Magensaftresistente Lipide

Neue Wege durch den Magen

Halle - 16.02.2016, 15:00 Uhr

Bolalipide sollen als Bestandteil einer Liposomenmembran, die Liposomen säureresistent machen.  (Bild: Drescher privat)

Bolalipide sollen als Bestandteil einer Liposomenmembran, die Liposomen säureresistent machen. (Bild: Drescher privat)


An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht die Arbeitsgruppe von Simon Drescher an säureresistenten Lipiden. Sie sollen eines Tages helfen, empfindliche Wirkstoffe sicher durch den Magensaft in den Körper zu transportieren.

Die Natur als Vorbild – nach diesem häufig gut funktionierenden Prinzip versucht der promovierte Pharmazeut Simon Drescher mit seiner Forschungsgruppe nun ein Verfahren zu verbessern, Medikamente schnell an ihren Wirkort im Körper zu transportieren. Am Institut für Pharmazie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht die von Drescher geleitete, neu eingerichtete Gruppe „Biophysikalische Pharmazie“ daran, säurebeständige Lipide zu synthetisieren.

Das Prinzip, Wirkstoffe mit Lipiden zu verpacken, um sie etwa vor dem Abbau im Körper zu schützen – zum Beispiel, weil sie empfindlich sind, oder um sie in eine löslichere Form zu überführen, wird seit längerem auch bei Fertigarzneimitteln erfolgreich angewendet. Die Biomoleküle, die unter anderem Bestandteil der Membranen von Zellen sind, sind amphiphil.

Liposomen schützen Wirkstoffe

In Lösung bilden sie einige hundert Nanometer kleine Liposomen,  in denen sich die Wirkstoffe einhüllen lassen – gut geschützt etwa vor körpereigenen Enzymen. Einige Impfstoffe werden so verpackt, weitere Beispiele sind empfindliche Antibiotika oder sonst schwer in Lösung zu bringende Arzneimittel wie Zytostatika. Diese Verpackung reduziert unter anderem auch unerwünschte Wirkungen, führt zu niedrigeren benötigten Dosierungen und verbessert die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffes. Auch beim Drug Targeting, dem zielgerichteten Transport der Wirkstoffe zu bestimmten Zellen, spielen Liposomen eine Rolle, etwa indem bestimmte Antigene in die Lipidschicht eingebettet werden.

„Der Nachteil der herkömmlichen Lipide ist, dass sie von der Magensäure angegriffen werden und den Wirkstoff freigeben, der dann ebenfalls von der Magensäure angegriffen wird – somit können sie nicht oral eingenommen werden“, erklärt Drescher. Sein Ansatz ist es daher, nun solche Lipide zu synthetisieren, die gegen Säure beständig sind. Dann könnten auch säureempfindliche Wirkstoffe in Liposomen verpackt und als Lösung ganz einfach eingenommen und individuell dosiert werden.

Vorbild für neue Lipide stammt aus „Urbakterien“

„Andere magensaftresistente Darreichungsformen sind in der Regel Tabletten oder Kapseln. Dabei handelt es sich um feste Arzneiformen. Mit säureunempfindlichen Liposomen ließen sich eigentlich säureempfindliche Wirkstoffe dann auch als Lösungen verabreichen“, sagt der Forscher.

Das Prinzip der unempfindlichen Lipide haben sich die Wissenschaftler aus der Natur abgeschaut. „Es gibt bestimmte Bakterien, Archaeen, die vor allem in der Nähe von Vulkanen leben. Spezielle Lipide in der Membran dieser Archaeen, die so genannten Bolalipide oder Bolaamphiphile, machen sie gleichzeitig hitze- und säurebeständig“, sagt Drescher. Anders als die Lipide etwa in tierischen oder pflanzlichen Zellmembranen besitzen solche bolaamphiphilen Lipide an beiden Enden des Moleküls hydrophile, Anteile und in der Mitte des Moleküls hydrophobe. Bei den tierischen Lipiden etwa ist eine Molekülseite hydrophil, die andere hydrophob.

Biomoleküle nachahmen und vereinfachen

Die Bolalipide bilden bei den „Urbakterien“, den Archaeen, Membranen aus nur einer Molekülschicht (Monolayer) während die Lipide etwa der tierischen Zellmembranen als Moleküldoppelschichten (Bilayer) vorliegen. Zum Teil ist das eine Ursache für die relative Unempfindlichkeit der „Urbakterien“, die häufig in extremen Umgebungen existieren – in heißen Quellen, sauren Seen oder unterseeischen Vulkanen.

Einige Forschungsgruppen weltweit versuchen, diese besonderen Lipide aus den „Urbakterien“ „zu ernten“, um sie pharmazeutisch zu nutzen. „Das ist aber sehr zeitaufwändig und kostenintensiv“, sagt Drescher – nicht zuletzt wegen der extremen Wachstumsbedingungen der Archaeen, die in Laboren zum Teil nur mit hohem Aufwand eingerichtet werden können. Drescher und sein Team versuchen daher, auf synthetischem Weg erzeugte Moleküle zu nutzen, die den Bolalipiden der Archaeen ähneln. „Wir wollen die Substanzen in ihrer Struktur nachahmen und gleichzeitig vereinfachen, damit sie leichter herzustellen sind."

Apotheker Dr. Simon Drescher

DFG fördert das Projekt für drei Jahre

Drescher selbst hat sich bereits in seiner Doktorarbeit mit diesen säureresistenten Lipiden beschäftigt. In dem nun von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 442000 Euro über drei Jahre geförderten Projekt geht es zunächst um die reine Grundlagenforschung. „Ein konkreter Anwendungsbezug, etwa für bestimmte Wirkstoffe ist noch nicht vorgesehen“, sagt der Forscher. Ob und welche Wirkstoffe so in Zukunft vielleicht einfacher verabreicht werden könnten, sei noch völlig spekulativ.

„Ziel des Projekts ist es, die Lipide synthetisch herzustellen, ihre Struktur und physikalisch-chemischen Eigenschaften zu beschreiben und ihre Mischbarkeit sowie Stabilität zu untersuchen“, fasst Drescher sein Vorhaben zusammen. Dabei werden die Forscher unter anderem auch untersuchen, wie sich geeignete Kandidaten etwa in künstlichem Magensaft verhalten. „Die Liposomen dürfen auch nicht zu stabil sein, damit Wirkstoffe zwar nicht im Magen, aber dann im Darm freigesetzt werden können“, erklärt der Pharmazeut.

Bis zur Anwendung können noch Jahre vergehen

Bis aus der Grundlagenforschung so konkrete Anwendungen entstehen, könnten noch etliche Jahre vergehen. Drescher kann sich auch noch weitere Anwendungsfelder der säurebeständigen Lipide vorstellen. „Die synthetisierten Lipide zeigen noch weitere faszinierende Eigenschaften. Sie sind zum Beispiel in der Lage, ein Hydrogel zu bilden.“ Aus anderen Molekülen aufgebaute Hydrogele finden bereits Anwendung etwa in Kontaktlinsen oder Implantaten. „Aber ganz konkrete weitere Anwendungsgebiete haben wir für diese Lipide noch nicht erschlossen“, sagt Drescher.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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