Prisma

Radioaktive Wildschweine

Warum sind sie noch kontaminiert?

Foto: Aurélien PAPA/AdobeStock

js | In Bayern sind Wildschweine überraschend stark radioaktiv belastet, obwohl die Atomkatastrophe in Tschernobyl bereits 37 Jahre zurückliegt. Manche Proben von Wildschweinfleisch in ganz Europa überschreiten den erlaubten Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm. Das Fleisch solcher Tiere muss entsorgt werden. Der Frage, warum gerade Wildschweine kontaminiert sind und anderes Wild nicht, gingen Forscher von der Leibniz Universität Hannover und der tech­nischen Universität Wien nach. Entscheidend für die Radioaktivität ist Cäsium-137: Das Isotop besitzt eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren, die Strahlenbelastung geht in der Natur aber schneller zurück aufgrund von Verteilung, Auswaschung und anderen Prozessen. Paradoxerweise zeigen Wildschweine allerdings eine konstante Strahlenbelastung, die sogar noch langsamer rückläufig ist als der natürliche Zerfall von Cäsium-137. Auf der Suche nach einer Erklärung für die rätselhafte Kontamination entdeckten die Forscher, dass das radioaktive Cäsium nicht nur auf die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl zurückzuführen ist, sondern auch auf Atomwaffentests der 1960er-Jahre. Das konnte festgestellt werden, indem das Mischungsverhältnis von Cäsium-137 zu Cäsium-135 ermittelt wurde, denn die Cäsium-Verhältnisse sind nicht konstant und unterschieden sich zwischen den beiden Ereignissen. Die Cäsium-Isotope dringen sehr langsam in den Boden vor und lagern sich dort nach und nach ab. Hirschtrüffel, eine Lieblingsspeise von Wildschweinen, wachsen in 20 bis 40 cm Tiefe. Die Pilze nehmen radioaktive Cäsium-Isotope der Atomwaffentests bereits seit Längerem auf, die Isotope der Tschernobyl-Katastrophe kontaminieren diese Bodenschicht erst heute. Die Trüffel werden also von zwei Fronten radioaktiv kontaminiert, gleichzeitig zerfällt das Cäsium im Laufe der Jahre. „Wenn man all diese Effekte addiert, lässt sich erklären, warum die Radioaktivität der Hirschtrüffel – und in weiterer Folge der Schweine – größenordnungsmäßig relativ konstant bleibt“, erklärt der Radioökologieprofessor Georg Steinhauser in einer Pressemitteilung der Leibniz Universität Hannover. |

Literatur

Das Wildschwein-Paradoxon – endlich gelöst. Presseinformation der Leibniz Universität Hannover vom 31. August 2023, https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/online-aktuell/details/news/das-wildschwein-paradoxon-endlich-geloest

Stäger F et al. Disproportionately High Contributions of 60 Year Old Weapons-137Cs Explain the Persistence of Radioactive Contamination in Bavarian Wild Boars. Environ. Sci. Technol. 2023, https://doi.org/10.1021/acs.est.3c03565

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