als zwanzig Muskelpaaren, fünf Kranial- und drei Zervikalnerven miteinander koordiniert werden. Ihr Zusammenspiel sorgt dafür, dass Nahrung, Flüssigkeiten, Speichel und auch oral eingenommene Arzneimittel ihre Reise in den Gastrointestinaltrakt antreten können. Im Regelfall misst man dem Schlucken, welches circa 1000- bis 2000-mal am Tag stattfindet, keine große Bedeutung bei. Erst dann, wenn es nicht mehr „wie geschmiert“ läuft, rückt Schlucken ins Bewusstsein. Neben einigen, meist neurologischen, Erkrankungen und muskulären Fehlfunk­tionen erschweren anatomische Besonder­heiten diesen Prozess. Im folgenden Artikel soll den medikamentösen Auslösern von Schluckstörungen, den sogenannten Arzneimittel-induzierten Dysphagien, Aufmerksamkeit geschenkt werden. | Von Verena Stahl

Nicht richtig Schlucken zu können ist mitunter sehr gefährlich: So entwickelt etwa jeder fünfte Patient in den ersten Tagen nach einem Schlaganfall eine Aspirationspneumonie infolge von Verschluckens. Diesbezügliche Todesfälle stellen die häufigste Todesursache im ersten Jahr nach dem Schlaganfall dar [1]. Daher gelten ein Dysphagie-Screening und daraus abgeleitete Behandlungskonsequenzen (unter anderem logopädisches Schlucktraining) als wichtige Präventionsmaßnahmen in der Akutphase nach einem Schlaganfall [2]. Abseits dieses prominenten Beispiels handelt es sich bei Schluckstörungen aber gemeinhin um ein unterschätztes, wenig beachtetes und oft unerkanntes medizinisches Pro­blem. Die Zahl der Betroffenen ist indes hoch: Laut einer epidemiologischen Untersuchung leiden etwa fünf Millionen Deutsche an einer Dysphagie [3]. Gerade in der älteren Bevölkerungsgruppe Europas werden hohe Prävalenzraten angenommen (30 bis 40% derjenigen, die im eigenen Haushalt leben und 60% der Pflegeheimbewohner) [1]. Dabei beschreibt Dysphagie laut eines Positionspapiers der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde „alle schmerzlosen Einschränkungen der Nahrungsaufnahme und des geregelten Transportes von Nahrung und ist eher eine Symptombeschreibung als eine Diagnose“ [4].

POP-Fall und AMTS-Spezial

Begleitend zu den POP-Fällen haben wir immer einen aus Sicht der Arzneimitteltherapiesicherheit interessanten Aspekt herausgegriffen, der vertiefend im „AMTS-Spezial“ dargestellt wurde. Im POP-Fall „Eine Patientin mit Asthma und Dysphagie“ in der DAZ 2023, Nr. 31, S. 45 – 56 haben Ihnen Ina Richling, Matthias Büchter, Frank Richling, Dorothee Dartsch und Olaf Rose eine Patientin vorgestellt, die wegen einer unklaren Dysphagie und Magenschmerzen stationär auf die gastroenterologische Station aufgenommen wurde.

Räuspern, Husten, Würgen

Generell können sich Schluckstörungen in einer belegten Stimme, permanentem Räuspern, ungewolltem Speichelaustritt, Husten oder gar Würgen beim Essen äußern (s. Tab. 1). Als Bewältigungsstrategie wird dann insgeheim oder ganz bewusst ein Bogen um bestimmte, schwer zu schluckende Speisen (z. B. Vollkornprodukte, Obst, Rohkostgemüse, Nüsse, Fleisch, Fisch) gemacht. Stattdessen werden Suppen und pürierte Kost bevorzugt. Es kommt regelmäßig vor, dass Personen, die von erheblichen Schluckstörungen betroffen sind, aus Scham auch das gesellschaftliche Miteinander bei der Nahrungsaufnahme meiden. Gerade auswärtiges Essen in Restaurants, Kantinen oder bei Freunden und Verwandten, wird häufig ganz unterlassen. Die Lebensqualität der Betroffenen leidet auch, weil sie in ständiger Angst leben, sich zu Verschlucken und daran gegebenenfalls zu Ersticken. Mangelernährung, Gewichtsverlust, Dehydratation und sozialer Rückzug sind – neben der potenziellen Gefahr, Speichel, Speisen oder Getränke zu aspirieren – mögliche, wenngleich extreme Folgen von Schluckstörungen.

