Aus der Hochschule

Der Extrakt ist der Wirkstoff!?

Marburger Doktorandinnen und Doktoranden zu Gast bei Engelhard

Die Tore der Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG in Niederdorfelden öffneten sich am 15. August 2023 für eine Gruppe von 35 Mit­arbeitenden aus den drei Arbeitsgruppen der Pharmazeutischen Biologie der Universität Marburg (AGs Petersen, Li, Reher). Ziel des diesjährigen Betriebsausflugs war es, den Teilnehmenden die Möglichkeit zu bieten, tiefe Einblicke in die Produktion von Phytopharmaka sowie in die translationale, evidenzbasierte Forschung zu gewinnen.

Pflanzliche Arzneimittel gewinnen in der modernen Medizin zunehmend an Bedeutung. Angesichts des wachsenden Interesses der Gesellschaft an alternativen Behandlungsansätzen ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Einsatz von Phytopharmaka auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen fußt. Die Erforschung von Phytopharmaka, insbesondere die Identifizierung aktiver Wirkstoffe in Extrakten, spielt eine bedeutende Rolle im Kontext der rationalen Phytotherapie, die auf einer evidenzbasierten Her­angehensweise basiert. Der Betriebsausflug zur Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG hat die Verbindung zwischen akademischer Forschung und praktischer Anwendung greifbar gemacht. Während des Ausflugs hatten die Mitarbeitenden der Pharmazeutischen Biologie die Gelegenheit, die Herstellungsprozesse und die evidenzbasierte Forschung hinter Produkten wie dem Efeu-Spezial-Extrakt EA 575® (Prospan®) näher zu erkunden. Weiterhin bot diese Exkursion auch einen Einblick in die vielfältigen Karrierechancen in den Bereichen Forschung und Industrie.

Foto: Philipps-Universität Marburg

Die Exkursionsgruppe aus Marburg vor dem Gebäude der Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG in Niederdorfelden

Larissa Wansch und ihr Team lieferten umfassende Einblicke in die Struktur und den Betriebsalltag des Pharmaunternehmens. Nach einer kurzen Einführung in die über 150-jährige Firmenhistorie (die Firma Engelhard gründete sich aus der Rosenapotheke in Frankfurt), folgte ein spannender Fachvortrag von Prof. Dr. Hanns Häberlein (Universität Bonn), welcher die translationale Brücke zwischen traditionellem Heilwissen und modernster pharmazeutischer Forschung schlug.

Bei einer Bronchitis sind die Atem­wege weitgehend von hochviskosem Schleim bedeckt, welcher die Ziliarbewegung beeinträchtigt und ein Abhusten erschwert. Dies führt auf zellulärer Ebene zu Stress, welcher dann zur Ausschüttung von (Nor)adrenalin führt. Daraufhin aktiviert Adrenalin β2-adrenerge Rezeptoren, was die Produktion von Surfactant erhöht und zu einer Erniedrigung der Viskosität des zähflüssigen Schleims (verbesserte mukoziliäre Clearance) führt.

Durch die Aktivierung β2-adrener­ger Rezeptoren auf Muskelzellen wird die interzellulare Calcium-Freisetzung gehemmt und so eine Muskelrelaxation hervorgerufen, dies erklärt den bronchospasmolytischen Effekt. Diese beschriebenen Mechanismen des menschlichen Körpers sind aufgrund einer negativen Feedback-Reaktion zeitlich limitiert. Wenn es zu einer über­mäßigen Beanspruchung bzw. Aktivierung der β2-adrenergen Rezeptoren kommt, werden diese in die Zelle internalisiert und anschließend entweder degradiert oder recycelt. Durch diesen Effekt reduziert sich die Rezeptoranzahl in den aktiven Bereichen, den „funktionalen Mikrodomänen“. Daher ist das therapeutische Ziel die Aufrecht­erhaltung einer hohen Anzahl von funktionalen β2-adrenergen Rezeptoren, um die maximalen beschriebenen Effekte zu erhalten.

Ein wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoff des Efeu-Spezial-Extrakts EA 575® (Prospan®), das pentazyklische Triterpensaponin α-Hederin, ist neben weiteren Saponinen ein wichtiger Modulator, der die Internalisierung von β2-adrenergen Rezeptoren unter stimulierenden Bedingungen verhindert.

Die Saponine im Spezialextrakt EA575® erzeugen durch deren oberflächenaktiven Wirkung eine erhöhte Fluidität der Biomembran und „funktionalen Mikrodomänen“, beobachtbar per Einzelmolekülmikroskopie. Außerdem wird die GRK2-vermittelte Phosphorylierung der Rezeptoren als auch die β-Arrestin-Bindung erschwert und somit die Rezeptor-Deaktivierung (switch-off-mechanism) verhindert.

Die Firma Engelhard legt großen Wert auf Wirksamkeit und Sicherheit und bemüht sich um eigene klinische Studien, was den EA 575® zu einem der bestuntersuchten Phytopharmaka weltweit macht. Dr. Lukas Übbing berichtete über Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse, bei der die Verumgruppe mit EA 575® eine deutliche und hoch­signifikante Reduktion des Bronchitis Severity Score (BSS) im Vergleich zu Placebo zeigte, trotz starkem Placeboeffekt.

Auf die theoretischen Einblicke folgte eine aufschlussreiche Führung durch die 8000 m² großen Produktionsanlagen, natürlich nach dem Überziehen von Schutzkleidung entsprechend der GMP-Richtlinien. Hier konnten die Doktorandinnen und Doktoranden hautnah erleben, wie der Abfüllungsprozess von der Braunflasche bis zum Endprodukt gestaltet ist. Bis zu 250.000 Flaschen Prospan werden vollautomatisiert pro Tag versandfertig hergestellt. Die Bedruckung der Prospan-Endverpackung in mehreren Landessprachen verdeutlicht die internationale Beliebtheit des Produktes.

Die Beobachtung der finalen Befüllung der Prospan®-Hustenliquid Stickbeutel durch drei hocheffiziente „Robis“, Robotorarme, die vollautonom in einer enormen Geschwindigkeit und scheinbar „chaotisch“ verschiedene Packungen parallel befüllen, wägen und Fehler selbstständig korrigieren, beeindruckte.

Insgesamt bot die Exkursion eine wertvolle Erweiterung des Horizonts und zeigte die bedeutende Rolle pflanzlicher Extrakte im modernen medizinischen Kontext. Unser herz­licher Dank gilt Sonja Hiemenz vom Institut für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie der Universität Marburg sowie Larissa Wansch von Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG für die hervorragende Organisation und Durchführung. |

Amira Naimi, Apothekerin und DoktorandinProf. Dr. Raphael Reher, Qualifikations­professor für Pharmazeutische Bioanalytik und Naturstoffforschung, Philipps-Universität Marburg

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