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Beratung

PPI werfen lange Schatten

Warum Protonenpumpenhemmer langfristig schaden können

Kaum ein Präparat geht häufiger über den HV-Tisch als Protonenpumpeninhibitoren. Ob in der Selbstmedikation oder auf Rezept, Pantoprazol und Co gelten als wirksame und unbedenkliche Wirkstoffe. Aber gerade in der Langzeitanwendung könnten ernsthafte Gefahren lauern. Immer mehr Studien belegen Zusammenhänge mit Infektionen, Demenz, Schlaganfällen und weiteren Risiken. Was bedeuten die Befunde? | Von Tony Daubitz

Protonenpumpenhemmer, insbesondere Pantoprazol und Omeprazol, gehören zu den Schnelldrehern in den Apotheken in Deutschland. Seitdem sie 1989 zugelassen wurden, haben sie sich in den darauffolgenden Jahrzehnten zu den am häufigsten verordneten Wirkstoffen entwickelt. Laut Arzneiverordnungsreport wurden 2021 3,7 Mrd. Tagesdosen der Präparate verordnet [1]. Zusätzlich fragen Kunden Pantoprazol und Omeprazol seit dem OTC-Switch 2009 auch in der Selbstmedikation stark nach. Die Präparate sind alltäglich geworden und werden als unbedenklich wahrgenommen.

PPI als Nährstoffblocker

Zwar gelten die Substanzen auch als sicher und verträglich – die Fachinformation listet vor allem Kopfschmerzen und gastrointestinale Beschwerden als am häufigsten auftretende Nebenwirkungen auf –, doch in der Langzeitbehandlung drohen wohl womöglich Probleme. Laut Fachinformation können sich Nährstoffdefizite entwickeln. Hierunter fällt beispielsweise ein Mangel an Vitamin B12 und Magnesium, auch die Eisen-Aufnahme kann reduziert werden. Zur Freisetzung von Vitamin B12 aus dem Nahrungsbrei ist ein saures Milieu erforderlich, das unter Protonenpumpenhemmern entsprechend fehlt. Wie genau die Präparate die Magnesium-Spiegel beeinflussen, ist hingegen noch nicht bekannt. Es wird angenommen, dass die Wirkstoffe die Absorption des Alkalimetalls reduzieren [2].

Da auch die Calcium-Aufnahme in Mitleidenschaft gezogen werden kann, überrascht es nicht, dass im Rahmen einer Langzeittherapie vermehrt Knochenbrüche auftreten können [2]. Diese selbst in der Fachinformation aufgeführten Langzeiteffekte bilden aber nur die Spitze des Eisberges. In den letzten 15 Jahren stieg mit den Verordnungszahlen auch die Zahl der Studien, die weitere mögliche Langzeitwirkungen der Präparate zutage förderten (s. Abb.).

Abb.: Übersicht über mögliche Langzeitneben­wirkungen von Protonenpumpeninhibitoren

Geschwächte Säurebarriere

Wird die Magensäureproduktion über eine lange Zeit gehemmt, hat das z. B. Auswirkungen auf die Infektabwehr. Aufgenommene Erreger werden normalerweise durch das saure Milieu abgetötet. Steigt der pH-Wert im Magen durch die Hemmung der Protonenpumpen aber, schwächelt die Säurebarriere und lässt Erreger passieren. Pathogene werden so in den Darmtrakt weitergeleitet oder können durch Aspiration von Mageninhalt in die Lunge geraten [2]. Zusätzlich scheinen die PPI auch das Immunsystem zu dämpfen, beispielsweise über eine verminderte Zytokinausschüttung oder eine verminderte Aktivität von neutrophilen Granulozyten [3]. In Verbindung gebracht wird der Langzeitgebrauch von Protonenpumpenhemmern daher mit Clostridioides-difficile-Durchfällen, Lungenentzündungen bzw. Atemwegsinfekten und einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Dünndarms (small intestine bacterial overgrowth, SIBO). Auch wenn der mechanistische Hintergrund einleuchtend klingt, lässt sich aus den Fallberichten und meist retrospektiven Beobachtungsstudien zu der Problematik nicht immer ein klarer Zusammenhang ableiten [2, 4]. Einzig im Fall von Infektionen mit Clostridioides difficile wurde eine entsprechende Warnung in die Fachinformationen aufgenommen.