Tab. 1: Übersicht zur Nomenklatur von Symptomen bei Schluckstörungen [4]
Drooling
Herauslaufen des Bolus oder Speichels aus dem Mund
Regurgitation
Hochwürgen von Nahrung
Leaking
Herabgleiten des Bolus in den Rachen vor Auslösung des Schluckreflexes aufgrund gestörter Oralmotorik und/oder Sensibilität mit beeinträchtigter Boluskontrolle
Pooling
Ansammlung von Substanzen im Hypopharynx (unterer Schlundbereich) aufgrund fehlender oder verspäteter Aus­lösung des Schluckreflexes
Residuen oder Retentionen
Ansammlungen von Speichel, Sekret und Bolusanteilen in der Mundhöhle bis hin zu den untersten Rachenabschnitten
Penetration
Eintreten von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen in den Kehlkopf ohne Durchtritt durch die Stimmlippenebene
Aspiration
Durchtritt von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen durch die Stimmlippenebene
nasale Regurgitation/Penetration
Übertritt von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen in den Nasopharynx, die Nasenhaupthöhle oder aus der Nase heraus

Problemfall Mundtrockenheit

Probleme mit dem Bolustransport können auf einen banal klingenden, trockenen Mund zurückgeführt werden – der wenig banale Fachbegriff hierfür lautet Xerostomie. Diese kann das Kauen und den Schluckvorgang mangels suffizienten Einspeichelns der Nahrung massiv erschweren. Normalerweise sezernieren die Speicheldrüsen eines Erwachsenen, vor allem die Ohrspeicheldrüsen, täglich zwischen 0,6 und 1,5 Liter Speichel. Die Menge des Sekrets kann alters- oder erkrankungsbedingt abnehmen und die Konsistenz kann sich verändern. Interessanterweise nimmt man subjektiv erst recht spät wahr, dass eine unzureichende Benetzung der Mundschleimhaut vorliegt. In einer experimentellen Untersuchung mit dem in der Anästhesiologie eingesetzten Speichelsekretionshemmer Glycopyrroniumbromid wurde dies erst bei einer 50%igen Minderung der normalen Speichelflussrate bemerkt [5]. Zu den Komplikationen einer Xero­stomie zählen Mundgeruch, Karies, Parodontose, Begünstigung von Mundsoor und Verletzungen, Beschwerden beim Sprechen, Veränderungen im Geschmacksempfinden, Beeinträchtigung des Schlafes und Mundwinkelrhagaden. Zudem kann das Tragen einer Zahnprothese erschwert sein (eingeschränkte Haftfähigkeit, Druckstellen). So Mancher akzeptiert die mit Xerostomie einhergehenden Unannehmlichkeiten zähneknirschend, andere trinken ständig etwas oder lutschen fortwährend (saure) Bonbons, um den Mund zu befeuchten. Um eine Xerostomie niedrigschwellig abzuklären, bietet sich die Befragung des Patienten nach der Methode von Thomson et al. an (s. Kasten „Xerostomie-Fragebogen“) [10]. Höchstwerte erzielen hier beispielsweise Patienten mit Sjögren-Syndrom. Bei dieser Autoimmun­erkrankung, die unter anderem auf die großen Kopfspeicheldrüsen wirkt, ist die Xerostomie besonders ausgeprägt und stellt ein Leitsymptom der Erkrankung dar. Bei einer weiteren Autoimmunerkrankung, der Sklerodermie, kann es ebenfalls zu erheblicher Mundtrockenheit kommen. Auch Menschen mit Diabetes, deren Erkrankung schlecht eingestellt ist, können unter Mundtrockenheit leiden. Darüber hinaus kann sie hormonell bedingt sein (Wechseljahre) oder durch diverse Arzneistoffe sowie Strahlentherapie ausgelöst werden (s. unten).

Xerostomie-Fragebogen

Um den Grad der Mundtrockenheit objektiv einschätzen zu können, gibt es z.B. den Xerostomie-Fragebogen nach Thomson et al. [10]. Dabei soll der Patient die unten stehenden Fragen nach den Symptomen und der Häufigkeit anhand einer Punkteskala von jeweils 1 bis 5 bewerten: 1: niemals, 2: selten, 3: gelegentlich, 4: öfter, 5: sehr oft

  • Ich muss trinken, um schlucken zu können.
  • Mein Mund fühlt sich trocken an, wenn ich esse.
  • Ich wache nachts auf und trinke etwas.
  • Mein Mund fühlt sich trocken an.
  • Ich habe Schwierigkeiten, trockene Speisen zu essen.
  • Ich lutsche Bonbons, um den Mund zu befeuchten.
  • Ich habe Schwierigkeiten, bestimmte Speisen zu schlucken.
  • Meine Haut im Gesicht fühlt sich trocken an.
  • Meine Augen fühlen sich trocken an.
  • Meine Lippen fühlen sich trocken an.
  • Das Innere meiner Nase fühlt sich trocken an.

