Arzthonorare

Verdienen Ärzte das, was sie verdienen?

Düsseldorf - 22.01.2016, 13:00 Uhr

Viele Ärzte sind mit ihrem Gehalt nicht zufrieden. (Foto: nito / Fotolia)

Viele Ärzte sind mit ihrem Gehalt nicht zufrieden. (Foto: nito / Fotolia)


Das ärztliche Honorarsystem ist intransparent. Mit Behandlungsqualität hat es nichts zu tun, stattdessen eher mit Machtpositionen. Das hat Auswirkungen – auch für Patienten. Ein Blick über den Tellerrand.

Erhard Meyer* ist Orthopäde – und er ist es gerne. Seinen wirklichen Namen aber möchte er nicht nennen. Es könnte Ärger geben mit seiner Standesvertretung. Denn er ist wütend über unkalkulierbare Honorare und Ungerechtigkeiten im System.

Seine Patienten behandelt der niedergelassene Facharzt zu einem Honorar, das aus seiner Sicht Reden und Zuhören kaum möglich macht. Rund 20 Euro sind es pro Kassenpatient für drei Monate – egal, wie oft der Patient im Quartal kommt. Manche, sagt Meyer, „stehen mehr als zehn Mal auf der Matte“.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit – das gilt für Ärzte nicht. Der Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie, Johannes Flechtenmacher, hat ausgerechnet, dass sein Kollege Meyer mit seiner Praxis auf ein Kassenhonorar von 45,28 Euro kommt – pro Patient und Quartal, inklusive aller Vergütungen außerhalb des Regelleistungsvolumens. Nur wenige Kilometer weiter, in der benachbarten Kassenärztlichen Vereinigung, erhalten Orthopäden 58,95 Euro. Ein Unterschied von rund 30 Prozent, obwohl beide Regionen kaum Unterschiede aufweisen. „Das ist nicht nachvollziehbar und hat allein politische Gründe“, kritisiert Flechtenmacher.

Regional und irreal

Die regionalen Honorarunterschiede sind ein Dauerärgernis in der Ärzteschaft. Sie sind laut KBV „historisch gewachsen“, also ein Erbe früherer Abweichungen bei der Honorarverteilung vor Ort. Denn für den Gesamtetat, den die Krankenkassen für die Kassenärzte bereitstellen, wird bundesweit nur ein Rahmen vorgegeben. Details werden dezentral ausgehandelt, also in jeder der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen anders. Wo weniger Menschen arbeitslos sind, werden entsprechend mehr Beiträge gezahlt. Bayern und Baden-Württemberg liegen damit häufig an der Spitze der Honorartabellen. Natürlich ist es teurer, in München eine Praxis zu betreiben als in Cottbus. Aber eigentlich, sagt Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Ärzteverbandes Hartmannbund, „sollte das zur Verfügung stehende Einkommen nach vergleichbarer Arbeit auch ähnlich ausfallen“.

Zudem sei die Honorarverteilung „nahezu irreal komplex“, sagt Reinhardt: „Wie ein ärztliches Honorar zustande kommt, ist für die meisten Kollegen nicht mehr durchschaubar“. Der Ablauf der Verteilung auf Landesebene ist auch gar nicht transparent. Die Krankenkassen haben dazu keine Daten. „Honorare sind hauptsächlich Ausdruck der Macht der jeweiligen Facharztgruppe in der Kassenärztlichen Vereinigung“, sagt Jörg Weidenhammer, Geschäftsführer des Instituts für Gesundheits-System-Forschung (igsf). „Mit Behandlungsqualität hat das jedenfalls nichts zu tun.“

In Bremen das Dreifache

Beispiele zeigt der Honorarbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Als Honorarumsatz definiert sie die Grundpauschale plus zusätzlich honorierte Kassenleistungen wie Röntgen, Ultraschall oder Akupunktur bei chronischen Rücken- oder Knieschmerzen. Im Bundesdurchschnitt ergab das für alle Ärzte im vierten Quartal 2013 genau 66,36 Euro pro Behandlungsfall. Für Fachärzte in Brandenburg waren es aber nur 53 Euro, in Bayern dagegen 73 Euro. Ein niedergelassener Kardiologe in Bremen bekam mit 129 Euro dreimal so viel wie sein Kollege in Thüringen (43 Euro).

