Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

21.07.2013, 08:00 Uhr


Irgendwie hat man das Gefühl, alle sind so froh und glücklich, dass es jetzt endlich, endlich Sommer ist und man erst mal das erhöhte Honorar, den erniedrigten Kassenabschlag und die Aussicht auf die Nachtdienstpauschale genießen möchte. Alle? Nein, eine kleine Gruppe von Protestapothekern lässt nicht locker und stellt die drängenden Fragen an den ABDA-Präsidenten: Leitbild, Honorarentwicklung, Kassenattacken, Apothekeraufgaben bei der Arzneimittelsicherheit. Es gibt Antworten, aber zu weiche. Herr Präsident, es muss konkreter werden. Mein liebes Tagebuch, was denkt eigentlich die schweigende Mehrheit der Apothekerinnen und Apotheker über die, über ihre Apothekerzukunft?

15. Juli 2013

Überrascht hat das nicht, mein liebes Tagebuch: Die Mehrzahl von 50 getesteten Versandapotheken verhielt sich bei der  Bestellung eines Schlafmittels nicht korrekt. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen nahm 50 große Versender unter die Lupe. Als Testkauf bestellte sie fünf Packungen Betadorm-D à 20 Tabletten. Nur fünf Versender handelten nach Ansicht der Verbraucherzentrale korrekt, indem sie die Abgabe des Arzneimittels vollkommen verweigerten. Alle anderen lieferten alles oder Teilmengen. Und bei der Beratung zeigte sich ein ähnliches Desaster. Auf eine beigefügte E-Mail-Anfrage reagierte jede zehnte Apotheke nicht, die anderen 90 Prozent patzten, versäumten wichtige Hinweise, wiesen nicht auf Neben- und Wechselwirkungen hin oder rieten nicht zum Arztbesuch. Nur sechs der 45 Apotheken, die antworteten, erfüllten die von der Verbraucherzentrale definierten Mindestkriterien. Man hätte sich gewundert, wenn das Ergebnis anders ausgefallen wäre.  Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es bei vielen Versendern nur um den schnellen Umsatz geht. Nur für Dich, mein Tagebuch: Wie hätte das Ergebnis ausgesehen beim Test von  Präsenzapotheken?

Ein klärendes Wort zum Thema Rezeptdaten kam vom Gesundheitsministerium aus Berlin: Sie dürfen auch für andere Zwecke als die Rezeptabrechnung weiterverarbeitet werden, wenn sie anonymisiert sind. Ob sie anonymisiert sind, das haben die Landesdatenschutzbeauftragten zu prüfen. Hier will sich das BMG nicht einmischen. Und was Anonymisierung genau bedeutet, ist im Bundesdatenschutzgesetz und im Zehnten Sozialgesetzbuch geregelt. Sagt das BMG. Klingt eigentlich alles gut geregelt und nachvollziehbar. Und trotzdem gab und gibt es Zoff darüber. Sind die Daten wirklich anonymisiert oder nur pseudonymisiert? Vermutlich werden die Datenschutzbeauftragten der Länder noch genauer hinsehen müssen. Liebes Tagebuch, wir dürfen gespannt sein, wie sich der Datenverkauf der Rechenzentren weiterentwickeln wird.

Unsere lieben österreichischen Nachbarn wollen mit einem Online-Portal der eigenen Art versuchen, dem Versandhandel die Stirn zeigen. Österreichisch eben. Da ab Januar 2014 auch in Österreich OTC-Arzneimittel durch die Alpenrepublik geschickt werden dürfen, wollen die Niedergelassenen als Antwort darauf ein Apothekenportal unter dem Namen „Apotheke bereit“ installieren, auf dem sich die Kunden über Gesundheitsprodukte informieren und diese dann direkt in ihrer Apotheke vor Ort bestellen können. Der Kunde wählt seine Produkte, seine nächstliegende Apo vor Ort und reserviert seine Auswahl zur Selbstabholung. Der Österreichische Apothekerverband glaubt so, dass er Online-Bestellung und -Vorteile mit der Beratung und Sicherheit der Vor-Ort-Apotheke verbinden kann. Mein liebes Tagebuch, ist nett angedacht. So etwas Ähnliches war irgendwann auch mal in Deutschland in der Diskussion. Allerdings, ein bisschen skeptisch bin ich da schon, ob dieses Modell funktionieren kann. Denn als Kunde bekomme ich meine Ware nicht nach Hause geschickt, sondern muss trotzdem in die Apotheke gehen. Wir fragen da Mitte nächsten Jahres mal nach, was draus geworden ist.  

Die Tinte des Bundespräsidenten unterm Apothekennotdienst-Sicherstellungsgesetz ist trocken. Jetzt steht dem Inkrafttreten am 1. August wirklich nichts mehr im Wege. Aufgebracht wird die Pauschale über die Honorarerhöhung um 16 Cent, die auf jede Rx-Packung aufgeschlagen wird und über die Rechenzentren in den Fonds fließt. Für alle in der Apotheke direkt bezahlten Rx-Packungen muss die Apotheke selbst über die Rechenzentren das Geld an den Fonds abführen. Ja, und dann kann die Notdienstpauschale fließen. Wann? Frühestens Ende des Jahres. Wie viel pro Dienst? Das steht noch in den Nachtdienststernen.

