Demenz-Risiko

Entwarnung für Benzodiazepine – oder doch nicht?

Stuttgart - 12.02.2016, 14:30 Uhr

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Benzo-Einnahme und Demenz? (Foto: Robert Kneschke/Fotolia)

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Benzo-Einnahme und Demenz? (Foto: Robert Kneschke/Fotolia)


Ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Benzodiazepinen und der Entwicklung einer Demenz  wird seit längerem diskutiert. Eine kürzlich im BMJ veröffentlichte Studie aus den USA scheint auf den ersten Blick ein wenig Entwarnung zu geben. Allerdings gibt heftige es Kritik an der Methodik.

Haben Senioren, die Benzodiazepine einnehmen, ein erhöhtes Demenzrisiko? Effekte auf die Kognition werden immer wieder beobachtet. Vor zwei Jahren ergab eine retrospektive Fall-Kontroll-Studie mit rund 120.000 kanadischen Senioren, dass eine Benzodiazepin-Einnahme über mehr als drei Monate das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um bis zu 51 Prozent erhöht.

Oder bekommen Patienten, die eine Demenz entwickeln eher Benzodiazepine verordnet?

Gerade im Anfangsstadium treten häufig Symptome wie Schlafstörungen oder Ängstlichkeit auf, bei denen gern zu Benzodiazepinen gegriffen wird. Unterschiedliche Studien kamen in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Ergebnissen. 

Moderater Gebrauch erhöht Risiko nur leicht

Forscher um Shelly Gray von der School of Pharmacy an der Universität in Seattle haben jetzt mit  ihrer prospektiven populationsbasierten Kohorten-Studie, die Anfang Februar im British Medical Journal publiziert wurde, für Aufsehen gesorgt. Sie stellten bei Menschen mit einem geringen oder moderaten Benzodiazepin-Gebrauch nur ein leicht erhöhtes Demenzrisiko fest.

Insgesamt entwickelten 23,2 Prozent (797) der Studienteilnehmer  in einem Zeitraum  von 7,3 Jahren eine Demenz, 637 davon eine vom Alzheimer-Typ.  Bei den Teilnehmern mit niedrigem Benzokonsum war die Demenzrate um 25 Prozent höher als ohne Benzodiazepine. Bei moderatem Konsum stieg das relative Risiko eine Demenz zu entwickeln um 31 Prozent. Das könnte aber auch auf Benzodiazepin-Verordnungen zur Behandlung von Frühsymptomen zurückzuführen sein, schreiben die Wissenschaftler. Bei den Senioren mit dem höchsten Benzokonsum traten nicht signifikant mehr Demenzen auf als ohne Medikamenteneinnahme. Die Alzheimerrate war in dieser Gruppe sogar niedriger.

Diese Ergebnisse unterstützen nach Ansicht der Studienautoren die Hypothese nicht, dass zwischen hohem Benzodiazepin-Gebrauch und dem Risiko für Alzheimer-Demenz oder kognitivem Verfall ein kausaler Zusammenhang besteht. Neben den Benzodiazepinen wurden auch Verordnungen von „Z-Substanzen“, wie Zolpidem, Zaleplon und Eszopiclon in die Auswertung einbezogen. Diese Hypnotika spielten aber laut den Autoren nur eine untergeordnete Rolle. 

Bemühen um präzise Daten

Beim Design der Studie haben die Autoren versucht, methodische Mängel früherer Studien zu umgehen. Um präzise Daten über den Konsum und Diagnosen zu erhalten, verwendeten sie Verschreibungsdaten einer Versicherung und  berücksichtigten nur von Neurologen nach strengen Kriterien erhobene Demenz-Diagnosen. Alle zwei Jahre wurde die kognitive Leistung der Teilnehmer erfasst. So konnten die Forscher den kognitiven Abbau über die Zeit dokumentieren.

Sie schlossen nur Patienten ein, bei denen eine zuverlässige Dokumentation des Medikamentenkonsums in den zehn Jahren vor Studienbeginn  vorlag, in die Auswertung ein. Bei jeder Studienvisite wurden die Verschreibungen der vergangenen zehn Jahre berücksichtigt. Das jeweils letzte Jahr wurde ausgenommen, um Benzodiazepin-Verordnungen aufgrund von Frühsymptomen einer Demenz  auszuschließen. Außerdem wurden bekannte Risikofaktoren wie BMI, Depression, körperliche Aktivität, Diabetes, KHK oder Schlaganfall erfasst und herausgerechnet.

