Arzneimittel und Therapie

Antimikrobielle Therapie 2.0

Closed-loop-Systeme sollen eine personalisierte Antibiose ermöglichen

Eine automatisierte Therapie mit Antiinfektiva, basierend auf individuellen pharmakokinetischen und -dynamischen Parametern, die in Echtzeit gemessen werden – noch ist solch ein Konzept Zukunfts­musik. Ermöglichen könnte dies jedoch ein Closed-loop-System, das ähnlich einer künstlichen Bauchspeicheldrüse Antibiotika-Dosierungen an biosensorisch erfasste Wirkstoffspiegel anpasst. Wo könnte dieser Ansatz eingesetzt werden?

Schwer kranke Intensivpatienten mit Infektionen profitieren von einer frühzeitigen und adäquat hohen Antibio­tikagabe. Die schnelle und wirksame antimikrobielle Intervention führt zu einer deutlich verringerten Sterblichkeit innerhalb der Patientengruppe. Studien zeigen, dass ein optimales klinisches Outcome die Ausrichtung der Therapie auf pharmakokinetische und pharmakodynamische Parameter voraussetzt [1]. Die Pharmakokinetik von schwer Infizierten variiert interindividuell und unterscheidet sich von anderen Patientengruppen. Intensivpatienten haben häufig erhöhte Verteilungsvolumina aufgrund von Flüssigkeitsverschiebungen und verringerter Plasmaproteinbindung sowie eine veränderte renale Clearance [1, 2]. Die pharmakokinetische Variabilität sowie der Umstand, dass Standarddosierungen auf Dosisfindungsstudien bei nicht kritisch Kranken basieren, machen es so schwierig, für Intensivpatienten eine sicher wirksame, nicht toxische Dosierung festzulegen. Subtherapeutische Konzentrationen sind nicht nur mit einem Wirkverlust verbunden, sie bergen auch die Gefahr, Resistenzen zu fördern [1]. Ein personalisierter Ansatz mit individueller Dosisanpassung ist somit also insbesondere bei Intensivpatienten erforderlich. Bis zu einem gewissen Grad wird dieses Prinzip mit dem therapeutischen Drug Monitoring (TDM) verwirklicht. TDM ist jedoch ein komplexer Prozess, der das rich­tige Timing bei der Blutentnahme, einen Probentransport ins Labor, eine Probenverarbeitung und deren Ana­lyse sowie eine Überprüfung und Interpretation der erhaltenen Ergebnisse durch den Arzt erfordert [3].

Foto: Tyler Olson/AdobeStock

Insbesondere kritisch kranke Patienten, die eine Antibiose benötigen, könnten von dem neuen personalisierten Ansatz profitieren.

Automatisierte Abgabe

Technologische Lösungsansätze sind deshalb schon seit einigen Jahren Gegenstand der Forschung. Closed-loop-Systeme für die automatisierte Verabreichung von Arzneimitteln werden bereits erfolgreich in Form von Hybridmodellen bei Diabetespatienten zur konstanten Versorgung mit Basal-Insulin eingesetzt [3, 4]. Solche Sys­teme arbeiten nach dem Prinzip der Rückkopplung, bei dem ein Zielsignal mit einer unmittelbaren Messung verglichen wird. In Studien wird nun überprüft, wie sich dieses Konzept auf die antimikrobielle Therapie übertragen lässt. Es erfordert eine kontinuierliche Messung der Antibiotikaspiegel in Echtzeit und einen Algorithmus, der ohne menschliche Intervention eine Medikamentenpumpe steuert, die Antibiotikadosierungen optimiert gegen einen Sollwert, z. B. die Ziel­wirkstoffkonzentration, abgibt [3, 5].

Britische Wissenschaftler testeten bereits erfolgreich einen Biosensor, der den Phenoxymethylpenicillin-Spiegel überwacht. Der mit β-Lactamase-Enzym beschichtete Mikronadel-­Biosensor reagiert in der Epidermis auf pH-Wert-Veränderungen, die durch die Hydrolyse des β-Lactam-Antibiotikums in der interstitiellen Flüssigkeit ausgelöst wird [5, 6].