16. Juli 2013

Immer dann, wenn der Apotheker bei der Abgabe eines Arzneimittels Wahlfreiheit hat und Aut-idem, d.h. eine Substitution des verschriebenen Arzneimittels nicht ausgeschlossen ist, sollten diejenigen Apotheken, die beim Winthrop-Partnerprogramm mitgemacht haben, ein Arzneimittel der  Pharmahersteller Winthrop und Sanofi-Aventis abgeben. Im Gegenzug profitierten die Apotheken von günstigen Einkaufsbedingungen im Direktbezug (HAP). Die Bayerische Apothekerkammer sah darin eine unlautere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Apotheke, schaltete die Wettbewerbszentrale ein, die vor Gericht zog. Winthrop wollte das nicht so einfach hinnehmen. Nach dem Gang durch mehrere Instanzen bis zum Bundesgerichtshof liegt jetzt das klare Nein zu diesem Geschäftsmodell vor. Mein liebes Tagebuch, das ist auch richtig so. Es passt einfach nicht zusammen, wenn wir Apothekerinnen und Apotheker einerseits unsere Unabhängigkeit hoch halten, andererseits wir uns mit ein paar Einkaufsvorteilen ködern lassen würden. Der Apotheker in seiner inhabergeführten Apotheke muss frei bleiben in seinen Entscheidungen. Punkt.

Die Auseinandersetzungen um die eZigarette halten an. Laut EU-Umweltausschuss sollen sie grundsätzlich dem Arzneimittelrecht unterworfen werden. Wer jetzt glaubt, in seiner Apotheke bald ein Regal für umsatzträchtige eZigaretten und Nikotinliquids freiräumen zu können, dürfte enttäuscht werden. Zum einen müssten sie als „Arzneimittel“ erst durch die Zulassung – das würde dauern – wenn sie überhaupt eine Zulassung erhielten. Zum andern sollten eZigaretten nach dem Willen der EU-Mitgliedsländer auch außerhalb von Apotheken erhältlich sein. Man hätte hier ein Produkt, das der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht untersteht, keine therapeutische Zweckbestimmung hat und als Genussmittel eingesetzt wird. Das passt alles nicht zusammen. Mein liebes Tagebuch, das alles ist noch lange nicht ausgegoren. Die Nikotin-Dampferei ist vom Ansatz her irgendwie, sagen wir’s mal so: schräg.

Wow, der Run auf das Medizin- und Pharmaziestudium ist gewaltig. Rund 70.000 Bewerbungen soll es fürs Wintersemester laut Stiftung für Hochschulzulassung (ehemals ZVS) geben. Da sage mal keiner, dass Medizin und Pharmazie nicht beliebt seien, gell, liebes Tagebuch? Knapp 13.500 Plätze konnten im letzten Wintersemester vergeben werden. 20% werden nach Wartezeit vergeben, 20% nach dem Abiturnotendurchschnitt. Wer da keine 1,x (und x als möglichst kleine Ziffer!) hat, ist chancenlos. Unter den übriggebliebenen Bewerbern suchen sich die Hochschulen selbst die Bewerber aus, z. B. über Vorstellungsgespräche. Und das ist auch gut so. Denn was sagt schon eine Abiturnote aus, ob ich guter Mediziner oder Apotheker werde.

17. Juli 2013

Mein liebes Tagebuch, wir erinnern uns: Die Gruppe der sogenannten Protestapotheker stellte dem ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt ein paar Fragen zum Leitbild, zu den Angriffen der Kassen auf die Apotheker, zur Honorierung und zur Rolle der Apotheker bei der Arzneimittelsicherheit. Die Antwort kam. Neues konnte man ihr nicht entnehmen. Eine Arbeitsgruppe sei am Leitbild dran und werde es auf dem Apothekertag im September vorstellen. Gegen die Angriffe der Kassen habe man sich schon seit mehr als 100 Jahren verteidigen müssen, sie seien trotzdem immer wieder ärgerlich. Man wolle den Angriffen aber keine unverdiente Aufmerksamkeit schenken. Zum Honorar merkte Schmidt an: Eine Alternative zur bisherigen packungsbezogenen Vergütung werde nicht angestrebt. Allenfalls gehe es um eine Honorarergänzung durch leistungsbezogene Elemente, nämlich wissensbasierte pharmazeutische Dienstleistungen. Und was das Management in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit betreffe, so Schmidt, so sei die Apotheke die „einzig relevante arzneimittelversorgende Institution in Deutschland“. Das Medicheck-Projekt, bei dem Kassen Ärzte für apothekerliche Leistungen wie Neben- und Wechselwirkungsüberprüfungen bezahlen, sei nur „ein weiterer von vielen untauglichen Versuchen“, dieses Zukunftsthema zu besetzen. Mein liebes Tagebuch, sein Wort in Gottes Ohr! Ob er das alles nicht mal zu locker sieht. Da war es abzusehen: Die „Protestler“ waren mit diesen Antworten nicht zufrieden. Verständlich. Andererseits, die Fragen betreffen weitgehend die zentralen Punkte der Apothekerzukunft. Irgendwie ist es der Stoff, um den sich der diesjährige Apothekertag drehen sollte. Und dann sollte es, mein liebes Tagebuch, deutlich konkreter werden.  