Dennoch gibt es Kritik

Doch genau an diesem Design üben deutsche Experten heftige Kritik, das schreibt das Fachportal Medscape. So sei beispielsweise der verwendetet Score, der CASI-Score „relativ grob“, heißt es. Eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung wäre wünschenswert gewesen. Außerdem suggerierten die Autoren zwar eine Unterscheidung von Alzheimer und Demenz allgemein, tatsächlich habe diese Unterscheidung aber nicht stattgefunden, heißt es bei Medscape weiter.

Denn Alzheimer kann nur nach dem Tod oder mittels spezifischer Bildgebung  eindeutig diagnostiziert werden. Letzteres sei aber bei einer so großen Kohorte gar nicht möglich. Die fehlende Differenzierung stellt in den Augen der Experten unter anderem deswegen eine Limitation dar, weil beispielsweise vaskuläre Demenzen im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz vielfach erfolgreich behandelbar sind.

Auch an den zugrunde gelegten Dosierungen gibt es Kritik. Diese seien international völlig unüblich. So wurde zum Beispiel für Oxazepam  von 30 mg ausgegangen, die WHO gibt aber 50 mg als tägliche Dosis an. Zudem wurde nicht  untersucht, ob die Arzneimittel  regelmäßig oder sporadisch gegeben wurden.Ein weiter Kritikpunkt war, dass Todesfälle nicht berücksichtigt wurden - die seien über diesen langen Zeitraum mit Sicherheit aufgetreten, schreiben die Experten bei Medscape.

Die Studie

Studientyp: prospektive Kohorten-Studie
Studienpopulation: 3434 Teilnehmer über 65 Jahre, die zu Studienbeginn nicht an einer Demenz erkrankt waren, je nach Anzahl der im Studienzeitraum verordneten Benzodiazepine wurden sie vier Gruppen zugeordnet: null Standard-Tagesdosen, eine bis 30 Tagesdosen (niedriger Konsum), 31 bis 120 Tagesdosen (moderater Konsum) und mehr als 120 Tagesdosen (hoher Konsum).
Endpunkte: die kognitiven Fähigkeiten wurden alle zwei Jahre mit Hilfe eines Standard-Scores (CASI) überprüft. Demenzen wurden nach anerkannten Kriterien diagnostiziert. Der Benzodiazepin-Konsum bezog sich auf die verordneten Standard-Tagesdosen der letzten zehn Jahre, wobei das letzte Jahr jeweils nicht berücksichtig wurde.
Ergebnisse: über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 7,3 Jahren entwickelten 797 Teilnehmer (23 Prozent) eine Demenz. Die adjustierte Hazard-Ratio für Benzodiazepin-Anwender im Vergleich zu Nicht-Anwendern betrug 1,25 (95% Konfidenz-Intervall 1.03 - 1.51) bei geringem Konsum, 1.31 (1.00- 1.71) bei moderatem Konsum und 1.07 (0.82 - 1.39) bei hohem Konsum.

Doch es bleibt ein klarer Trend erkennbar

Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse ließe sehr wohl den Schluss zu, so liest man weiter, dass ein Zusammenhang zwischen Benzodiazepinen und Demenzerkrankungen besteht. So erkrankten von den Senioren, die niemals Benzodiazepine eingenommen hatten, 21 Prozent (511 von 2.416) an einer Demenz. Eine Prävalenz, die in dieser Altersgruppe üblich ist.

Bei den Patienten, die wenig Benzodiazepine eingenommen hatten, waren es 30 Prozent  (148 von 492), in der Gruppe mit dem moderaten Konsum 24 Prozent (63 von 259) und bei hohem Benzokonsum 28 Prozent (75 von 267). 21 Prozent ohne Benzodiazepine im Vergleich zu 30 Prozent in der Gruppe mit niedrigem Verschreibungslevel sei aber ein sehr deutlicher Unterscheid von 40 Prozent. Dieselbe Rechnung lässt sich für die anderen Gruppen analog durchführen. Zwar sei es nach Meinung der Experten bei den relativ kleinen Gruppen schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen, aber ein Trend sei klar erkennbar. Dieser werde aber noch verwischt. Die Autoren hätten eine Reihe von Kofaktoren herausgerechnet. Für die meisten davon sei aber kein Kausalzusammenhang mit der Entstehung einer Demenz belegt.

Unabhängig von den Ergebnissen dieser Studie oder der Kritik daran, sollten Benzodiazepine und Z-Substanzen für ältere Menschen nur ausnahmsweise und kurzfristig verordnet werden. Denn neben einem möglichen kognitiven Abbau erhöhen sie das Risiko für Stürze, Frakturen, Autounfälle und Delire. Daher beschränken die Autoren der BMJ-Studie ihre vorsichtige Entwarnung nur auf das Demenz-Risiko, grundsätzliche mahnen sie aber einen vorsichtigen Umgang mit dieser Substanzklasse an. 


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