Infektionen bei Kindern

Eine aktuelle französische Kohortenstudie lenkt die Aufmerksamkeit nun von den meist älteren Risikopatienten zusätzlich auf kleine Kinder und deren Infektionsrisiko [5]. Denn schon in jungen Jahren werden vermehrt Protonenpumpenhemmer verordnet. Beispielsweise nahmen 0,2% der 0- bis 5-Jährigen und 1,6% der 5- bis 18-Jährigen in Deutschland (2013) und 6,1% der unter Zweijährigen in Frankreich (2019) schon einmal PPI ein [6, 7]. Die Autoren der Studie werteten Daten von über 1,2 Mio. Kindern (medianes Alter bei Studieneinschluss 84 Tage) aus. Knapp die Hälfte von ihnen nahm in der medianen Follow-up-Zeit von 3,8 Jahren mindestens einmal einen Protonenpumpenhemmer ein (mediane Behandlungsdauer 118 Tage). Das Ergebnis: Um 34% erhöhten die Präparate das Risiko der Kinder, aufgrund einer schweren Infektion hospitalisiert zu werden (adjustierte Hazard Ratio [aHR]: 1,34; 95%-KI: 1,32 bis 1,36). Das galt für ein breites Spektrum an Krankheiten: für Infektionen des Magen-Darm-Trakts (aHR: 1,52; 95%-KI: 1,48 bis 1,55), des HNO-Bereichs (aHR: 1,47; 95%-KI: 1,41 bis 1,52) der unteren Atemwege (aHR: 1,22; 95%-KI: 1,19 bis 1,25), der Harnwege (aHR: 1,20; 95%-KI: 1,15 bis 1,25) und des Nervensystems (aHR: 1,31; 95%-KI: 1,11 bis 1,54) sowie bakterielle (aHR: 1,56; 95%-KI: 1,50 bis 1,63) und virale Infektionen (aHR: 1,30; 95%-KI: 1,28 bis 1,33). Oftmals würden PPI den Autoren zufolge schon bei einem unkomplizierten Reflux eingesetzt, der in den ersten Lebensjahren häufig auftreten kann. Die Wirkstoffe bessern die Beschwerden wie Erbrechen, Quengeln und Schreien aber laut internationalen Konsensusleitlinien nicht [8]. Auch bei GERD-Symptomen wie chronischem Husten oder Nahrungsverweigerung sei die Wirkung den Empfehlungen zufolge unsicher. In Deutschland ist Omeprazol als einziger Vertreter für Kinder ab einem Jahr zur Therapie einer Refluxösophagitis und von Sodbrennen und Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre bei gastroösophagealer Refluxkrankheit zugelassen. Für ganz kleine Patienten muss der Wirkstoff suspendiert werden.Einer Studie aus Bayern zufolge wurden PPI zwischen 2010 und 2019 an 3,4% der unter 18-Jährigen verordnet [17]. Am häufigsten wurden die Rezepte für die Off-Label-Indikationen Gastritis (34,5%) und Magenschmerzen bzw. dyspeptische Beschwerden (13,0%) ausgestellt, gefolgt von der On-Label-Indikation gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) (10,9%) sowie als Magenschutz (6,6%). Das ergaben die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern [17].

Machen PPI dement?

