Gesundheitsökonomie

Diabetikerbetreuung in Apotheken ist kosteneffektiv

Gesundheitsökonomische Auswertung von GLICEMIA 2.0 bestärkt Dienstleistung

Bei hohen HbA1c-Ausgangswerten ist eine Sekundär- und Tertiärprävention für Typ-2-Diabetiker in der Apotheke kosteneffektiv. Anleitungen zur Lebensstilän­derung und zum Medikationsmanagement sind gemessen an den Kosten für eine Kontrollgruppe wirtschaftliche Maßnahmen. Dies zeigt eine soeben publizierte Aus­wertung der GLICEMIA-2.0-Studie. Das Ergebnis gilt bereits auf Jahressicht, ohne die erwarteten langfristigen Verbesserungen für die Diabetiker zu berücksichtigen. | Von Thomas Müller-Bohn 

Die Studien GLICEMIA und GLICEMIA 2.0 der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Kristina Friedland und des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheitswesen der Bayerischen Landesapothekerkammer (WIPIG) sind wichtige wissenschaftliche Grundlagen für die pharma­zeutischen Dienstleistungen in Apotheken. Das WIPIG entwickelte bereits 2012 das Präventionsprogramm GLICEMIA [1]. Damit wurde gezeigt, dass eine präventive Betreuung von Personen mit hohem Risiko für Diabetes Typ 2 in öffentlichen Apotheken dieses Risiko senken kann.

Erfolg mit GLICEMIA 2.0

Nach der Primärprävention ging es in der Folgestudie GLICEMIA 2.0 um bereits erkrankte Personen, also um die Sekundär- und Tertiärprävention [2]. Dabei wurden Diabe­tiker ein Jahr lang in Apotheken zu erhöhter körperlicher Aktivität und gesunder Ernährung mit entsprechender Gewichtsreduktion angeleitet. Außerdem erhielten sie ein mehrstufiges Medikationsmanagement. Zur Betreuung gehörten jeweils drei persönliche Gespräche, sechs Gruppenschulungen und monatliche Telefongespräche. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten die übliche Beratung in der Apotheke und der Arztpraxis, eine Medikationsliste und schriftliches Informationsmaterial. Jeweils 13 Apotheken in Bayern bildeten die Interventions- und die Kontrollgruppe. An der Studie konnten Typ-2-Diabetiker ab 18 Jahren mit einem HbA1c-Wert über 7 Prozent und einem BMI über 25 kg/m2 teilnehmen, die mindestens drei Arzneimittel als Dauermedikation erhielten, darunter mindestens ein orales Antidiabetikum. Die Apotheken rekrutierten 104 Interven­tions- und 94 Kontrollpatienten. Primärer Endpunkt war der HbA1c-Wert. Er sank in der Interventionsgruppe signifikant im Median von 8,00 Prozent auf 7,30 Prozent, in der Kontrollgruppe ohne sta­tistische Signifikanz um 0,3 Prozentpunkte (siehe DAZ 2021, Nr. 29, S. 32). Im Gespräch mit der DAZ betonte WIPIG-Geschäftsführer Dr. Helmut Schlager, dass die GLICEMIA-Studien die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen pharmazeu­tischer Dienstleistungen liefern (siehe DAZ.online vom 23.07.2021). Zudem kündigte er eine nach­trägliche gesundheitsökonomische Auswertung von GLICEMIA 2.0 an.

Gesundheitsökonomische Auswertung

Diese Auswertung hat im Forschungsinstitut IDC (International Dialog College and Research Institute) an der Wilhelm-Löhe-Hochschule für angewandte Wissenschaften in Fürth unter Leitung von Prof. Dr. Jürgen Zerth (inzwischen Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) stattgefunden. Erstautorinnen sind Cordula Forster (inzwischen dmac, Bamberg) und Katja Prax. Apothekerin Prax war auch eine der Hauptbeteiligten bei GLICEMIA 2.0. Die gesundheitsöko­nomische Auswertung wurde im Dezember 2022 publiziert [3]. Angesichts der Bedeutung des GLICEMIA-Projekts als wissenschaftliche Grundlage für pharmazeutische Dienstleistungen ist zu erwarten, dass auch diese Arbeit in die berufspolitische Diskussion einfließen wird.