Besonders erstaunt war Erhard Meyer, als er sein Honorar mit dem der Kieferorthopäden verglich, die sich auch mit Knochen befassen. Rund 135 Euro pro Quartal und gesetzlich Versichertem rechnet diese Fachzahnarztgruppe nach Angaben der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) durchschnittlich als Fallkosten ab. Auch wenn die Berechnungsgrundlage eine andere ist als bei Ärzten und auch wenn in den 135 Euro nicht nur Honorar, sondern auch Material- und Laborkosten enthalten sind und die Summe regional schwankt – gegenüber Meyers 45 Euro erscheint das üppig. Zudem sitzen längst nicht so viele Menschen im Wartezimmer: Ein Kieferorthopäde behandele nicht 1.000 Patienten im Quartal, sondern nur „etwa 400 bis 600 Patienten im Jahr“, sagt Gundi Mindermann, Vorsitzende des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden.

Man jongliert gerne mit Pauschalen

Nun gelten finanzielle Debatten bei Ärzten immer als Jammern auf hohem Niveau. Im Bundesdurchschnitt lag der Honorarumsatz je Praxisinhaber im Jahr 2013 bei 205.357 Euro. Mit 219.527 Euro kamen die Orthopäden über diesen Durchschnitt. Rechnet man Einnahmen aus der privaten Krankenversicherung hinzu, ergibt das laut Statistischem Bundesamt einen durchschnittlichen Reinertrag pro Arztpraxis von 234.000 Euro und pro Orthopädie-Praxis von 293.000 Euro.

Dieser Reinertrag ist zwar kein Nettoeinkommen (s. Kasten). Aber die 20 Euro von Erhard Meyer sind auch nur eine Grundpauschale. Es steht in der Debatte um die Arzthonorare also immer mehr als eine Zahl im Raum. Und jede Seite jongliert gerne mit der für sie passenden. Was Ärzte an Privatleistungen berechnen, die sie nicht nur Privatpatienten anbieten, sondern auch den gesetzlich Versicherten, macht nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gerade bei Orthopäden einen großen Teil des Umsatzes aus. Allerdings gilt auch hier: Die Höhe der Privateinnahmen kann je nach Fachrichtung und Praxissitz sehr unterschiedlich sein. Bei Hausärzten ist sie geringer als bei Orthopäden, in Berlin-Neukölln geringer als in Baden-Baden.

Das ärztliche Honorar

Rund 365.200 Ärzte waren 2014 bei den 17 Landesärztekammern gemeldet, etwa 165.000 davon sind ambulant tätig. Das Honorar für Ärzte mit Kassenzulassung richtet sich nach der erbrachten Leistung und der Facharztgruppe. Grundlage ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM). Das Budget, auch Regelleistungsvolumen genannt, ist gedeckelt – überschreitet ein Arzt eine festgelegte Leistungsmenge, erhält er für den Rest nur eine reduzierte Vergütung. Bei der Berechnung der ärztlichen Einkommen sprechen Statistiker vom Reinertrag: Das sind Einnahmen minus Aufwendungen (etwa Sach- und Personalkosten). Abgezogen werden müssen weiterhin die Kosten für Alters- und Krankenversicherung sowie für mögliche Bankkredite. Das Nettoeinkommen beträgt laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung durchschnittlich nur 23,5 Prozent des Honorarumsatzes.

