Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

16.11.2014, 08:00 Uhr


Man braucht eine gesunde Schizophrenie, wenn man sich mit den Apotheker-Themen dieser Woche beschäftigt. Versteht irgendjemand noch, dass wir Apothekers uns sogar fortbilden müssen, um nicht Opfer des Kassen-Retax-Wahnsinns zu werden? Oder versteht irgendjemand noch, dass selbst Krankenkassen an Importen zweifeln, die Politik aber nicht handelt? Und kann man es noch verstehen, dass es angesichts von Fälschungen aus dem Ausland immer noch Arzneimittelgeschäfte mit Zwischenhändlern und Subunternehmen geben darf? Mein liebes Tagebuch, dagegen ist es doch richtig erfrischend, wenn der ABDA-Präsident den Apotheker mehr zum Dienstleister machen will, weil Löhne nicht gesenkt werden. Und auf die Lohnerhöhungen freuen wir uns schon, nicht wahr?

10. November 2014

Das ist die Perspektive 2030 für unsere Apotheken und unseren Apothekerberuf, wie sie der ABDA-Präsident unlängst auf den Punkt brachte: die Apotheke als Dienstleistungserbringer mit differenziertem Leistungskatalog, damit der Absatz von Arzneimitteln nicht die einzige Einnahmequelle sei, und einen institutionalisierten Sicherstellungsauftrag für die Apotheke. Schmidts Begründung: „Kein Politiker in Deutschland senkt Löhne“, aber Preise könnten gesenkt werden. Mein liebes Tagebuch, jetzt müssen wir nur noch der Gesellschaft und der Politik vermitteln, dass sie die Apotheker auch als Dienstleister wollen. Und was der Präsident möglicherweise vergessen hat: Löhne werden vielleicht nicht gesenkt, aber jahrelang nicht erhöht ­– wie war das doch gleich mit unserem Apothekerhonorar und den Arbeitspreisen für Rezepturen?

In Hessen ging die Post ab. Fünf Mitglieder des neugewählten Hessischen Apothekerverbands haben sich, obwohl sie erst ab Januar „im Amt“ sind, schon mal vorsorglich in die anstehende Kammerwahl eingemischt und eine gemeinsame Empfehlung zur Stimmabgabe abgegeben. Mein liebes Tagebuch, wie find ich das denn? Insbesondere einer der fünf, der Ambitionen auf den Chefposten beim HAV hat, will da wohl kräftig vorbauen – um dann mit seiner Wunschkandidatin bei der Kammer „vernünftig und kooperativ“ zusammenzuarbeiten. Oder sie so zu beeinflussen, wie er es für richtig hält. Hach, so geht’s nun wirklich nicht. Mit solch durchsichtigen Wahlempfehlungen haben sich diese fünf selbst einen Bärendienst erwiesen, die Arbeit des noch amtierenden Vorstands herabgewürdigt und eine Zusammenarbeit mit der Kammer, wer auch immer dort zukünftig Präsident(in) sein mag, belastet. Alles ein bisschen zu dreist, zu durchsichtig. Mein liebes Tagebuch, es wird Zeit, dass es in Hessen wieder mal kräftig funkt.

Ist es nicht ein Wahnsinn, welchen Aufwand wir treiben müssen, um Retaxationen zu vermeiden! Der Apothekerverband Westfalen-Lippe hat gleich ein ganzes Maßnahmenpaket gegen Retaxationen geschnürt, gegen rechtswidrige, vermeidbare und unangemessene. Ist ja gut und löblich, dass der Verband das macht, und vielleicht sollte das Paket von allen Verbänden übernommen werden, um den Kassen die Stirn zu bieten. Aber allein die Tatsache, dass Kassen die letzten Retax-Spitzfindigkeiten über beauftragte Subunternehmen aufspüren lassen, um Apotheken abzuzocken – mit gesundem Menschenverstand steht man nur kopfschüttelnd davor. In welcher Welt leben wir eigentlich?