Mehr Nutzen bei schlechtem Ausgangswert

Aufgrund der zentralen Bedeutung der Blutzuckerkontrolle können organisierte Versorgungsstrukturen zur Anleitung der Patienten eine wichtige Rolle einnehmen. In der Studie bietet die Apotheke diese Struktur. In der neuen Auswertung zu GLICEMIA 2.0 wird gezeigt, dass Patienten mit hohen HbA1c-Ausgangswerten stärker profitieren als Patienten mit geringeren Werten. Offenbar haben schlechter eingestellte Diabetiker ein größeres Verbesserungspotenzial. Der Teil der Interventionsgruppe mit HbA1c-Ausgangswerten über 7,9 Prozent (Median aller HbA1c-Ausgangswerte) erreichte schon zum ersten Beobachtungstermin nach sechs Monaten einen HbA1c-Wert unter 7,9 Prozent und profitierte deutlich stärker als die Kontrollgruppe. Bei niedrigen Ausgangswerten veränderten sich die Werte hingegen in beiden Gruppen kaum.

Induzierte Kosten nicht verändert

Die gesundheitsökonomische Betrachtung beginnt mit den Kosten. Dabei stellt sich besonders die Frage, ob die Intervention zu Kosteneinsparungen bei der Medikation oder durch eine Verminderung der Arztkontakte geführt hat, also bei den induzierten Kosten. Es konnten allerdings zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede in der Medikation festgestellt werden, auch nicht bei alleiniger Betrachtung von Antidiabetika oder Arzneimitteln für das kardiovaskuläre System. Bei den Arztkontakten spricht die Auswertung für eine verringerte Inanspruchnahme von Diabetologen (Signifikanzniveau p = 0,01825) in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Bei anderen Arztgruppen wurden hingegen keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Daher betrachten die Autoren die induzierten Kosten in beiden Gruppen als gleich. Sie betonen die nur zwölfmonatige Beobachtungszeit, die vermutlich zu kurz ist, um nennenswerte Unterschiede in den Folgekosten festzustellen. Doch eine spätere Follow-up-Betrachtung gab es nicht.

Kosten des Programms

Daher kann in der weiteren Auswertung kein ökonomischer Vorteil aufgrund sinkender Behandlungskosten herange­zogen werden. Auf der Kostenseite bleiben die Kosten der Intervention selbst zu betrachten. Aus drei persönlichen Erhebungen zu je 60 Euro, drei Medikationsanalysen zu je 80 Euro und sechs Vorträgen zu je 5 Euro ergeben sich in der Interventionsgruppe 450 Euro Kosten pro Patient. Für die Kontrollgruppe werden jeweils drei Erhebungen zu je 30 Euro und eine Medikationsanalyse zu 45 Euro angesetzt, also 135 Euro pro Patient. Diese Beträge gehen auf das ARMIN-Projekt zurück und berücksichtigen nicht die inzwischen geltenden Honorare für pharmazeutische Dienstleistungen.

Wirtschaftlich bei schlechten Ausgangswerten

In der gesundheitsökonomischen Auswertung werden die genannten Kosten für die Maßnahmen den Ergebnissen gegenübergestellt. Die Autoren betrachten dazu den „net monetary benefit“. Dabei wird die Verbesserung des HbA1c-Wertes durch die Intervention mit einer gedachten Zahlungsbereitschaft bewertet. Die Intervention gilt als kosteneffektiv, wenn der so ermittelte Wert der Maßnahme größer ist als die zusätzlichen Kosten der Intervention im Vergleich zur Kontrolle, hier also größer als 315 Euro. Dann ist die Maßnahme wirtschaftlich und sie trägt ihre Kosten selbst. Das Ergebnis hängt davon ab, welche Zahlungsbereitschaft unterstellt wird. Die Autoren setzen dabei die Zahlungsbereitschaft für die Kosten in der Kontrollgruppe als gegeben an, variieren diese aber auch und prüfen das Ergebnis für unterschiedliche Annahmen. Dabei erweist sich die Intervention als kosteneffektiv für Patienten mit HbA1c-Ausgangswerten über dem Median, und dies bleibt als Trend auch bei veränderter Zahlungsbereitschaft erhalten. Für Patienten mit geringeren Ausgangswerten gilt dies jedoch nicht.

