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Arzneimittel und Therapie
Triggert SARS-CoV-2 die Entwicklung von Typ-1-Diabetes?
Einjährige mit genetischem Risiko besonders anfällig
Auch wenn Typ-1-Diabetes am häufigsten während der Pubertät ausbricht und sich dann erst Symptome bemerkbar machen, beginnt die Entwicklung der chronischen Erkrankung meist schon in den ersten beiden Lebensjahren. Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Auslöser ist eine Autoimmunreaktion gegen die körpereigenen Insulin-produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Als Biomarker für diese Autoimmunreaktion gelten sogenannte Inselautoantikörper. Die Ursachen für die Entstehung sind multifaktoriell und bis heute noch nicht vollständig geklärt. Zwar begünstigen bestimmte Gene die Entwicklung der Autoimmunreaktion, jedoch haben fast 90% aller Betroffenen keinen nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes.
Im Verdacht: Frühe Virusinfektionen
Mit longitudinalen Geburtenkohorten, wie der BabyDiab- und der TEDDY-Studie, konnten in den letzten Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse über die Entstehung des Typ-1-Diabetes gewonnen werden [1]. Die Langzeitstudien mit bis zu 30 Jahren Nachbeobachtung konnten auch zeigen, dass Kinder, die in den ersten beiden Lebensjahren besonders häufig Infektionen der Atemwege ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko haben, Inselautoantikörper zu entwickeln.
Insbesondere frühkindliche Virusinfektionen werden bisher als Faktor für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes angesehen. Seit einiger Zeit stehen beispielsweise Coxsackie-Viren im Verdacht, die Entwicklung der krankheitsauslösenden Immunreaktion zu begünstigen. Der vermutete Mechanismus dahinter: Die Insulin-produzierenden Betazellen verfügen über bestimmte Rezeptoren, über welche die Viren in die Zellen eindringen können. Damit würden die Inselzellen zum Ziel des Immunsystems und die Entwicklung von Inselautoantikörpern begünstigt.
SARS-CoV-2-Infektion rückt auf das Radar
Seit der COVID-19-Pandemie gibt es nun ein neues Virus im Kreise der Verdächtigen, denn die Inzidenz von Typ-1-Diabetes nahm während dieser Zeit zu. Dies legt nahe, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 möglicherweise die Entstehung der Stoffwechselerkrankung begünstigen könnte. Erhärtend kommt hinzu, dass auch SARS-CoV-2 die Betazellen der Bauchspeicheldrüse über entsprechende Rezeptoren befallen kann.
Mit COVID-19 steigt Risiko für Typ-1-Diabetes
Im Frühjahr 2023 werteten Forschende von Helmholtz Munich und der TU Dresden gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) Daten von 1,1 Millionen kassenärztlich versicherten Kindern aus, die zwischen den Jahren 2010 und 2018 in Bayern geboren wurden [2]. In der Studienpopulation zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Diagnose Typ-1-Diabetes und dem Auftreten von Antikörpern gegen SARS-CoV-2: Kinder mit durchgemachter Infektion hatten ein um 57% erhöhtes Risiko, Typ-1-Diabetes zu entwickeln, im Vergleich zu Kindern ohne Infektion.
Wie der Pathomechanismus dahinter funktioniert, können die Forschenden noch nicht mit Sicherheit sagen. Das Virus könnte beispielsweise die dem Typ-1-Diabetes zugrunde liegende Entstehung der Autoimmunität begünstigen. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 könnte aber auch eine bereits bestehende Autoimmunität verstärken und so die Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen beschleunigen.
Zeitlicher Zusammenhang der beiden Erkrankungen
Für die POInT-Studie erhoben Forschende der Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (s. Kasten „GPPAD Studienplattform“) klinische Daten von 1050 Kindern mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes zwischen Februar 2018 und März 2021. Eingeschlossen wurden Kinder ab dem sechsten Lebensmonat in Deutschland, Polen, Schweden, Belgien und Großbritannien. Im Abstand von zwei bis sechs Monaten wurde das Blut der Kinder auf das Vorliegen von Inselautoantikörpern getestet, die als Biomarker für ein Frühstadium von Typ-1-Diabetes gelten. Vier verschiedene Inselautoantikörper werden dabei untersucht. Liegen zwei oder mehr davon vor, wird ein Frühstadium von Typ-1-Diabetes diagnostiziert.
Dass der Studienzeitraum in den der COVID-19-Pandemie fiel, erlaubte den Forschenden nun, einer entscheidenden Frage nachzugehen: Besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und der Entwicklung von Typ-1-Diabetes [3]?
Die Forschenden testeten die im Rahmen der POInT-Studie gesammelten Biobank-Blutproben zusätzlich auf SARS-CoV-2-Antikörper. Dies lieferte Aufschluss darüber, ob die Kinder bereits Kontakt mit dem Virus hatten. Von 885 untersuchten Kindern entwickelten während des Studienzeitraums 170 Kinder SARS-CoV-2-Antikörper – knapp 20%. Außerdem wurden bei 60 von 885 Kindern Inselautoantikörper entdeckt – jedes fünfte Kind entwickelte diese gleichzeitig oder kurz nach dem ersten Auftreten von SARS-CoV-2-Antikörpern. Die Studie zeigte, dass das Risiko, Inselautoantikörper zu entwickeln, bei Kindern mit SARS-CoV-2-Antikörpern mehr als doppelt so hoch war als bei Kindern ohne [3].