Neues vom Dauerbrenner eGK (elektronische Gesundheitskarte): Versicherte sollen künftig auf der Karte speichern, ob sie Organspender sind oder nicht. Ja, ja, die Bereitschaft zur Organspende hat in Deutschland seit dem Bekanntwerden über „Unregelmäßigkeiten“ bei der Organzuteilung stark gelitten. Schade, dass die Bereitschaft, sich für eine Organspende zu entscheiden, durch die Manipulationen stark gesunken ist. Mein liebes Tagebuch, das Vertrauen hat gelitten. Dem potenziellen Spender drängt sich die Vermutung auf, schneller für tot erklärt zu werden, damit Organe entnommen werden können. Da ist noch viel Vertrauensaufbau zu leisten. Und was die Speicherung auf der Karte betrifft: Im Prinzip ein guter Ansatz, aber die Karte, ja die Karte – wann kommt die denn richtig zum Laufen?

18. Juli 2013

Mehr Geld für Angestellte! Mein liebes Tagebuch, in aller Stille haben sich dieses Mal die Apothekengewerkschaft Adexa und der Arbeitnehmerverband ADA auf eine Tariferhöhung geeinigt. 2,8 bis 3 Prozent, je nach Berufsgruppe,  gibt es rückwirkend ab 1. Juli 2013. Ab 1. Juli 2014 gibt’s gleich noch mal 1,5 Prozent mehr. Das lässt die Gehälter zwar immer noch nicht in schwindelerregende Höhen wachsen, aber immerhin. Wenn eine Approbierte im dritten Berufsjahr 3275 Euro bekommt, eine PTA 1992 Euro und eine PKA 1711 Euro, dann kann man hier nicht von „Traumgehältern“ sprechen.
Auf der anderen Seite: Während große Apotheken Tariferhöhungen verkraften können, werden kleine Apotheken durch jede Gehaltserhöhung belastet. Die Mehreinnahmen durch das kleine Plus beim Apothekenhonorar, beim niedrigeren Kassenabschlag und bei der Nachtdienstpauschale sind so schnell aufgebraucht. Die Schere zwischen den großen gut gehenden Apotheken und den kleinen Apotheken, die ums Überleben kämpfen, geht weiter auseinander.

19. Juli 2013

Die Protestapotheker legen nach. Mit den weichen Antworten von Friedemann Schmidt  auf ihren Fragenkatalog geben sie sich nicht zufrieden: Allgemeinplätze, Beruhigungspillen. Antworten mit der Hoffnung auf einen Placeboeffekt bei den Empfängern seien obsolet, so die verärgerte Reaktion der Protestler. Sie wollen eine echte Sachdiskussion und nachprüfbare Aussagen des Präsidenten, „wie es sich für den Präsidenten einer Spitzenorganisation, die eine Branche mit Milliardenumsatz vertritt, gehört“. Die Apothekerinnen und Apotheker wollen einen Zeitplan, ein Konzept, gestützt durch eine Umfrage, „wo sich die Kollegen in fünf oder zehn Jahren sehen“. Außerdem Antworten zur zukünftigen Honorierung, zum Leitbild. Bis zum Apothekertag, so vermute ich, will man sich nicht hinhalten lassen. Ja, mein liebes Tagebuch, die alten Zeiten der ABDA, in denen die da oben  ein paar beschwichtigende Worte losließen, damit die da unten wieder ruhig gestellt sind, sind vorbei. „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist, (ein Zitat, das dem italienischen Schriftsteller Tomasi di Lampedusa zugeschrieben wird), trifft heute mehr denn je auf unsere Berufsorganisation, auf unseren Beruf zu: Wir müssen uns als Apotheker anders aufstellen, wenn wir weiterhin Apotheker (Apotheker 2.0) in dieser Gesellschaft sein wollen. Möglicherweise hat Schmidt erkannt, wie ernst die Lage für unseren Beruf ist. Aber kann er auch den ABDA-Gesamtvorstand überzeugen? Wo klemmt’s? Mein liebes Tagebuch, für mich stellt es sich mittlerweile so dar: Wenn wir uns nicht rasch auf ein neues Berufsbild, auf eine Ausrichtung des Berufs verständigen mit allem was dazu gehört, und die neue Rolle in der Gesellschaft verankern, dann sieht die Apothekerzukunft nicht rosig aus. Oder um’s drastischer zu sagen: Es geht letztendlich darum, ob wir Apothekerinnen und Apotheker auch weiterhin die Arzneimittelfachleute sind oder bald nicht mehr sein werden. Ganz wichtig: Es reicht nicht, wenn sich Protestapotheker und Schmidt austauschen. Die Diskussion hierüber gehört in die Berufsöffentlichkeit! Und zwar rasch.

 


Peter Ditzel