Langfristige Effekte fehlen

Als Limitation der Arbeit weisen die Autoren auf eine mögliche Selbstselektion der Patienten oder Apotheken hin, weil die Teilnahme freiwillig war und Patienten mit einer größeren Adhärenz für ein solches Projekt eher teilgenommen haben könnten. Doch aus einem anderen Grund droht eher eine Unterschätzung des Vorteils durch die Intervention. Denn auch die Kontrollpatienten haben eine gewisse Betreuung erhalten, weil es den Teams der Kontrollapotheken schwergefallen sein dürfe, sich gar nicht zu kümmern. Eine „normale“ Versorgung als realistischer Vergleichsmaßstab ist in Studien schwierig zu gestalten. Die wichtigste Einschränkung der Aussagekraft dürfte aber in der kurzen Beobachtungsdauer liegen, zumal die wesentliche Motivation für Lebensstiländerungen bei Diabetikern gerade in der Vermeidung von Folgeerkrankungen besteht. Die Autoren ver­weisen dazu auf Untersuchungen von Turnbull, nach denen eine Senkung des HbA1c-Wertes um einen Prozentpunkt das Risiko für einen Myokardinfarkt um 15 Prozent reduziert [4]. Trotz dieser Einschränkungen zeigt die gesundheits­ökonomische Auswertung, dass die untersuchte Sekundär- und Tertiärprävention für Typ-2-Diabetiker in Apotheken bei Patienten mit ungünstigen Ausgangswerten wirtschaftlich ist. |

Literatur

[1] Schmiedel K. Prävention von Typ-2-Diabetes: wissenschaftliche Evaluation von neuen Wegen in der öffentlichen Apotheke (Diss., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) 2015

[2] Prax K, Schmiedel K, Hepp T, Schlager H, Friedland K. Preventive Care in Type 2 Diabetes: Results of a Randomized, Controlled Trial in Community Pharmacies. Diabetes Care 21. 6. 2021; doi.org/10.2337/dc20-2319

[3] Forster C, Prax K, Jaensch P et al. Die gesundheitsökonomische Evaluation der GLICEMIA 2.0-Studie als Beispiel für komplexe Intervention. Gesundheitswesen 2022;84:1165-1173. doi 10.1055/a-1924-7672

[4] Turnbull F, Abraira R, Byington R et al. Intensive glucose control and macrovascular outcomes in type 2 diabetes. Diabetologe, Bd 2009;52:2288-2298

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, DAZ-Redakteur

Wesentliche Herausforderung bleibt!

Ein Kommentar

Thomas Müller-Bohn

Die gesundheitsökonomische Auswertung von GLICEMIA 2.0 bietet den Apotheken eine weitere wissenschaftliche Bestätigung zum Wert ihrer Betreuungsleistung. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass bei nur zwölfmonatiger Betrachtung ein solches Ergebnis erzielt werden konnte. Denn die wesentlichen zu erwartenden Kosteneinsparungen und erst recht die Verbesserungen an Lebensqualität wurden gar nicht erfasst. Dabei geht es insbesondere um schwerwiegende und kostenintensive kardiovaskuläre Folgen. Die entscheidende pharmazeutische Motivation für die Prävention liegt in den langfristigen Vorteilen, die in einer Größenordnung weit oberhalb der Kosten der Intervention erwartet werden. Eine Betrachtung über nur ein Jahr kann das nicht zeigen. Dieser Zeithorizont ist nicht lang genug für die größten zu erwartenden gesundheitlichen und ökonomischen Effekte. Auch eine Veränderung der Medikation kann innerhalb von zwölf Monaten kaum erwartet werden. Im Gegenteil – bei einer Intervention, die die Adhärenz der Patienten erhöhen soll, wäre eine verminderte Medikation auf kurze Sicht eher ein schlechtes Zeichen. Auch hier sind Einsparungen eher langfristig zu erwarten. Damit ergibt sich hier ein ähnliches Problem wie bei der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln gegen chronische Volkskrankheiten. Die geforderten sehr langfristigen Betrachtungen sind praktisch kaum durchführbar und leiden zudem unter vielen Stör­größen. Dies bleibt die wesentliche Herausforderung, um den wirk­lichen Wert pharmazeutischer Interventionen bei chronischen Krankheiten belegen zu können.

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