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Resistente Keime
Antibiotika-Forscher wollen Evolution austricksen
Angesichts der Sorgen um eine rapide Zunahme von Antibiotikaresistenzen überlegen Wissenschaftler sich neue Strategien aus, um Resistenzen wieder in den Griff zu bekommen. Hierzu wollen sie die natürliche Selektion auf den Kopf stellen.
Der Segen der Antibiotika könnte bald vorbei sein, befürchten viele Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker. Bereits vier Jahre nach Markteinführung von Penicillin beobachteten Forscher bei manchen Stämmen Resistenzen. Durch den zunehmenden Einsatz von Antibiotika werden immer mehr Keime resistent. Die WHO sprach daher schon von einer „globalen Gesundheitskrise“, die in allen Teilen der Welt ein gefährliches Ausmaß annehme. Neue Ansätze zur Abwehr sowie auch zur Vermeidung von Resistenzen sind daher sehr gefragt.
Zwar wollen internationale Initiativen die Entwicklung neuer Antibiotika beschleunigen, doch muss auch der Umgang mit den Arzneistoffen grundlegend überdacht werden. Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston, USA sowie vomTechnion in Haifa, Israel haben in der aktuellen Ausgabe von Science zusammengefasst, wie die Ausbreitung resistenter Keime sogar umgekehrt werden könnte. Hierzu schlagen sie vor, Antibiotika so einzusetzen, dass Bakterien mit Resistenzen im Vergleich zu Wildtypen einen evolutionären Nachteil haben. So hofft der israelische Systembiologe Roy Kishony, ihnen zukünftig ein Schnippchen zu schlagen.
Bisher begünstigt die Evolution die Bildung von Resistenzen: Wenn Keime im menschlichen Körper, in Tieren oder der Umwelt Antibiotika ausgesetzt sind, überleben überwiegend jene mit Resistenzgenen. Dieser Prozess wird dadurch beschleunigt, dass die jeweiligen Gene auch in die Umwelt abgegeben und von Wildtypen aufgenommen werden können. Daher verbreiten sich multiresistente Kolonien mehr und mehr.
Resistenzen mit Kombipräparaten aushebeln
Der wohl direkteste Ansatz ist, Antibiotika zusammen mit Molekülen zu verabreichen, die den jeweiligen Resistenzmechanismus unterdrücken. Zum Beispiel können β-Lactam-Antibiotika zusammen mit einem Inhibitor der β-Lactamase gegeben werden, welche normalerweise den β-Lactam-Ring der Antibiotika hydrolysieren und sie auf diese Weise unwirksam machen. So können bereits durch das Kombi-Präparat Amoxicillin-Clavulansäure sowohl nicht-resistente wie auch resistente Stämme abgetötet werden, wodurch der evolutionäre Vorteil der Resistenzgene neutralisiert wird. Vorletztes Jahr fanden Forscher heraus, dass Aspergillomarasmine A im Mäusemodell die Resistenz gegen das Notfall-Antibiotikum Carbapenem wiederherstellt. Hochdurchsatz-Screenings haben außerdem erste Hinweise für einen Inhibitor gegen Makrolid-Antibiotika ergeben.
Manche der Inhibitoren werden von denselben Bakterienarten produziert, die auch das jeweilige Antibiotikum synthetisieren – möglicherweise, um die Wirksamkeit erhalten zu können. Zwar gibt es daher Ansatzpunkte, wie weitere Inhibitoren gefunden werden könnten, doch für die klinische Anwendung bestehen einige Hürden. So geht Clavulansäure teilweise mit Leberschäden einher. Auch können pharmakokinetische Unterschiede die Anwendung erschweren – oder Resistenzen gegen den Inhibitor entstehen.
Antibiotika am gewünschten Ort
Während Inhibitoren den evolutionäre Vorteil von Resistenzgenen nur ausgleichen können, wollen Wissenschaftlicher ihn durch andere Ansätze sogar umkehren. Hierzu testen sie, wie mehrere Antibiotika auf optimale Weise verabreicht werden, um im Zusammenspiel resistente Stämme möglichst stark anzugreifen. Wenn beispielsweise einer der Wirkstoffe eine hemmende Wirkung auf das Antibiotikum hat, gegen das ein Stamm eine Resistenz entwickelt hat, wird er hierdurch umso stärker bekämpft – und gleichzeitig haben Wildtyp-Stämme einen evolutionären Vorteil. Hierdurch können Wirkstoff-Umgebungen geschaffen werden, welche Resistenzen benachteiligen.
Doch hier ist viel Forschung nötig, wie die Forscher selber schreiben – denn bisher sind die positiven Effekte von Antibiotika-Kombinationen hauptsächlich auf der Ebene von Zellkulturen beobachtet worden. Aufgrund pharmakokinetischer Unterschiede ist auch nicht unbedingt sichergestellt, dass beide Antibiotika am gewünschten Einsatzort in der passenden Konzentration auftreten, so dass es im schlimmsten Fall zur Bildung von Nischen mit nur einem Wirkstoff kommt – sowie zu neuen Resistenzen. „Die Grundgedanken machen sehr viel Sinn, aber es wird schwer sein, sie in der Praxis einzusetzen“, sagt Till Schäberle vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Uni Bonn.
Gen-Analysen als Hoffnungsträger
Neben dem Einsatz automatisierter Testverfahren können genetische Analysen helfen, den Selektionsdruck gegen resistente Keime zu steigern. Kishony erwartet, dass großflächige Genotyp- und Phänotyp-Analysen der Stämme es teilweise ermöglichen werden, neuartige Resistenzgene zu erkennen und ihre zukünftige Evolution vorherzusagen, bevor sie bei Patienten auftreten. „Beispielsweise könnten wir vorhersagen, dass ein Krankheitserreger durch die Gabe eines bestimmten Antibiotikums resistent werden könnte, wenn sein Genom nur wenige Mutationen von einer Resistenz entfernt ist“, schreiben die Wissenschaftler.
Der Einsatz derart aufwendiger Analysen und Behandlungsansätze wird in naher Zukunft wohl auf einzelne Forschungsfälle beschränkt bleiben. Der Biologe Schäberle hält es aber für denkbar, dass in zehn Jahren patientenindividuelle Auswertungen durchgeführt werden.
Ähnlich wichtig ist es, die Entstehung von Resistenzen in Populationen noch besser zu verstehen, um gegensteuern zu können. Jedoch leidet die Behandlung des einzelnen Patienten im Normalfall, wenn sie sich am kollektiven Nutzen orientiert. Daher schlagen Kishony und seine Kollegen vor, klinische Versuche zur Eindämmung von Resistenzen zuerst im Veterinärbereich durchzuführen und ethische Probleme hierdurch etwas zu verringern.
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