Der Weltapothekerverband FIP hat einen internationalen Apotheker-Eid veröffentlicht, den man sich in die Apotheke hängen kann. Kurz zusammengefasst: der Apotheker stellt all seine Interessen hintenan und dient allen und jedem. Ups, klingt irgendwie alles ein bisschen zu pathetisch und devot. Und vor allem: Was nützt der schönste Eid, wenn er nur da hängt und nicht gelebt wird. Mein liebes Tagebuch, der Eid ist international, soll also auch in Kasachstan, Usbekistan und Absurdistan gelten. Und vor allem dort.

11. November 2014

Apothekenpflichtige Arzneimittel in der Freiwahl sind verboten. Daher stellte Klosterfrau einen Indikationstisch mit Leerpackungen von apothekenpflichtigen Arzneimitteln, versehen mit Indikationskarten, vor den HV-Tisch, auf die der Kunde zugreifen kann. Er sucht sich seine Indikationskarte aus, legt sie dem Fachpersonal vor und bekommt seine Originalpackung mit Inhalt. Doch die Wettbewerbszentrale und das Landgericht Köln sahen darin einen Verstoß gegen das Selbstbedienungsverbot. Dem Kunden soll nicht suggeriert werden, er habe sich sein Präparat selbst ausgesucht. Mein liebes Tagebuch, wie lächerlich ist das denn alles. Der Klofrau-Coup mit Leerpackungen – na ja, das passt doch nicht zu einer seriösen Apotheke: mit Psychotricks Kaufanreize schaffen, oder? Irgendwie putzig aber auch die Begründungen des Gerichts: Es sei problematisch, wenn der Kunde animiert werde, seine Kaufentscheidung ohne vorherige Beratung durch den Apotheker allein aufgrund der offensiven Bewerbung auf dem Weg zum HV-Tisch zu treffen. Ja, du meine Güte, und was ist mit den Shopseiten der Internetapos? Ein Klick und das gesamte apothekenpflichtige Sortiment liegt vor mir, ohne HV-Tisch dazwischen und ohne vorherige Beratung. Und sogar ohne Beratung danach. Mein liebes Tagebuch, nicht, dass ich für Apothekenpflichtiges in der Freiwahl bin, überhaupt nicht und im Gegenteil. Aber das Urteil zu den OTC-Dummies in der Freiwahl zeigt wieder einmal, mit welcher verqueren Logik wir dank OTC-Versandhandel leben müssen. Das lässt sich alles nur mit einer gesunden Schizophrenie ertragen, oder?

Im Bereich Westfalen-Lippe gibt es mittlerweile Überlegungen, dass die Apotheken die Ausbildungskosten für PTA übernehmen sollen. Im Gegenzug sollen die Schülerinnen während der gesamten Ausbildung in den Apothekenbetrieb integriert werden. Sind wir schon so weit gekommen? Ist dem Staat (Aus-)Bildung nichts mehr wert? Mein liebes Tagebuch, man kann über vieles nachdenken, aber ob das der richtige Weg ist? Und nach der von der Apotheke finanzierten Ausbildung arbeitet die PTA in der Industrie, beim Dromarkt oder im Blisterzentrum.

Der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, ist überzeugt: „Die Quote ist überholt und kann entfallen.“ Mein liebes Tagebuch, den Satz müssen wir nochmals lesen. Er meint damit nicht die Frauenquote, sondern die Importquote! Aha, jetzt kommt also sogar der AOK-Chef zu der Erkenntnis, dass die vorgeschriebene Importquote kaum noch was bringt, im Gegenteil: Seitdem bei deutschen Arzneimittelimporteuren gestohlene und gefälschte Arzneimittel aufgetaucht sind, sieht man die Pflicht der Apotheke, eine bestimmte Importquote zu erfüllen, äußerst kritisch. Selbst der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich hält den Zwang zur Abgabe für falsch. Da fragt man sich: Wer außer den Importeuren ist eigentlich noch für Importe? Und warum wird die Importquote nicht mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz abgeschafft?