Aus der Gesamtpunktzahl der elf Fragen ergibt sich ein Indexwert, mit dem der Grad der Mundtrockenheit eingeschätzt werden kann.

Erschwerte Arzneimitteleinnahme

Dysphagie-Patienten fällt nicht nur das Essen und Trinken schwer, sondern auch die Einnahme von Arzneimitteln. So kommt es in vielen Fällen zum Einsatz des Küchenmessers oder einem Lutschen oder Zerbeißen des Arzneimittels – Retardierung und andere galenische Finessen hin oder her. Eine auch international viel beachtete Veröffentlichung Heidelberger Wissenschaftler um Prof. Dr. Walter E. Haefeli, welche allerdings aus dem Jahr 2013 datiert, veranschaulicht die arzneimittelbezogene Tragweite der mit Dysphagie verbundenen Herausforderungen: Von etwa 1000 konsekutiv befragten Patienten aus elf teilnehmenden Arztpraxen bejahte jeder Dritte (37,4%), Schwierigkeiten beim Schlucken von Tabletten oder Kapseln zu haben [6]. Dabei überwogen gemäß Selbstauskunft leichte den schwerwiegenden Beschwerden (60,6% vs. 39,4% der Befragten mit Schluck­problemen). Konfrontierte man die behandelnden Allgemeinmediziner mit diesen Aussagen, bestand in sieben von zehn Fällen Unkenntnis über das Beschwerdebild ihrer Patienten. Generell gaben nur 7% aller Studienteilnehmer an, jemals von einem Arzt zum Vorliegen von Schluckschwierigkeiten befragt worden zu sein (und nur 4% waren von einem Apotheker hierauf angesprochen worden), doch das Kommunikationsproblem erwies sich keineswegs als einseitig: Erstaunlicherweise hatten nur 13,7% der Patienten mit Schluckproblemen ihrerseits den Arzt über ihre Beschwerden informiert. Vielmehr suchten Betroffene nach eigenen Lösungen: 58,8% hatten ihr(e) Arzneimittel schon einmal zur Erleichterung der Einnahme „bearbeitet“ (geteilt, gemörsert, Kapseln geöffnet, der Nahrung untergemischt oder in Flüssigkeiten aufgelöst). Nur die Hälfte derjenigen, die ihre Medikamente manipulierten, waren sich möglicher Folgen bewusst. In puncto Adhärenz gab jeder Zehnte an, bestimmte Arzneimittel wegen des Beschwerdebilds erst gar nicht oder nur unregelmäßig einzunehmen. Gründe, weshalb Arzneimittel als schwierig zu Schlucken beschrieben wurden, waren neben der Größe (74,6% der Angaben), die Oberfläche (70,5%), die Form (43,5%) und der Geschmack (22,1%). Von großer Bedeutung ist daher, geeignete Darreichungsformen (z. B. Schmelztabletten, flüssige Arznei­formen) für Patienten mit Schluckstörungen anbieten zu können oder über eine Änderung des Applikationswegs nachzudenken (z. B. intravenös, rektal). „Echte“ Dysphagiepatienten müssen darüber hinaus Schlucktrainings durch Logopäden erhalten.

Ursachen Arzneimittel-induzierter Dysphagien

Wie werden nun Arzneistoffe selbst zu Auslösern einer Dysphagie? In manchen Fällen ist gänzlich unklar, weshalb ein bestimmter Wirkstoff die Schluckfunktion beeinträchtigt. Es können alle drei am Schluckvorgang beteiligte Schluckphasen gestört werden (orale, pharyngeale und ösophageale Phase). Zu den bekannten pharmakologischen Angriffspunkten, wovon gleich mehrere von ein und demselben Wirkstoff angesteuert werden können, zählen hingegen [7]:

  • zentral-sedierend,
  • zentral wirksam mit peripherer Nebenwirkung (Xerostomie/reduzierter Speichelfluss),
  • neuromuskulär (z. B. Beeinträchtigung der Kiefer-, Zungen- oder Ösophagusmuskulatur) und
  • lokal-mukosale Effekte.