Selbstzahler statt unterirdischer Entlohnung

2,74 Euro haben nun das Fass zum Überlaufen gebracht. Diese Summe erhielten Orthopäden der KV Nordrhein im vierten Quartal 2015 für ein Röntgenbild. Das sei unterirdisch, schimpfen Ärzte in Briefen an die KV. Selbst in einer großen Praxis mit gut ausgelasteter Röntgenabteilung verursache eine Röntgenuntersuchung Kosten von etwa 7,40 Euro. Viele Orthopäden schicken ihre Patienten nun für ein Röntgenbild zum Radiologen. Teilweise müssen Patienten auch häufiger selbst bezahlen, etwa für eine Knochendichtemessung. Als Kassenleistung bringe sie etwa 16 Euro, sagt Meyer, als Selbstzahlerleistung rund 40 Euro. 

Dabei wurde das Honorar für die Niedergelassenen 2013 immerhin um mehrere hundert Millionen Euro erhöht. Aber das Einkommen verringere sich durch stetig steigende Betriebskosten, sagt das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Die ambulante Behandlung von gesetzlich Versicherten werde „nach wie vor schlechter vergütet als eine vergleichbar qualifizierte ärztliche Tätigkeit im Krankenhaus“. Für Erhard Meyer ging es „die letzten acht Jahre finanziell stetig bergab. Die Kosten für Personal und Geräte sind dagegen gestiegen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich vermutlich nicht selbständig gemacht.“

Auf ein normales Maß zurechtgestutzt

Für Aufruhr sorgte bereits im Herbst ein Plakat des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen. Darauf wurde das Kassenhonorar für die Behandlung eines gebrochenen Armes bei einem Kind verglichen mit dem Geld, das Tierärzte für die Frakturbehandlung beim Hund bekommen: 25 Euro versus „ca. 370 Euro“. Allerdings sind die Gebührensätze gestaffelt. Die „konservative Frakturbehandlung bei kleinen Heimtieren“ beginnt laut der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) bei 17,18 Euro, bei einer Operation bei 171,80 Euro. Es sei nicht hilfreich, Arztgruppen gegeneinander auszuspielen, sagt Claudia Pfister, Sprecherin der Bundestierärztekammer. „370 Euro kommen nur für die operative Versorgung komplizierter Frakturen in Frage. Das wird am Menschen auch nicht für 25 Euro durchzuführen sein.“

Wie schlimm steht es nun um manche Mediziner? Berücksichtige man, dass Ärzte in den 90er Jahren teils unverschämt gut verdient hätten, würden manche Arztgruppen, etwa die Orthopäden, nun „auf ein normales Maß zurechtgestutzt“, sagt Jörg Weidenhammer. Damals, das gibt Erhard Meyer unumwunden, gab es keine Pauschalen, sondern Geld für jede einzelne Maßnahme, für jedes Einrenken, für jede Injektion. „Das war auch nicht gut für die Patienten. Da wurde gespritzt ohne Ende.“ Heute, sagt Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik, „verdienen Ärzte immer noch gut, aber der Abstand zu den übrigen Einkommen hat sich verringert“.

Die Umstände machen den Unterschied

Aus Sicht von Klaus Reinhardt vom Hartmannbund ist „an der Zeit, sich in Deutschland grundsätzlich mit der Arztvergütung zu befassen“. Aber die Bereitschaft zu einer Reform sei auf allen Seiten gering. Vorschläge gibt es. 2014 legte etwa die Techniker Krankenkasse (TK) ein Konzept vor, entwickelt vom IGES-Institut unter Bertram Häussler. Die Idee: Weg von der Pauschale, wieder hin zur Einzelleistungsvergütung. Allerdings, um Mengensteigerungen zu vermeiden, mit verbesserter Qualitätssteuerung und orientiert nach Aufwand und medizinischer Plausibilität. Eine Umsetzung, etwa mit Tests in einer Modellregion, werde auf Expertenebene diskutiert, so die TK. Das sei auch nötig, meint Günter Neubauer: „Für das Medizinstudium gibt es stets mehr Bewerber als Plätze. Aber viele arbeiten später nicht als Arzt. Mehr Bedeutung als das Einkommen haben heute die Umstände, unter denen es verdient wird.“

* Name von der Redaktion geändert


Tanja Wolf, Freie Medizinjournalistin
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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