Aus den Ländern

Für mehr Qualität: Ein Labor im Koffer

Beim World Health Summit sind gefälschte und minderwertige Arzneimittel ein Thema

Gefälschte Arzneimittel tauchen in Deutschland selten auf. Doch in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen ist rund jedes zehnte Arzneimittel gefälscht oder minderwertig. Beim World Health Summit in Berlin am 15. Oktober war die global schlechte Arzneimittelqualität Thema. Im Fokus stand ein Labor im Koffer, das einfache Analysen ermöglicht.

Gefälschte Arzneimittel tauchen in Deutschland selten auf. Doch in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen ist rund jedes zehnte Arzneimittel gefälscht oder minderwertig. Beim World Health Summit in Berlin am 15. Oktober war die global schlechte Arzneimittelqualität Thema. Die Konferenz zur globalen Gesundheit entwickelt sich zur weltweit größten ihrer Art. Im Fokus stand dieses Mal ein Labor im Koffer, das einfache Analysen ermöglicht. Doch für die Lösung des Problems ist weit mehr nötig.

Insulin statt Sematlutid: Folgen können lebensbedrohlich sein

Am 11. Oktober 2023 warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor einem gefälschten Arzneimittel: Ozempic-Fertigpens . Das BfArM rief Apotheken auf, die Primärverpackungen von Ozempic®-Pens auf Echtheit zu überprüfen. Die Fälschungen ähneln optisch stark Apidra® Solostar, das Insulin glulisin enthält. Nehmen Patienten statt Sema­glutid Insulin ein, drohen Hypoglyk­ämien, die lebensbedrohlich sein können. Ob es sich bei den Fälschungen tatsächlich um umdeklarierte Insulinpens handelt, stand bei Redaktionsschluss jedoch noch nicht fest. Das Gute: Wie das BfArM auf Anfrage mitteilte, sei die Fälschung mit dem Securpharm-System vor der Lieferung an eine Apotheke erkannt worden. Es sei einer der ersten Fälle, „bei dem mithilfe des Serialisierungssystems eine Fälschung in der legalen Lieferkette auf Großhändlerebene identifiziert wurde“, antwortete ein Sprecher.

Wer sich als Apotheker oder Patient durch diese Fälschung verunsichert fühlt, kann nachvollziehen, wie es Milliarden von Menschen weltweit ergeht. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen 10,5 Prozent aller Arzneimittel gefälscht oder minderwertig. Der Definition nach müssen bei gefälschten Arzneimitteln die Hersteller mutwillig gehandelt haben. Minderwertige Arzneimittel sind zwar zugelassen, erfüllen aber nicht die Qualitätsstandards. Das ist oft auf Fahrlässigkeit von Herstellern zurückzuführen, Mutwille ist nicht nachweisbar. Laut Berechnungen des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) könnten allein in Sub-Sahara-Staaten jährlich eine halbe Million Menschen an den Folgen von minderwertigen und gefälschten Arzneimitteln sterben. Die indirekten Konsequenzen sind noch schwieriger zu erfassen. Patienten, Pflegekräfte, Apotheker und Ärzte verlieren das Vertrauen in die Gesundheitssysteme. Möglicherweise befeuern gefälschte und minderwertige Arzneimittel Antibiotikaresistenzen, wie Autoren im Oktober in „Nature Communications“ diskutierten – auch wenn hierzu Studien fehlen.

Foto: Tillmann Konrad

Ein Minilabor im schwarzen Koffer Das Minilabor ermöglicht Analysen von bis zu 113 unterschiedlichen Wirkstoffen – bis 2025 sollen es 125 werden.

World Health Summit ehrt das Mini-Labor

Sichtbar werden sollen die gefälschten und minderwertigen Arzneimittel in Ländern mit wenig Ressourcen mithilfe eines großen, schwarzen Koffers. Es ist das „GPHF MinilabTM“. Das ist ein mobiles Labor des Global Pharma Health Fund (GPHF), einer Initiative der Firma Merck. Das Innere des Koffers ist tiefschwarz ausgesäumt. In der oberen Schalenhälfte sind die weißen Behältnisse mit Referenzsubstanzen. Unten im Koffer befinden sich Glas­geräte, Peleusball, Analysenprotokoll und alles Übrige, was es für eine Dünnschichtchromatografie braucht.

Das GPHF Minilab gibt es seit 25 Jahren. Zudem ist im August der 1000. Koffer gespendet worden, diesmal ging es nach Ruanda. Zur Feier berichteten Forscher, Politiker, Ver­treter der WHO oder von Gesundheitseinrichtungen in Kenia und Uganda von ihrer Arbeit gegen gefälschte und minderwertige Arzneimittel.

Die Materialkosten belaufen sich auf 7,45 Euro

In stark verkürzter Form läuft die GPHF-Minilab-Prüfung wie folgt ab: Im ersten Schritt wird die Verpackung und Optik des Arzneimittels überprüft. Apotheker in Deutschland kennen diesen Schritt als Fertigarzneimittelprüfung. Als zweiter Schritt werden die Tabletten gewogen und das Gewicht kontrolliert. In Schritt drei wird das Lösungs- und Freisetzungsverhalten der Tabletten getestet. Als vierter Schritt wird eine Dünnschichtchromatografie mithilfe der Utensilien durchgeführt, die sich im Koffer befinden.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 belaufen sich die Materialkosten, die bei einer Probe mit dem Minilab an­fallen, auf durchschnittlich 7,45 Euro. Die Kosten variieren je nachdem, wohin der Koffer geliefert und mit wie vielen Referenzsubstanzen er ausgestattet werden muss. Derzeit ermöglicht der GPHF-Koffer Analysen von bis zu 113 unterschiedlichen Wirkstoffen, bis 2025 sollen es 125 werden.

