Arzneimittel und Therapie

Erhöht eine menopausale Hormontherapie das Demenzrisiko?

Ergebnisse aus Beobachtungsstudie regen Diskussion erneut an

cel/dab | Die Gabe von Estrogenen in der Menopause soll Wechseljahrs­beschwerden lindern. Doch birgt eine menopausale Hormonbehandlung ein demenzielles Risiko? Und wenn ja: Welche Rolle spielen dabei die Gestagene?

Demenzielle Erkrankungen treffen Frauen häufiger als Männer [1]. Selbst wenn man die höhere Lebenserwartung von Frauen berücksichtigt, bleiben wohl geschlechtsspezifische Faktoren, die das Demenzrisiko für Frauen erhöhen. Ist Estrogen ein Treiber? Bekannt ist, dass das Sexualhormon sowohl neuroprotektive wie auch neurotoxische Effekte zeigt [2] – unklar bislang ist jedoch, wie sich eine systemische Hormonbehandlung in den Wechseljahren auf das Demenz­risiko auswirkt. Ungewiss ist vor allem auch der Effekt, den eine Ges­tagen-Komponente in Präparaten zur Behandlung von Wechseljahrs­beschwerden auf die Entwicklung einer Demenz hat.

Zur Erinnerung: Wenn eine Hormontherapie in der Menopause erfolgen soll, erhalten Frauen mit intakter Gebärmutter eine kombinierte Estrogen-Gestagen-Therapie zur Linderung ihrer vasomotorischen Beschwerden. Das Gestagen soll dabei das Endometrium vor dem proliferativen Effekt des Estrogens schützen.

Dänische Fall-Kontroll-Studie

Dänische Registerdaten, erfasst zwischen dem 1. Januar 2000 und dem 31. Dezember 2018, liefern nun neue Erkenntnisse zur Rolle der Sexual­hormontherapie hinsichtlich einer möglichen Demenz [3]. Die in die Studie eingeschlossenen Frauen waren zu Studienbeginn zwischen 50 und 60 Jahre alt. Sie hatten keine demenzielle Erkrankung in der Vorgeschichte, waren weder hyster- noch oophorektomiert und es gab auch keine Kontra­indikation für eine menopausale Hormonbehandlung. Die Autoren konnten auf Daten von 5589 Frauen mit Demenz jeglicher Ursache (davon 1458 [26,1%] mit Alzheimer) zurückgreifen. Diese verglichen sie mit 55.890 altersentsprechenden dänischen Frauen ohne Demenz als Kontrollen.

Bei allen Studienteilnehmerinnen wurde geprüft, ob sie eine meno­pausale Hormontherapie im Alter zwischen 45 und 55 Jahren erhalten hatten. Dabei wurden Hormongaben bis zwei Jahre vor einer Demenz­diagnose oder dem Studieneinschluss berücksichtigt.

Foto: RFBSIP/AdobeStock

Ob eine Hormontherapie in den Wechseljahren einen Einfluss auf das Demenz­risiko hat, ist nach wie vor unklar. Die Ergebnisse einer aktuellen Beobachtungsstudie deuten auf ein erhöhtes Risiko hin. Dennoch lassen sich daraus keine kausalen Schlüsse ziehen.

Mehr Demenzfälle in der Hormongruppe

Frauen mit einer Estrogen-Gestagen-Behandlung in den Wechseljahren hatten ein um 24% höheres Risiko (bereinigte Hazard Ratio [HR] = 1,24) an einer Demenz jeglicher Ursache zu erkranken als Frauen, die keine Hormonbehandlung erhalten hatten (weder Estrogen-Gestagen-Kombinationen, systemische oder vaginal applizierte Estrogene noch Gestagene in der Perimenopause). Der Zusammenhang blieb auch bestehen, wenn die Studienautoren die Demenzen in Alzheimer-Demenz (HR = 1,22) und spät einsetzende Demenz (HR = 1,21) unterteilten. Ebenso blieb die erhöhte Demenzrate bei Kurzzeitanwenderinnen bestehen, die ausschließlich im Alter von 55 Jahren oder jünger behandelt wurden (HR = 1,24).

Risiko abhängig von Einnahmedauer

Das allgemeine Demenzrisiko ist nach den Ergebnissen der Studie jedoch abhängig von der Einnahmedauer und reicht von einem 21% höheren Risiko (HR = 1,21) für Frauen, die die Hor­mone maximal ein Jahr anwendeten, bis zu einem 74% höheren Risiko (HR = 1,74) bei einer Anwendungsdauer von mindestens zwölf Jahren (die empfohlene Dauer für eine menopausale Hormontherapie sollte fünf Jahre nicht überschreiten). Keinen Unterschied scheint es hingegen zu machen, ob man Estrogen-Gestagen-Kombinationen kontinuierlich oder zyklisch anwendet.

Die Autoren fanden zudem anhand der Daten heraus, dass bei Frauen mit reinen Gestagen-Präparaten oder mit vaginal appliziertem Estrogen das Risiko für eine Demenz nicht erhöht war.