GPPAD Studienplattform
Als intereuropäisches Konsortium identifiziert die Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) Kinder mit einem um 10% erhöhten genetischen Risiko für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes. In Deutschland wird dieses bevölkerungsbasierte Screening auf ein erhöhtes Risiko im Rahmen der Freder1k-Studie angeboten. Risikokinder werden zur Teilnahme an Studien eingeladen, in denen verschiedene Ansätze zur Primärprävention von Typ-1-Diabetes getestet werden. Die POInT-Studie untersucht die Wirkung von oralem Insulin auf das Immunsystem; der Interventionszeitraum ist bereits abgeschlossen. Die SINT1A-Studie untersucht die protektive Wirkung des Probiotikums Bifidobacterium infantis, das eine potenzielle Dysbiose des Darmmikrobioms ausgleichen soll. Weitere Studien sind in Planung.
Das Alter spielt eine bedeutende Rolle
Unter den Kindern mit durchgemachter Coronavirus-Infektion zeigte sich ein weiterer Faktor als entscheidend: das Alter. Bei Kindern, die vor dem 19. Lebensmonat und insbesondere im Alter von einem Jahr mit SARS-CoV-2 infiziert waren, beobachteten die Forschenden ein fünf- bis zehnfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Inselautoantikörpern.
Bereits in anderen Studien hatte sich dieses Alter als besonders kritisch für die Entwicklung der krankheitsauslösenden Autoimmunreaktion gezeigt. Die Forschenden schließen aus ihren Beobachtungen, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 das Risiko für die Entwicklung von Inselautoantikörpern bei Kindern mit erhöhtem genetischem Risiko begünstigen könnte.
Zusammenhang nicht in allen Studien gefunden
Zuvor hatten andere Studien keinen Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und Typ-1-Diabetes feststellen können. Eine Querschnittstudie mit 47.253 Kindern aus Bayern und 4717 Kindern aus Colorado, USA, verglich Kinder mit und ohne durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion. Zwischen den beiden Gruppen bestand kein Unterschied in der Prävalenz von Inselautoantikörpern [4]. Eine Limitation dieser Studie ist jedoch, dass nicht bekannt war, ob die SARS-CoV-2-Infektion vor oder nach dem ersten Auftreten von Inselautoantikörpern stattgefunden hatte. Auch eine Studie aus Finnland konnte keinen Zusammenhang finden. Hier war jedoch die Infektionsrate bei Kindern zum Zeitpunkt der Analyse extrem gering, sodass die statistische Bewertbarkeit hier eingeschränkt war [5].
Auch innerhalb der TEDDY-Kohorte fanden Forschende keinen Zusammenhang der beiden Erkrankungen bei Jugendlichen zwischen neun und 15 Jahren. Dies unterstützt wiederum die Annahme, dass das Alter zum Zeitpunkt der Infektion eine kritische Rolle spielt [6]. Die aktuelle Studie der Forschenden von der TU Dresden und Helmholtz Munich ist somit die erste, die einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von SARS-CoV-2-Antikörpern und der Entwicklung von Inselautoantikörpern bei Kleinkindern nachweist.
Könnte eine Impfung Typ-1-Diabetes vorbeugen?
Um den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Typ-1-Diabetes und einer Infektion mit SARS-CoV-2 vollständig aufzuklären, ist jedoch weitere Forschung notwendig. Insbesondere stellt sich die Frage, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 im frühen Kindesalter möglicherweise als Primärprävention von Typ-1-Diabetes dienen könnte. SARS-CoV-2 ist das erste Virus, das mit Typ-1-Diabetes in Verbindung steht und für das eine wirksame Impfung verfügbar ist. Weitere Studien sollen also zeigen, ob eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 dieser immunvermittelten Zerstörung der Betazellen vorbeugen kann. Um die steigende Inzidenz von Typ-1-Diabetes bei Kindern in Zukunft eindämmen zu können, ist die Entwicklung von Präventionsstrategien dringend erforderlich. |
Literatur
[1] Ziegler AG. The countdown to type 1 diabetes: when, how and why does the clock start? Diabetologia 2023;66(7):1169-1178, doi: 10.1007/s00125-023-05927-2
[2] Weiss A, Donnachie E, Beyerlein A et al. Type 1 Diabetes Incidence and Risk in Children With a Diagnosis of COVID-19. JAMA 2023;329(23):2089–2091, doi:10.1001/jama.2023.8674
[3] Lugar M, Eugster A, Achenbach P et al, GPPAD Study Group. SARS-CoV-2 infection and the development of islet autoimmunity in early childhood. JAMA 2023;330(12):1151-1160, doi: 10.1001/jama.2023.16348
[4] Rewers M, Bonifacio E, Ewald D et al, ASK Study Group und Fr1da Study Group. SARS-CoV-2 infections and presymptomatic type 1 diabetes autoimmunity in children and adolescents from Colorado, USA, and Bavaria, Germany. JAMA 2022;328(12):1252–1255, doi: 10.1001/jama.2022.14092
[5] Knip M, Parviainen A, Turtinen M et al, Finnish Pediatric Diabetes Register. SARS-CoV-2 and type 1 diabetes in children in Finland: an observational study. Lancet Diabetes Endocrinol 2023;11(4):251-260, doi: 10.1016/S2213-8587(23)00041-4
[6] Krischer JP, Lernmark Å, Hagopian WA et al, TEDDY Study Group. SARS-CoV-2 - No Increased Islet Autoimmunity or Type 1 Diabetes in Teens. N Engl J Med 2023;389:474-475, doi: 10.1056/NEJMc2216477
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