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SPEZIAL: Hermann Blumenau – Apotheker und Stadtgründer
Wie ein junger Apotheker zum Gründervater einer deutschen Kolonie in Brasilien wurde
Was bringt einen talentierten jungen Mann, der sich mit seinen Qualifikationen im Herzen der fachlichen und intellektuellen Elite im damaligen Erfurt befand, dazu, alles zu riskieren und im brasilianischen Urwald Naturgewalten und Schicksal herauszufordern?
Dass Hermann Blumenau, der 1819 in Hasselfelde (Harz) zur Welt kam, Apotheker wurde, verdankte er der willkürlichen Anordnung seines Vaters. Tatsächlich war Blumenau das sechste Kind seiner Eltern und für den Vater ein „unerwünschter Nachkömmling“, wie die Urenkelin Blumenaus, Jutta Blumenau-Niesel, es ausdrückt.
Zunächst besuchte der junge Blumenau ein Gymnasium, musste dieses aber auf Wunsch seines Vaters verlassen und eine Apothekerlehre beginnen. Diese schloss Blumenau 1840 in Erfurt mit einem hervorragenden Zeugnis ab. 1844 bis 46 absolvierte der ehrgeizige junge Mann noch ein Studium der Chemie und promovierte in Erlangen. Blumenau stand in enger Verbindung zum Hause der Familie des Apothekers Johann Bartholomäus Trommsdorff, war befreundet mit dem Sohn und profitierte von den weitreichenden Kontakten der Familie. 1842 lernte Blumenau auch Alexander von Humboldt kennen.
Brasilien im Kopf
Ließ er sich von Humboldts packenden Reiseberichten aus Übersee anstecken? Jedenfalls war Blumenaus Erfurter Zeit der Beginn seiner immer intensiver betriebenen Beschäftigung mit Brasilien. Der Beginn einer fixen Idee, die ihn nie mehr verließ.
Das Thema Auswanderung nach Übersee war für die auswanderungswilligen Zeitgenossen Blumenaus allerdings kaum dem romantischen Fernweh geschuldet, sondern Folge von Hungersnöten und Perspektivlosigkeit.
Thomas Gaevert, Autor eines Hörfunk-Features zu Hermann Blumenau, beschreibt es so:
Etwa 60.000 Deutsche verlassen jährlich Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Heimat, um in Übersee ein neues Leben zu finden. Betrügerische Auswanderungsgesellschaften und Kopfgeldjäger ziehen tausenden Familien für die Überfahrt alles Geld aus der Tasche und überlassen sie dann mittellos ihrem Schicksal - ohne Kenntnisse der fremden Sprache und Kultur, ohne Aussicht auf Arbeit und ohne eine Chance auf Rückkehr.
Blumenau hatte sich schon früh mit dem Thema vertraut gemacht, war Humboldt mit seinem Fachwissen und seinem kritischem Geist aufgefallen, so dass er ihn förderte. 1844 lernte Blumenau in London den Generalkonsul der Kaiserlich-Brasilianischen Regierung, Johann Jakob Sturz, kennen. Danach stand für Hermann Blumenau fest, dass er eine Kolonie für deutsche Auswanderer in Brasilien gründen wollte.
Er traf auch den Brasilienkenner Karl Friedrich von Martius und verfasste eine Abhandlung über „Deutsche Auswanderung und Kolonisation“, bevor er 1846 zu seiner ersten eigenen Brasilienreise aufbrach – im Auftrag einer Hamburger Kolonisationsgesellschaft. Sein Plan war, durch die Schaffung einer Kolonie den deutschen Auswanderern zu helfen, in ihrer neuen Heimat zu gesichertem Besitz und Wohlstand zu gelangen.
Fantastische Landschaft, doch ohne Bestechung lief nichts
Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben und voller Tatendrang ging Blumenau auf die lange Reise. Durch Vermittlung traf Blumenau mit dem Präsidenten Brasiliens zusammen, der versicherte, dass fleißige Hände gebraucht würden. Auf lokaler Ebene wurde er aber im Umgang mit den Verwaltungsbeamten bald sehr ernüchtert. Aus Blumenaus Briefen an seine Eltern wissen wir, dass er von der fantastischen Landschaft Brasiliens schwärmte und sich bitter beschwerte, dass er nicht voran käme „weil ich ohne Geld war die Leute gehörig kaufen zu können“.
Zu allem Überfluss ging auch die Hamburger Gesellschaft ein, in deren Auftrag Blumenau handeln wollte, weshalb er letztendlich ungefähr 200 Quadratkilometer Urwald in der Provinz Santa Catharina auf seinen eigenen Namen eintragen ließ, bevor er nach Deutschland zurückkehrte. War es Naivität? Oder Größenwahn?
Jedenfalls ist Blumenau nicht aufzuhalten, an der Verwirklichung seiner Idee zu arbeiten, auch nicht, als ein anfänglicher Wegbegleiter aus der Unternehmung aussteigt, weil sie ihm zu umfangreich erscheint.
Das Nötigste zum Leben
Die härtesten Jahre folgten ab 1850, als Blumenau mit den ersten 17 Siedlern wieder in Brasilien eintraf. Möglich gemacht hatten diesen Start ein Erbe seines im selben Jahr gestorbenen Vaters und verschiedene Kredite. Aber die ersten Siedler erwartete erst einmal nichts als ein Stück gerodetes Land und eine mehr als einfache Unterkunft in einem gemeinsamen Haus. Dementsprechend wenige hielten durch.