Stärken und Schwächen der Studie

Zu den Stärken ihrer Untersuchung zählen die Wissenschaftler eine fast vollständige Behandlungshistorie, die Einbeziehung einer klinisch relevanten Studienpopulation und die Möglichkeit, zwischen kombinierter kontinuierlicher und zyklischer Hormontherapie in den Wechseljahren zu unterscheiden. Eingeschränkt würde die Aussagekraft ihrer Ergebnisse dadurch, dass die meisten Frauen in der Studie eine orale kombinierte Hormonbehandlung erhielten. Man habe jedoch nicht zwischen den Arten von Gestagenen unterscheiden können, da keine Informationen über Progesteron im Gegensatz zu synthetischen Gestagenen vorgelegen hätten, so die Studienautoren. Auch konnten die Wissenschaftler nicht hinsichtlich vaskulärer Demenzen differenzieren.

Da es sich um eine Beobachtungs­studie handele, könne man zudem eine restliche Verzerrung, z. B. durch die Indikation, nicht ausschließen, so könnten Frauen, die eine Hormontherapie anwenden, eine Prädisposition sowohl für Wechseljahrsbeschwerden als auch für eine Demenzerkrankung haben. Weitere Studien seien erforderlich um zu klären, ob der beobachtete Zusammenhang zwischen einer Hormontherapie in den Wechseljahren und einem erhöhten Demenzrisiko einen kausalen Effekt darstelle.

Ergebnisse nicht für Therapieentscheidungen heranziehen

Welche Konsequenz ergibt sich nun aus der Studie? Im „The British Medical Journal“ (BMJ) wurde begleitend zu der dänischen Beobachtungsstudie ein Editorial veröffentlicht [4]. Darin berichten die Autoren Kejal Kantarci, Professor der Radiologie an der Mayo Clinic Rochester, und JoAnn E Manson, Professorin der Medizin an der Harvard Medical School in Boston (USA), über die bislang widersprüch­liche Datenlage zu menopausaler Hormontherapie und dem Demenzrisiko. So wurde 2003 in der randomisierten WHIMS-Studie (Women’s Health Initiative Memory) ein erhöhtes Demenz­risiko bei Frauen ab 65 Jahren unter einer Estrogen-Gestagen-Therapie ermittelt [5]. Zehn Jahre später wurde in WHIMS-Y-Studie (WHIMS of Younger Women) kein erhöhtes Risiko bei Frauen festgestellt, die eine Hormontherapie zwischen 50 und 55 Jahren begonnen hatten. Dies steht im Widerspruch zu der aktuellen Studie, in der auch schon bei jüngeren Frauen und Kurzzeitanwendung ein erhöhtes Risiko gefunden wurde. Kantarci und Manson gehen davon aus, dass diese Ergebnisse durch Störfaktoren verzerrt sind. Ein Beispiel, das dies untermauert, sei, dass ein erhöhtes Demenzrisiko bei einer Behandlungsdauer unter einem Jahr „biologisch nicht plausibel“ ist.

Neben diesen Limitationen heben die beiden Autoren des BMJ-Editorials die Stärken der Studie hervor, beispielsweise, dass detaillierte Daten zu Verschreibungen vorlagen und dass zwischen zyklischen und kontinuierlichen Therapien unterschieden werden konnte. Insgesamt betonen die beiden Experten aber, dass die beobachteten Zusammenhänge nicht herangezogen werden sollten, um kausale Schlüsse zwischen einer Hormontherapie und dem Demenzrisiko zu ziehen. Die Studienergebnisse seien nicht geeignet, um Therapieentscheidungen zu treffen.

Zukünftig könnten Neuroimaging-Biomarker helfen, um frühzeitig Effekte einer Hormontherapie auf die Pathophysiologie der Demenz zu erkennen und den Einfluss auf das Demenz­risiko postmenopausaler Frauen in Studien zu bewerten, geben Kantarci und Manson als Ausblick. |
 

Literatur

[1] Snyder HM et al. Sex biology contributions to vulnerability to Alzheimer‘s disease: A think tank convened by the Women‘s Alzheimer‘s Research Initiative. Alzheimers Dement 2016;12(11):1186-1196, doi: 10.1016/j.jalz.2016.08.004

[2] Strom JO et al. Mechanisms of estrogens‘ dose-dependent neuroprotective and neurodamaging effects in experimental models of cerebral ischemia. Int J Mol Sci 2011;12(3):1533-1562, doi: 10.3390/ijms12031533

[3] Pourhadi Net al. Menopausal hormone therapy and dementia: nationwide, nested case-control study. BMJ 2023;381:e072770, doi: 10.1136/bmj-2022-072770

[4] Kantarci K, Manson JE. Menopausal hormone therapy and dementia. BMJ. 2023;381:1404, doi: 10.1136/bmj.p1404

[5] Shumaker SA et al. Estrogen plus progestin and the incidence of dementia and mild cognitive impairment in postmenopausal women: the Women’s Health Initiative Memory Study: a randomized controlled trial. JAMA2003;289:2651-2662, doi:10.1001/jama.289.20.2651

[6] Espeland MA et al. Long-term effects on cognitive function of postmenopausal hormone therapy prescribed to women aged 50 to 55 years. JAMA Intern Med2013;173:1429-1436, doi:10.1001/jamainternmed.2013.7727

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