12. November 2014

Da steht uns allen, der Gesellschaft, aber auch uns Apothekers noch einiges bevor: Der illegale Handel mit Arzneimitteln, seien sie gefälscht oder auch nicht, zieht Kreise. Jetzt scheint auch die spanische Tochter von Alliance Healthcare in den illegalen Export von Arzneimitteln von Spanien nach Deutschland und Dänemark verwickelt zu sein. Über ein Mafia-ähnliches Netzwerk soll ein Großhandelsmitarbeiter in Spanien die Arzneimittel zum staatlich festgesetzten niedrigen Inlandspreis von Apotheken gekauft haben, um sie dann zum deutlich höheren Exportpreis ins Ausland weiter zu veräußern. Immerhin, es soll sich nicht um gefälschte Arzneimittel gehandelt haben. Im Gegensatz zu den Fällen, über die in der letzten Woche die „Wirtschaftswoche“ berichtete: „Super-GAU mit Todesgefahr“ – gestreckte und manipulierte Arzneimittel tauchen zunehmend in Apotheken auf. Die Gewinne für die Kriminellen sind höher als im Drogenhandel. Mein liebes Tagebuch, ganz schlimm dabei: Die Fälschungen gelangen wegen Importzwängen und auf Importwegen an den Ort des Vertrauens, in die Apotheke. Und selbst die Apotheke hat keine Chance, die Fälschungen zu entdecken. Da bröckelt unser dickes Argument „Kaufen Sie Arzneimittel nicht im Internet, sondern nur Ihrer Apotheke“. Auch das ist ein Super-GAU. Bleibt nur ein Fazit: Die Importzwänge müssen weg und die Handelswege von Arzneimitteln begrenzt werden. Denn der Arzneimittelverkehr über Zwischen-, Sub- und Sub-Sub-Händler ist von Übel.

Die Brandenburger versuchen’s: Sie haben eine Resolution verabschiedet, mit der sie die Regierung auffordern, einen Studiengang Pharmazie in Potsdam oder anderswo im Land einzurichten. Sie begründen es mit dem Hinweis darauf, dass andernfalls die flächendeckende Arzneiversorgung leide. Ja klar, auch wenn so eine Resolution angesichts knapper Gelder, die für den Bildungsbereich zur Verfügung stehen, richtig niedlich daherkommt: Versuchen kann man’s. Manchmal geschehen ja auch Wunder.

Und wenn dann Kammer und Verband in Brandenburg ihre Querelen über eine notwendig gewordene Erweiterung ihres Apothekerhauses beilegen, können sich beide noch mehr um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern. Auch hier wieder einmal: Würde man mehr miteinander statt übereinander reden, wäre so manches Missverständnis und so manche Kommunikationslücke nicht entstanden.

13. November 2014

Die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hedwig François-Kettner, rät den Apothekern in einem Interview mit der „Ärzte Zeitung“ zu mehr Selbstbewusstsein. Apotheker dürften sich „mit ihrem Expertenwissen nicht verstecken“. Apotheker sollten bei möglichen Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen noch stärker beim verschreibenden Arzt intervenieren. Danke, Frau François-Kettner, das haben Sie nett gesagt. An den Apothekern soll es nicht liegen. Sagen Sie es bitte ganz klar und deutlich auch den Ärzten.

14. November

Der Streit um die Importe und ihre Förderung geht weiter. Die Äußerung des Chefs der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, wonach die Importquote überholt sei und entfallen könne, traf die Importeure verständlicherweise ins Herz. In einem Brief an Hermann hält der Verband der Arzneimittelimporteure nun dagegen und versucht, die Vorteile seiner Importe herauszustellen. Aber mein liebes Tagebuch, da tut sich der Importeursverband sichtlich schwer. Denn allzu prickelnde Vorteile findet er derzeit gar nicht. Die Einsparungen sind im Vergleich zu den Rabattverträgen marginal, es gibt Probleme mit gefälschten Importen, und der Mindestpreisabstand von 15 Prozent oder 15 Euro zum Original lässt sich nicht bei allen Importen einhalten. Da darf man gespannt sein, wie Apothekerverband und Krankenkassenverband in ihren laufenden Verhandlungen zum Rahmenvertrag mit dem Thema Importquote umgehen werden – sie könnten z. B. auf die Importförderquote verzichten. Mein liebes Tagebuch, bricht da eine Götterdämmerung der Importe an?                                                                                               

 


Peter Ditzel