1852 kamen 104 Auswanderer, zehn blieben und bildeten den festen Stamm der Kolonie. Blumenau hatte im brasilianischen Urwald kein Abenteuer, sondern seine Lebensaufgabe gefunden – davon zeugen auch die Berichte anderer Kolonisten. Und mittlerweile gab es auch kein Zurück mehr, denn er hatte bereits sein gesamtes Privatvermögen investiert, ohne Aussicht darauf, in absehbarer Zeit mehr als das Nötigste zum Leben zu haben.
Der Kolonist Julius Baumgarten schreibt 1853 an seinen Vater über Hermann Blumenau, er sei ein Mann „von ungeheurem Eifer, der von morgens früh bis abends spät für seine Colonie arbeitet, schlicht wie ein Bauer lebt“, unparteiisch sei und jeden mit seinem Rat unterstütze „gleichviel ob er viel oder wenig von ihm zu erwarten hat“.
Doch alle harte Arbeit nützt nichts, wenn die Natur zur existenziellen Bedrohung wird. Da die Siedlung direkt am Fluss Itajaí gelegen war, der als Verkehrsweg benötigt wurde, bereitete das Hochwasser von 1855 der gerade erst erstarkten Siedlung fast schon wieder das Ende: Säge- und Ölmühlen, Werkstätten, Häuser und Vieh wurden von den Wassermassen davon gerissen. Zeitzeugen berichten, dass sie, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, an diesem Punkt weggezogen wären. Und auch Blumenau bezeugte, er hätte geweint wie ein Kind.
Ein weiteres ernsthaftes Problem war das Aufeinandertreffen der weißen Siedler und der einheimischen Indios, die als wandernde Jäger lebten und nun auf abgezäunte Bereiche stießen. Blumenau schildert in einem seiner Briefe die grauenvolle Situation, als er bei zwei etwas abgelegenen Höfen zu den verstümmelten Leichen zweier Siedler und den völlig verzweifelten Witwen und Kindern gerufen wurde. Die Regierung setzte dann sogenannte ‚Waldläufer’ ein, die die Sicherheit der Siedler erhöhen sollten.
Der eigentliche Durchbruch kam, als es Blumenau gelang, 1860 die Siedlung der brasilianischen Regierung zu übereignen. Er selbst wurde als Direktor mit der Weiterverwaltung der Kolonie betraut. Zum damaligen Zeitpunkt lebten dort zwischen 700 und 800 Menschen. Dank der nun einsetzenden öffentlichen Förderung konnte eine stabile Infrastruktur aufgebaut werden.
Starke emotionale Bindung
1865 kehrt Blumenau im Auftrag der brasilianischen Regierung nach Deutschland zurück, um für die mittlerweile als „brasilianisches Mustermunizip“ ausgezeichnete Stadt Werbung zu machen. Er lernte in Hamburg seine zukünftige Frau Bertha Repsold kennen, sie heirateten 1867 und zogen mit ihrem Sohn Pedro 1869 in die nach ihrem Gründer benannte Stadt Blumenau. Dort wurden in den beiden darauf folgenden Jahren die Töchter Christiane und Gertrud geboren.
Die nächsten zehn Jahre, bis Blumenaus Frau 1880 den Sohn zurück nach Hamburg begleitete, damit er dort das Humanistische Gymnasium besuchen konnte, brachten einen stetigen Bevölkerungszuwachs für Blumenau. Hermann Blumenau galt als patriarchalischer Verwalter, wurde von manchen dafür kritisiert, die Bewunderung für sein Pflichtbewusstsein und sein uneigennütziges Handeln aber überwog. Reichte Pflichtbewusstsein, um diesem Mann über so viele Entbehrungen und Enttäuschungen hinwegzuhelfen und die zahlreichen Herausforderungen zu meistern? Steckte ein tiefer Glaube dahinter? Fest steht seine starke emotionale Bindung an Brasilien.
1884 lebten bereits 18.000 Menschen in seiner Stadt
Nachdem auch beide Töchter zum Schulbesuch nach Deutschland gegangen waren, kehrte Hermann Blumenau 1884 ebenfalls zurück, um wieder bei seiner Familie sein zu können. Dass Hermann Blumenau dieser Abschied nicht leicht fiel, machte er in einem Schreiben an den damaligen brasilianischen Kaiser Pedro II deutlich, dem er schrieb, dass er zutiefst bewegt sein „schönes angenommenes Vaterland“ verlasse und sich gewünscht hätte, „eines Tages meine Asche in dieser Erde zu lassen“.
Blumenau war zu diesem Zeitpunkt eine Stadt mit 18.000 Einwohnern. Da die Brasilianische Regierung Hermann Blumenau keine Rente zugesprochen hatte, mussten die Blumenaus relativ bescheiden leben und verlegten ihren Wohnsitz in das günstigere Braunschweig. Hermann Blumenau hat die Pläne für die 50-Jahr-Feier seiner Siedlung noch mitbekommen, besuchen konnte er sie nicht mehr – er starb im Oktober 1899.
Oktoberfest in Brasilien
Der Ort Blumenau zählt heute ungefähr 300.000 Einwohner, die größte Attraktion ist das jährliche Oktoberfest und die Urenkel der Einwandererfamilien trinken dort nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier. Allerdings scheint das Schicksal der deutschen Sprache besiegelt, nachdem Deutsch wegen des zweiten Weltkriegs zur Sprache der Feinde wurde und offiziell nicht mehr gesprochen werden durfte.
Doch Hermann Blumenaus Wunsch beim Abschied aus Brasilien ist wahr geworden: Seine Gebeine wurden 1974 in ein eigens für ihn errichtetes Mausoleum nach Blumenau überführt.
Hörfunk-Feature von Thomas Gaevert zu Blumenau: http://www.thomas-gaevert.de/index.php/hoerfunk/feature-dokumentationen/89
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