Die Seite 3

Riesen-Lücke

Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Gut 20 Jahre lang stand das Apothekenhonorar mehr oder weniger im Schatten anderer Themen. Dabei war das entscheidende Problem schon bei der Einführung des Kombimodells offensichtlich. Mit dem Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel sollte verhindert werden, dass die Apotheken zu sehr an steigenden Arzneimittelpreisen mitverdienen. Doch selbstverständlich muss ein fester Betrag an steigende Kosten angepasst werden. Die damaligen Beteuerungen, dies noch genau zu regeln, sind heute nichts mehr wert. Es ging zu lange halbwegs gut, aber jetzt ist die entstandene Lücke umso größer. Warum gerade jetzt? Zinsen und Inflation erhöhen die Kosten massiv. Der demografische Wandel verstärkt die Nachwuchssorgen, und nach vielen Apothekenschließungen arbeiten die meisten verbliebenen Apotheken an der Kapazitätsgrenze. Zusätzliche Umsätze bringen ihnen keine Vorteile, sondern erfordern teure Erweiterungen. Dies alles kommt jetzt zusammen und lässt immer mehr Apotheken schließen. Eine Analyse auf Seite 24 beschreibt die Zusammen­hänge und soll als Argumentationshilfe für alle dienen, die in den Apotheken mit politisch Verantwortlichen Kontakt haben. Die Analyse zeigt die finanziellen Dimensionen. Die ABDA leitet ihre Forderung, den Festzuschlag auf 12 Euro zu erhöhen, aus der Preisentwicklung seit 2012 ab. Die Analyse in diesem Heft kommt auf einem anderen Weg praktisch zum gleichen Ergebnis. 1,8 Milliarden Euro mehr für das Apothekenpersonal würden 30 Prozent mehr Gehalt als 2022 ermöglichen und die Arbeitsplätze wieder konkurrenzfähig machen. 1 Milliarde Euro mehr für die Inhaber würde ein Betriebsergebnis in der Größenordnung von 2021 bringen und neue Investitionen zulassen. Beides wären entscheidende Schritte, um das System zu sichern. Mit dem Hinweis auf die notwendige Verwendung des Geldes lässt sich die Politik vielleicht eher gewinnen. Das ist dringend nötig, denn in ihren jüngsten Antworten argumentieren die Bundes­ministerien für Gesundheit und für Wirtschaft beispielsweise mit dem Honorar­zuwachs der Apotheken beim Botendienst, dem 50-Cent-Mini-Honorar für Lieferengpässe und den Erträgen aus Pandemie-Sonderleistungen (siehe Seite 9). Doch die neueren Zusatzhonorare bieten nur Bruchteile der nötigen Beträge, und die Pandemie-Sonderleistungen sind Vergangenheit. Auch diejenigen, die Handlungsbedarf anerkennen, sehen offenbar nicht die Riesen-Lücke, die nicht in diesem Jahr entstanden ist, sondern seit 2004.

Viele Ideen für Veränderungen in der Form der Honorierung sind leider ebenfalls problematisch. Die Analyse in diesem Heft zeigt die Fallstricke. Ein ergänzendes Pauschalhonorar für alle Apotheken bietet viele Vorteile, aber bei einigen komplexen Mechanismen drohen mehr Bürokratie und Verteilungskämpfe. Vor allem dürfen Honorare für neue Leistungen nicht dazu verwendet werden, Defizite in der klassischen Distributionsaufgabe auszugleichen. Die Arzneimittelabgabe muss auskömmlich honoriert werden. Nur so können die Apotheken in ihrer bewährten Ambivalenz als inhabergeführte heilberufliche Unternehmen mit einem kaufmännischen Geschäftsbetrieb existieren und eine hochwertige flächendeckende Arzneimittel­versorgung bieten.

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