Forschung führt zu Rückrufen

Beim World Health Summit berichtete Richard Neci, welchen Stellenwert das mobile Labor für ihn in Kenia hat. In der Hauptstadt Nairobi ist Neci der geschäftsführende Direktor beim Ökumenischen Pharmazeutischen Netzwerk (EPN), einem Zusammenschluss aus kirchlichen Gesundheitseinrichtungen . Seit 2015 hat sein Team beim EPN mit dem Minilab mehr als 8800 Arzneimittel untersucht. Allein im Jahr 2021 konnten sie 12 gefälschte und 67 minderwertige Arzneimittel erkennen und aus ihrer Lieferkette verbannen. Das Minilab habe nicht nur geholfen, schlechte Arzneimittel zu identifizieren und vom Markt zu nehmen. „Es hat auch das Bewusstsein der Menschen für das Problem geschärft und die Zusammenarbeit mit den Behörden und Forschern verbessert“, sagte Richard Neci.

Eine der Forscherinnen, mit der Richard Neci zusammenarbeitete, ist die Apothekerin Julia Gabel. Sie promoviert an der Universität Tübingen zur Arzneimittelsicherheit in afrikanischen Ländern. Unter anderem versucht sie mit ihrer Forschung den Werkzeugkasten für Arzneimittel­qualitätsprüfungen zu erweitern. Sie entwickelt Methoden, um mittels Nahinfrarot-Spektroskopie die Arzneimittelqualität essenzieller Wirkstoffe in ärmeren Ländern zu überprüfen. Gut möglich, dass der schwarze Koffer künftig durch ein Spektrometer ergänzt wird. Das würde den Durchsatz der Analysen enorm steigern.

Mitarbeiter aus Nigeria senden die Proben nach Tübingen

Gabel präsentierte bei ihrem Vortrag Ergebnisse einer Studie, in der die DC aus dem Koffer in Nigeria zum Einsatz kam. In Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Pharmazeutischen Netzwerk ließ sie Arzneimittel mit 13 verschiedenen Wirkstoffen aus unterschiedlichen Quellen sammeln und per Minilab untersuchen – darunter Antiinfektiva, Blutdruckmittel oder das Corticoid Dexamethason.

Die Mitarbeiter in Nigeria sendeten die Proben nach Tübingen. Dort untersuchten Gabel und ihr Team die Proben mit Arzneibuchmethoden. Einige der gesammelten Arzneimittel, deklariert als Sulfamethoxazol und Trimethoprim (Cotrimoxazol) oder Chloroquin, enthielten keinen Wirkstoff. Eine Dexamethason-Probe beinhaltete nur die Hälfte der angegebenen Wirkstoffmenge – das mache den Fälschungsverdacht wahrscheinlich. Gabel übermittelte die Ergebnisse an die WHO, die anschließend die lokalen Gesundheitsbehörden warnte.

„Wir haben über 200 Medikamente gesammelt und schon dort vier Fälschungen gefunden“, sagt Gabel im Gespräch mit der DAZ. Die Fälschungen stammten alle von Märkten, wo unklar war, ob diese offiziell lizenziert waren und die Vertriebsketten kontrolliert wurden. „Häufig ist dort die Menge an Medikamenten, die keine gute Qualität haben, sehr viel höher.“

Wie alle Redner der Konferenz betont auch Gabel, dass der Koffer eine wichtige Hilfe im Kampf gegen gefälschte und minderwertige Arzneimittel ist – aber nicht die einzige Lösung. „Man muss auch an der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Medikamenten arbeiten“, sagt sie. Bei nicht-lizenzierten Händlern seien Arzneimittel oft billiger und leichter zu bekommen als in Apotheken. „Wenn ich das Geld nicht habe oder das Medikament nicht verfügbar ist, muss ich irgendetwas stattdessen machen.“ Ein Großteil der Menschen geht dann zu illegalen Händlern, bei denen die Qualität nicht sichergestellt ist.

In Deutschland ist das Problem um ein Vielfaches geringer, die Mechanismen aber ähnlich. Wo die Nachfrage den legalen Arzneimittelmarkt übersteigt, füllen Produzenten mit geringeren Standards oder Fälscher die Lücken. Sei es, weil die Nachfrage bei Lifestyle-Arzneimitteln wie Sildenafil, Steroiden zum Muskelaufbau oder Semaglutid ungewöhnlich hoch ist. Oder weil auch hier die Verfügbarkeit bestimmter Arzneimittel zurückgeht.

Erkennen von Fälschungen wird auch in Deutschland wichtiger

Während ihrer Promotion bei Professor Lutz Heide an der Universität Tübingen hilft Gabel jährlich, für Pharmaziestudierende und Apotheker den Kurs „Pharmacy in Global Health“ zu organisieren. Dort lernen die Teilnehmenden in einem für Pharmazeuten zugeschnittenen Programm die Grundlagen der Entwicklungszusammenarbeit, Katastrophenpharmazie oder das Erkennen von Fälschungen per Fertigarzneimittelprüfung. Die Apothekerin vermutet, dass diese Fertigkeiten in Zukunft hierzulande wieder wichtiger werden. „Ich glaube, wir sind in Deutschland ein bisschen verwöhnt“, sagt Julia Gabel gegenüber der DAZ. Arzneimittelsicherheit sei hier ein gegebenes Gut. „Aber jetzt, wo es immer mehr Lieferengpässe gibt, müssen wir vorsichtiger werden – sodass wir auch hier die Qualität sicherstellen können.“ |

Marius Penzel

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