Projekt TeleKasper: Rationaler Umgang mit Antibiotika

Ein anderer Ansatz zur Optimierung der antimikrobiellen Therapie verfolgt ein nachhaltiges, rationales Umdenken bei der Behandlung von Patienten mit Infektionen. Nur wenn antiinfektive Therapien so zielgerecht wie möglich erfolgen, können Resistenzbildungen vermieden werden. Ein verändertes Verständnis erfordert jedoch Aufklärung und Schulung. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin Antibiotika häufig und unkritisch verordnet werden, hat ein interdisziplinäres in­fektiologisches Expertenteam aus vier deutschen Universitätskliniken im Oktober 2020 das Projekt TeleKasper (Telemedizinisches Kompetenznetzwerk Antibiotic Stewardship in Pediatrics) ins Leben gerufen. Spezialisten für pädia­trische Infektiologie vernetzen sich mit Kinderärzten nicht-universitärer Kliniken, um diese in rationalen antiinfektiven Strategien zu schulen und bei der Findung eines optimalen Therapieregimes zu unterstützen. Angelegt ist das Projekt auf drei Jahre. Langfristig soll jedoch ein systematisches, rationales Versorgungskonzept etabliert werden.

Eine App stellt einen Antiinfektiva­-Leitfaden sowie ein Nachschlagewerk für die Ärzte bereit und bietet zudem die Möglichkeit, gezielt Fragen zu stellen. In Form eines telemedizinischen Konsils können Patientenfälle gemeinsam dis­kutiert werden. Geplant sind außerdem Fortbildungen per Videokonferenz [7].

Erregerbestimmung

Es sind jedoch nicht nur technologische Hindernisse, die es noch zu bewältigen gilt. Eine schnelle Intervention basierend auf pharmako­kinetischen und pharmakodynamischen Parametern erfordert auch die unmittelbare Identifikation des Infektionserregers. Da dies eine zeitauf­wendige Kultivierung benötigt und bei schweren Infektionen rascher Handlungsbedarf besteht, kann bisher nur der wahrscheinlichste Erreger an­genommen und die durchschnittliche minimale Hemmkonzentration bestimmt werden [5].

Fazit

Closed-loop-Systeme in Verbindung mit kontinuierlicher Biosensorik haben das Potenzial, in Zukunft eine präzise personalisierte Antibiotika­therapie zu ermöglichen. Der kritisch kranke Patient profitiert dann von einer schnellen, optimal wirksamen und verträglichen Arzneimittelgabe, die seine Behandlungsergebnisse verbessern und einer Resistenz­bildung entgegenwirken. |

Literatur

[1] Roberts JA, Abdul-Aziz MH, Lipman J et al. Individualised antibiotic dosing for patients who are critically ill: challenges and potential solutions. Lancet Infect Dis 2014;14(6):498-509, doi: 10.1016/S1473-3099(14)70036-2

[2] Roberts JA, Paul SK, Akova M et al. DALI: defining antibiotic levels in intensive care unit patients: are current β-lactam antibiotic doses sufficient for critically ill patients? Clin Infect Dis 2014;58(8):1072-1083, doi: 10.1093/cid/ciu027

[3] Rawson TM, Wilson RC, O‘Hare D et al. Optimizing antimicrobial use: challenges, advances and opportunities. Nat Rev Microbiol 2021;19(12):747-758, doi: 10.1038/s41579-021-00578-9

[4] Alltagsdaten zum MiniMed™ 780G System Mehr Zeit im Zielbereich und Unterstützung im Alltag für Menschen mit Typ-1-Diabetes. Medieninformation von Medtronic, 25. Mai 2022, www.medtronic.com/de-de/ueber/news/medieninformationen/alltagsdaten-minimed-780g.html

[5] Rawson TM, O‘Hare D, Herrero P et al. Delivering precision antimicrobial therapy through closed-loop control systems. J Antimicrob Chemother 2018;73(4):835-843, doi: 10.1093/jac/dkx458

[6] Rawson TM, Gowers SAN, Freeman DME et al. Microneedle biosensors for real-time, minimally invasive drug monitoring of phenoxymethylpenicillin: a first-in-human evaluation in healthy volunteers. Lancet Digit Health 2019;1(7):e335-e343, doi: 10.1016/S2589-7500(19)30131-1

[7] Gemeinsam für einen rationalen Antibiotikaeinsatz. Informationen zum TELEmedizinischen Kompetenznetzwerk Antibiotic Stewardship in PEdiatRics, www.tele-kasper.de/zum-projekt/fbcaaaeee22c8b0f

Apothekerin Judith Esch

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