Für ältere Patienten wiederum wird diskutiert, ob Protonenpumpenhemmer im Langzeitgebrauch die Entwicklung einer Demenz begünstigen. Zwei aktuelle Metaanalysen lassen in dieser Frage keine klaren Schlüsse zu [9, 10]. Neue Studienergebnisse aus den USA geben möglichen Bedenken aber wieder Auftrieb [11]. Im Rahmen einer Kohortenstudie mit einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 5,5 Jahren nahm knapp ein Viertel (26,1%) der 5712 Studienteilnehmer (Durchschnittsalter 75,4 Jahre) Protonenpumpenhemmer ein – im Schnitt über 4,4 Jahre. Die Wissenschaftler errechneten, dass sich das Demenzrisiko bei einer mehr als 4,4 Jahre andauernden PPI-Einnahme signifikant um 33% erhöhte (Hazard Ratio 1,33; 95%-KI: 1,00 bis 1,77). Als mögliche Pathomechanismen diskutieren die Wissenschaftler die durch die PPI-Einnahme verminderten Vitamin-B12-Spiegel und einen veränderten Stoffwechsel des beta-Amyloids. In Mausversuchen führten Protonenpumpenhemmer zu vermehrten Plaque-Ablagerungen in den Gehirnen [12]. Auch Veränderungen in der Darm-Hirn-Achse seien den Wissenschaftlern zufolge vorstellbar. Für die alternativen H2-Antagonisten identifizierten sie auf der anderen Seite kein erhöhtes Risiko.

Vaskuläres Risiko unter PPI

Möglicherweise sind bei der Entstehung einer Demenz durch PPI auch Gefäßveränderungen von Bedeutung. Denn der Langzeitgebrauch der Protonenpumpenhemmer wird nicht zuletzt mit vermehrten Raten von Schlaganfällen und Nierenerkrankungen in Verbindung gebracht, die ihrerseits selbst Risikofaktoren für eine Demenz darstellen. Chinesische Forscher berechneten in einer Metaanalyse ein um 22% erhöhtes Schlaganfallrisiko (Hazard Ratio 1,22; 95%-KI: 1,00 bis 1,50) im Zusammenhang mit der Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren und postulieren Störungen im NO-Haushalt als mögliche Auslöser [13]. Das Risiko für akute und chronische Nierenerkrankungen auf der anderen Seite erhöhten die Pharmaka einer weiteren Metaanalyse zufolge um 44% (p = 0,013) bzw. 36% (p = 0,012) [14]. Es wird angenommen, dass eine durch die PPI hervorgerufene akute interstitielle Nephritis den Nierenerkrankungen zugrunde liegt und unbehandelt zu fibrotischen Veränderungen der Niere führt.

Mögliche Indikationen für eine PPI-Langzeittherapie

Angepasst an die Empfehlungen der American Gastroenterological Association gelten folgende mögliche Indikationen für eine Langzeittherapie mit Protonenpumpenhemmern [16]:

definitiv indiziert für Langzeitanwendung

  • Barett-Ösophagus
  • klinisch signifikante erosive Ösophagitis
  • Strikturen durch GERD
  • Zollinger-Ellison-Syndrom
  • eosinophile Ösophagitis
  • Magenschutz bei Komedikation mit NSAR für Risikopatienten
  • Verhinderung der Progression einer idiopathischen Lungenfibrose (nach deutschen Leitlinien keine Indikation)

gegebenenfalls indiziert für Langzeitanwendung

  • auf PPI ansprechende Endoskopie-negative Refluxerkrankung, die sich nach dem Absetzen der Protonenpumpenhemmer verschlechtert
  • auf PPI ansprechende funktionelle Dyspepsie, die sich nach dem Absetzen von PPI verschlechtert
  • auf PPI ansprechende Atemwegssymptome durch laryngopharyngealen Reflux, die sich nach dem Absetzen der Protonenpumpenhemmer verschlechtern
  • refraktäre Steatorrhö bei chronischer Pankreas­insuffizienz mit Enzymersatz
  • Sekundärprävention von Magen- bzw. Zwölffingerdarmgeschwüren ohne begleitende Thrombozytenaggregation

