Zwischenfall mit BIA 10-2474

Arzneimittelbehörde sucht Grund für Studien-Desaster

Stuttgart - 17.02.2016, 18:05 Uhr

Die Informationen zur Studie von Bial und dem Auftragsforschungsunternehmen Biotrial bleiben weiter lückenhaft. (Foto: DPA / picture alliance)

Die Informationen zur Studie von Bial und dem Auftragsforschungsunternehmen Biotrial bleiben weiter lückenhaft. (Foto: DPA / picture alliance)


Eine neue Stellungnahme der französischen Arzneimittelbehörde nennt Kumulationseffekte als mögliche Ursache für den tödlichen Zwischenfall in Rennes. Auch Stoffwechselprodukte könnten verantwortlich sein. Unklar sind weiter Details zu den präklinischen Daten.

Die Aufklärung der fatalen Phase-I-Studie von Bial in Rennes kommt nicht so recht voran. Zumindest zwei Aussagen enthält eine Stellungnahme, die die französische Arzneimittelbehörde ANSM am Mittwoch veröffentlichte: Die pharmazeutische Qualität der Tabletten erfüllte alle Anforderungen und die Daten aus den Tierexperimenten hätten ausgereicht, um die Versuche am Menschen durchzuführen. Dies hätten Analysen eines wissenschaftlichen Komitees ergeben, das sich mit den Wirkungen des FAAH-Hemmers beschäftigt hatte.

Nicht viel weiter sind die Experten bei der Frage, wie es zu dem Zwischenfall kommen konnte. Nach ihrer Aussage habe es kein Warnsignal in den früheren Phasen des Tests gegeben. Weder bei den Probanden, die im vergangenen Jahr eine Einzeldosis von 100 Milligramm bekommen hatten, noch bei jenen, die – wie die letzte Gruppe – über mehrere Tage hinweg geringere Dosen BIA 10-2474 bekamen.

Wie kam es zu den Hirnverletzungen?

Das Komitee mutmaßt, dass Kumulationseffekte des Wirkstoffs zu den schweren Nebenwirkungen geführt haben könnten. Die Teilnehmer der letzten Gruppe, bei denen es zu den Problemen kam, hatten insgesamt 250 Milligramm oder 300 Milligramm genommen – die bis dahin höchste kumulative Dosis von insgesamt 200 Milligramm hatten die Probanden der vorletzten Gruppe über zehn Tage hinweg erhalten.

Die im Studienprotokoll aufgeführten Halbwertszeiten aus Tierversuchen von bis zu 45 Stunden bei oraler Gabe an Ratten lassen vermuten, dass BIA 10-2474 auch beim Menschen kumulieren könnte. Doch dies hätte eigentlich aus den früheren Teilstudien ersichtlich sein sollen.

Eine andere Erklärungs-Möglichkeit sahen die Experten nun darin, dass Abbauprodukte der Prüfsubstanz die Nebenwirkungen verursacht haben. 

Ungewöhnliche Mikro-Verletzungen

Der aktuelle Bericht geht detaillierter auf die Symptome ein: Sie seien „rein neurologisch“ gewesen und traten äußerst schnell ein. Der Schweregrad und der Verlauf variierte zwischen den Probanden stark. Die Mikro-Verletzungen des Hirngewebes, die der Kernspin gezeigt hatte, seien von der Topographie her ungewöhnlich gewesen.

Es bleiben also viele Fragen offen. „Daher hat das Komitee beschlossen, seine Arbeit weiter fortzusetzen“, so die Arzneimittelbehörde. Die Experten wollen in den nächsten Tagen weitere Daten sammeln. 

Wichtige prä-klinische Daten wurden vorenthalten

Die drei in Frankreich tätigen Untersuchungskommissionen haben noch viel zu tun. Widersprüchlich ist die Frage, wie die – bisher immer noch nicht veröffentlichten – präklinischen Daten aussahen. In der „Zeit“ hatte Biotrial-Direktor François Peaucelle gesagt, die portugiesische Pharmafirma Bial hätte seiner Firma wichtige Daten aus Tierversuchen vorenthalten – er fühle sich selber „eingezwängt“ zwischen dem Geschäftsgeheimnis Bials, dem Arztgeheimnis und dem Untersuchungsgeheimnis. Doch hätte das Auftragsforschungsinstitut Biotrial trotz fehlender „wichtiger Daten“ das Risiko eingehen dürfen, die Studie durchzuführen? 

Schlug das Geschäftsgeheimnis die Interessen der Probanden?

Auch die französische Gesundheitsministerin hatte in ihrer letzten Stellungnahme beklagt, dass nicht alle Daten aus früheren Tierversuchen bei der Zulassung der Studie vorgelegt hätten. Der Bericht der Generalinspektion für Soziale Angelegenheiten (IGAS), welcher Grundlage des Statements der Ministerin war, stellte fest, dass Firmen in der frühen klinischen Phase sehr zurückhaltend seien, den Regulierungsbehörden mehr Daten als explizit angefordert zur Verfügung zu stellen. Denn sie wollten keine Firmengeheimnisse unnötig preis geben. Auch wären sie nicht willens, weitere Informationen herauszugeben, da diese ansonsten zu Rückfragen und Verzögerungen des Zulassungsprozesses führen könnten. 

Damals hatte die Ministerin für die Zukunft mehr Transparenz gefordert – aber dennoch die Regularien als eingehalten bezeichnet, wie es jetzt auch die Experten taten. Doch wenn selbst das Auftragsforschungsinstitut Biotrial fehlenden Zugang zu relevanten präklinischen Daten zur Sprache bringt, wurde wohl nicht alles unternommen, um eine derartige Tragödie zu verhindern. Und die Ministerin könnte auch in der Gegenwart für viel mehr Transparenz sorgen. Zum Beispiel, indem sie das Produktdossier und die Investigator's Brochure der Studie zu BIA 10-2474 veröffentlicht.


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