Durch den Einsatz verschiedener Wirkstoffe mit Einfluss auf den Schluckapparat ergeben sich mitunter unvorteilhafte Synergieeffekte. Man denke nur an Patienten mit einer hohen anticholinergen Last, die unweigerlich von Mund­trockenheit als unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) betroffen sein werden. Unabhängig vom Angriffspunkt kann die Beeinträchtigung der Schluckfunktion rein temporär auftreten, zum Beispiel in der Anfangsphase einer Therapie und ist in der Regel reversibel beim Absetzen. Es sind aber auch irreversible Verläufe möglich, wie zum Beispiel eine durch Antipsychotika oder Dopaminrezeptor­-Antagonisten (Metoclopramid!) ausgelöste Spätdyskinesie [8]. Hier persistieren die ausgeprägten Bewegungs­störungen im Mund-Kiefer-Zungen-Bereich auch nach Absetzen des medikamentösen Auslösers.

Risikopersonen

Besonders gefährdet sind Personen mit reduziertem Allgemeinzustand oder diejenigen, bei denen eine vorbestehende Dysphagie (z. B. nach Schlaganfall, bei Morbus Parkinson) durch Arzneimittel verstärkt werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall im höheren Alter, wenn anatomische Besonderheiten des oberen Digestivtrakts (Tumoren [!], Vernarbungen, z. B. Ösophagusstrikturen), muskuläre oder neurodegenerative Veränderungen und/oder psychiatrische Auffälligkeiten vorliegen [7]. Größte Aufmerksamkeit ist zudem bei Patienten mit Reflux geboten, da diese nach Entwicklung einer Dysphagie Magensaft aspirieren könnten [4]. Bei Schluckstörungen aufgrund von physiologischen Alterungsprozessen (Presbyphagie) sind vor allem eine abnehmende Speichelproduktion, sensorische Veränderungen von Geschmacks- und Geruchssinn, Sensibilitätsstörungen der Mukosa, eine verminderte Elastizität des oberen Speiseröhrensphinkters, zerebral-degenerative Prozesse, eine nachlassende Kraft der beim Schlucken beteiligten Muskulatur und eine abnehmende Koordination der Schluckphasen ursächlich für die Veränderungen [7]. Störungen im Schluckvorgang fallen besonders bei Menschen mit Demenz auf, bei denen zuvor gelebte Kompensationsstrategien mit Fortschreiten der Erkrankung versagen [1, 4].

Zentrale Sedierung

Negative Auswirkungen auf die Schluckfrequenz und/oder -effektivität werden bei vielen sedierenden, vigilanz­mindernden Wirkstoffen beobachtet und bei solchen, die die zentrale Erregbarkeit reduzieren. Zugrundeliegend sind Beeinträchtigungen der allgemeinen Reflexsteuerung, der Sensorik und der muskulären Koordination [7]. Neben den Sedativa und Hypnotika sind Antipsychotika, Antidepressiva, zentral wirksame Anticholinergika, Antikonvulsiva und Opioide Wirkstoffgruppen, die diesbezüglich kritisch sind. Beispielsweise wurden muskuläre Koordinationsstörungen des oberen Ösophagussphinkters, bis hin zu tödlicher Aspiration, unter Nitrazepam-Gabe bei myoklonischer Epilepsie im Kindesalter beobachtet [4].