Überverordnungen vermeiden

Auch wenn die langfristige Einnahme von Protonenpumpenhemmern mit zahlreichen Langfrist-Nebenwirkungen assoziiert ist, steht der Kausalitätsnachweis in Form von randomisierten kontrollierten Studien in vielen Punkten aus. Bis (und ob überhaupt) solche Daten bereitstehen, kann viel Zeit verstreichen. Trotzdem mahnen die bisherigen Ergebnisse dazu, die Präparate indikationsgerecht und den Leitlinien entsprechend einzusetzen: z. B. bei GERD in der geringsten wirksamen Dosis für vier bis acht Wochen [15]. Langzeittherapien sollten den Empfehlungen einer PPI-Deprescribing-Richtlinie der American Gastroenterological Association nach nur bestimmten Patientengruppen vorbehalten bleiben [16]: z. B. Patienten mit Barett-Ösophagus (Präkanzerose), Strikturen durch GERD, Zollinger-Ellison-Syndrom (Übersekretion von Gastrin und damit Magensäure) oder zum Magenschutz bei der Medikation mit NSAR bei Risikopatienten (z. B. bei Komedikation mit Gerinnungshemmern oder Glucocorticoiden) (s. Kasten „Mögliche Indikationen für eine PPI-Langzeittherapie“). |

 

Literatur

 [1] Ludwig WD, Mühlbauer B, Seifert R. Arzneiverordnungsreport 2022. Springer-Verlag Berlin 2023

 [2] Thurber KM et al. Proton pump inhibitors: Understanding the associated risks and benefits of long-term use. Am J Health Syst Pharm 2023;80:487-494

 [3] Kedika RR et al. Potential Anti-inflammatory Effects of Proton Pump Inhibitors:A Review and Discussion of the Clinical Implications. Dig Dis Sci 2009;54:2312-2317

 [4] KI: ecka A und Szczepanik M. Proton pump inhibitor-induced gut dysbiosis and immunomodulation: current knowledge and potential restoration by probiotics. Pharmacol Rep 2023;75:791-804

 [5] Lassalle M et al. Proton Pump Inhibitor Use and Risk of Serious Infections in Young Children. JAMA Pediatr 2023;e232900 doi: 10.1001/jamapediatrics.2023.2900. Vorab-Online-Veröffentlichung

 [6] Hoffmann F et al. Steigende Verordnungszahlen von Protonenpumpenhemmern im ambulant-ärztlichen Bereich über die Jahre 2005 – 2013. Z Gastroenterol 2015;53:95-100

 [7] Taine M et al. Paediatric outpatient prescriptions in France between 2010 and 2019, a nationwide population-based study: paediatric outpatient prescriptions in France, 2010 to 2019. Lancet Reg Health Eur 2021;7:100129

 [8] Rosen R et al. Pediatric gastroesophageal reflux clinical practice guidelines: joint recommendations of the North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition and the European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2018;66:516-554

 [9] Khan MA et al. No Association LinKI: ng Short-Term Proton Pump Inhibitor Use to Dementia: Systematic Review and Meta-analysis of Observational Studies. Am J Gastroenterol. 2020;115:671-678

[10] Hussain S et al. No association between proton pump inhibitor use and risk of dementia: Evidence from a meta-analysis. J Gastroenterol Hepatol 2020;35:19-28

[11] Northius C et al. Cumulative Use of Proton Pump Inhibitors and Risk of Dementia: The Atherosclerosis Risk in Communities Study. Neurology 2023;10.1212/WNL.0000000000207747

[12] Badiola N et al. The proton-pump inhibitor lansoprazole enhances amyloid beta production. PLoS One 2013;8:e58837

[13] Yang M et al. Regular use of proton-pump inhibitors and risk of stroke: a population-based cohort study and meta-analysis of randomized-controlled trials. BMC Med 2021;19:316

[14] Nochaiwong S et al. The association between proton pump inhibitor use and the risk of adverse KI: dney outcomes: a systematic review and meta-analysis. Nephrol Dial Transplant 2018;33:331-342

[15] S2k-Leitlinie Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis. Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. Registernummer: 021-013. Stand: März 2023. awmf.org/leitlinien

[16] Targownik LE et al. AGA clinical practice update on de-prescribing of proton pump inhibi- tors: expert review. Gastroenterology 2022;162:1334-1342

[17] Rückert-Eheberg IM et al. Who gets prescriptions for proton pump inhibitors and why? A drug-utilization study with claims data in Bavaria, Germany, 2010–2018. Eur J Clin Pharmacol 2022;78:657-667

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen.

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