Periphere Wirkung: Xerostomie

Es sind vor allem Anticholinergika, bei denen einem wortwörtlich die Spucke wegbleibt. Sie wirken antagonistisch an muskarinergen Cholino-Rezeptoren der Speicheldrüsen und drosseln so deren Sekretionsleistung. Sogar inhalativ angewendete Vertreter dieser Wirkstoffgruppe, wie das im POP-Fall „Eine Patientin mit Asthma und Dysphagie“ in der DAZ 2023, Nr. 31, S. 45 porträtierte Ipratropiumbromid-Dosier­aerosol, können eine Mundtrockenheit herbeiführen. Kurios ist des Weiteren, dass auch bei den in der Glaukomtherapie eingesetzten Clonidin-Augentropfen ein trockener Mund als häufige Nebenwirkung (1 bis 10%) bekannt ist. Nach systemischer Absorption, welche durch circa zweiminütigen Druck auf den Tränenkanal reduziert werden kann, hemmt Clonidin in der Peripherie durch Stimulation präsynaptischer α-Adrenozeptoren die cholinerge Transmission an den Speicheldrüsen [9]. Da diese nicht nur der Steuerung des Parasympathikus sondern auch der des Sympathikus unterliegen, können analog zu den Anticholinergika (= Parasympatholytika) auch Sympathomimetika den Speichelfluss beeinträchtigten. Zudem kann sich eine Xerostomie unter einer Diuretikatherapie infolge einer Dehydratation ein­stellen. Tritt Mundtrockenheit als unerwünschte Arznei­mittelwirkung auf, kann sich dies als therapielimitierend erweisen. Häufig werden Speichelersatzpräparate (s. Tab. 2) eingesetzt, um die Symptomatik abzumildern. Sie stellen aber im engeren Sinne eine Verordnungskaskade dar! Besser wäre es, bei medikamentösen Auslösern einer Mundtrockenheit nach alternativen Wirkstoffen zu schauen, die nicht zu dieser Nebenwirkung führen oder gegebenenfalls die Dosis zu reduzieren.

Tab. 2: Speichelersatzpräparate bei trockenem Mund (Auswahl)
Produkt
relevante Inhaltsstoffe
NRF 7.5 Künstlicher Speichel
Sorbitol, Carmellose-Natrium
Aldiamed Mundgel/-spülung/-spray
Panthenol, Aloe-vera-Blätter-Extrakt, Lysozym und Laktoferrin
Apomix® Speichelersatzlösung SR
Sorbitol, Carmellose-Natrium
Biotène oralbalance® Mundgel/-spülung
Lactoperoxidase, Lactoferrin und Lysozym
Dentaid® xeros Mundgel/-spülung/-spray
Glycerol, Xylitol, Betain
GC Dry Mouth Mundgel
Diglycerin, Carrageenan
Gum® Hydral™ Feuchtigkeitsspray, Mundspülung
Carrageenan, Betain, Xylitol
LipoSaliva® Mundspray
Lecithin, Myrrhe
Miradent Aquamed® Lutschtablette, Mundspray, Kaugummi
Lysozym
One Drop Only® Mund­spülung
Allantoin, Aloe-vera-Blätter-Extrakt, Xylitol
Saliva natura Mundspray
Santakraut-Schleim, Xylitol
Saseem® Mundspray
Dexpanthenol, Carrageenan
Stadaprotect® Mundspray
Glycerol
Xerodent® Lutschtabletten
Xylitol

Speichelersatzpräparate bei trockenem Mund

Empfehlenswert sind unterschiedliche Darreichungs­formen, die auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sind. So werden Kaugummis und Lutschtabletten zur Förderung des Speichelflusses zwischendurch sowie zur Unterstützung der Reinigung gezielt nach den Mahlzeiten eingesetzt. Mundspülungen (alkoholfrei!) oder Sprays dienen der situativen Befeuchtung und ebenfalls zur Unterstützung der Reinigung. Die länger haftenden Gele eignen sich besonders für den Einsatz über Nacht oder zum Auftragen auf eine Zahnprothese (s. Tab. 2). Als Hausmittel ist zudem das Gurgeln mit Salbeitee beliebt. Zahnärzte raten davon ab, saure Bonbons oder Scheiben von Zitrusfrüchten zu lutschen, da durch das saure Milieu ein erhöhtes Risiko für die Demineralisation des Zahnschmelzes besteht. Vielmehr muss bei Xero­stomie Wert auf eine gründliche Dental- und Mundhygiene gelegt und zweimal jährlich eine professionelle Zahnreinigung in Anspruch genommen werden.

Als verschreibungspflichtiges Sialagogum kommt das direkt parasympathomimetisch wirkende Pilocarpin (Salagen®Tabletten) bei schweren Formen einer Hyposalivation, zum Beispiel dem Sjögren-Syndrom, zum Einsatz.

Neuromuskuläre Wirkung

Bereits oben wurde angesprochen, dass Antipsychotika und andere Dopaminantagonisten Spätdyskinesien auslösen können. Neben dieser extremen Ausprägung können unter der Medikation auch minder schwere extrapyramidalmotorische Symptome auftreten. In der Folge können die Koordination und Muskelaktivität von Rachen und Speiseröhre und damit von gleich zwei Phasen des Schluckaktes gestört sein. Zu den neuromuskulären Angriffspunkten zählen ferner eine Störung der Ösophagusmotilität und eine Tonusreduktion des unteren Ösophagussphinkters [4]. Eine diesbezüglich gefährliche Myopathie wird beispielsweise durch Glucocorticoide und Statine ausgelöst. Einen erniedrigten Sphinkterdruck findet man speziell unter Calcium-Antagonisten, Nitraten, Anticholinergika, Benzodiazepinen, Theophyllin, Mirabegron, Östrogenen, Pfefferminz-haltigen Präparaten und auch Phosphodiesterase-5-Hemmern. Die meisten relaxieren, ihrem Wirkmechanismus entsprechend, die glatte Muskulatur, aus der auch der untere Ösophagussphinkter besteht.

Direkte und sekundäre Effekte

Es muss neben diesen direkten Effekten als unerwünschte Arzneimittelwirkung beachtet werden, dass Schluckstörungen auch nur sekundär mit der Arzneimitteleinnahme assoziiert sein können. Zu den einer medikamentösen Therapie nachgeordneten Komplikationen zählen beispielsweise die im Rahmen einer immunsuppressiven Behandlung auftretende Soor-Ösophagitis oder eine mit einer Cytomegalie­virus-Infektion assoziierte Ösophagitis (CMV-Ösophagitis). Auch Mundsoor, der sich durch die fehlerhafte Anwendung eines Glucocorticoid-haltigen Inhalativums entwickelt hat, kann Schluckbeschwerden verursachen. Regelhaft resultiert aus einer Zytostatikatherapie (z. B. Carmustin, Daunorubicin und Paclitaxel) eine Gewebeschädigung (Mukositis), die mit Schluckstörungen einhergeht. Bestrahlungen in der Kopf-Hals-Region führen durch Mukositiden, Ödeme, Neuropathien, Fibrosen und Zerstörung der Drüsenfunktion zu ernsthaften Schluckstörungen [4]. Aus einer „Verätzung“ der Speiseröhrenmukosa durch das Steckenbleiben ulcerogener Arzneimittel (sogenannte medika­menteninduzierte Ösophagitis) resultieren ebenfalls sekundär Probleme beim Schlucken (siehe DAZ-Beitrag „Brennender Hals“, Stahl, V., DAZ 2020, Nr. 46, S. 56). Es handelt sich dann meist um eine schmerzhafte Angelegenheit (Odynophagie, schmerzhaftes Schlucken). |


Literatur

 [1] Baijens LWJ et al. European Society for Swallowing Disorders – European Union Geriatric Medicine Society white paper: oropharyngeal dysphagia as a geriatric syndrome. Clin Interv Aging 2016;11:1403-1428, doi: 10.2147/CIA.S107750

 [2] Hotter B et al. Schlaganfall-assoziierte Pneumonie Prophylaxe und Therapie einer schwerwiegenden Komplikation. Klinikarzt 2015;44(7/8):352–356

 [3] Wolf U et al. Prevalence of oropharyngeal dysphagia in geriatric patients and real-life associations with diseases and drugs. Scientific Reports 2021;11(1), doi:10.1038/s41598-021-99858-w

 [4] Arens C, Herrmann IF, Rohrbach S, Schwemmle C, Nawka T. Stand der klinischen und endoskopischen Diagnostik, Evaluation und Therapie von Schluckstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (DGHNO) und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). 10. April 2015, Laryngo-Rhino-Otol 2015;94:306–354, http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1545298

 [5] Wolff MS, Kleinberg I. The effect of ammonium glycopyrrolate (Robinul)-induced xerostomia on oral mucosal wetness and flow of gingival crevicular fluid in humans. Arch Oral Biol 1999;44(2):97-102, doi: 10.1016/s0003-9969(98)00113-7

 [6] Schiele JT et al. Eur J Clin Pharmacol 2013;69(4):937–948

 [7] Schwemmle C et al. Medikamenteninduzierte Dysphagien – Ein Überblick. HNO 2015, doi 10.1007/s00106-015-0015-8

 [8] Ceballos-Baumann A. Medikamenteninduzierte Dyskinesien. In: Berlit P (eds) Klinische Neurologie. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60676-6_133

 [9] Green GJ, Wilson H, Yates MS. The effect of clonidine on centrally and peripherally evoked submaxillary salivation. Eur J Pharmacol 1979;53(3):297-300, doi: 10.1016/0014-2999(79)90136-5

[10] Thomson WA et al. The Xerostomia Inventory: a multi-item approach to measuring dry mouth. Community Dent Health 1999;16(1):12-17

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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