Mikrobiom

Mit Bakterien-Unterstützung gegen die Folgen der Unterernährung

St. Louis/Lilongwe - 19.02.2016, 15:30 Uhr

Nahrung allein reicht scheinbar nicht aus, um die Folgen einer Mangelernährung zu bekämpfen. (Foto: Jasmin Merdan / Fotolia)

Nahrung allein reicht scheinbar nicht aus, um die Folgen einer Mangelernährung zu bekämpfen. (Foto: Jasmin Merdan / Fotolia)


Die Folgen von Unterernährung lassen sich nicht immer allein durch Verbesserung der Ernährungssituation bekämpfen. Die gravierenden Schäden bei Kindern gehen vermutlich auch auf eine unreife, nicht altersgerecht entwickelte Bakteriengemeinschaft im Darm zurück.

Mangelernährung ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der führenden Ursachen für Kindersterblichkeit weltweit. Sie verhindere zudem eine gesunde Entwicklung, mache anfälliger für Krankheiten und könne letztlich die Produktivität eines ganzen Landes einschränken. 2011 waren etwa 165 Millionen Kinder im Bezug auf das Körperwachstum nicht altersgerecht entwickelt, so die WHO.

Eine internationale Studie zeigt, dass untergewichtige und zu kleine Kinder andere Bakterienarten im Darm tragen als normal entwickelte Gleichaltrige. Das Verabreichen bestimmter Bakterienarten konnte bei Mäusen die Folgen von Mangelernährung wie eingeschränktes Wachstum oder geringes Gewicht verhindern, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt “Science”.

Die Autoren der Studie, Forscher um Laura Blanton von der Washington University in St. Louis (US-Staat Missouri) betonen, dass noch unklar sei, auf welchem Weg eine unzureichende Ernährung die schwerwiegenden Folgen hervorruft. Neben eingeschränktem Wachstum gehörten dazu auch Stoffwechselstörungen und geistige Beeinträchtigungen.

Mikrobiom nicht altersgerecht

Um zu prüfen, ob das Mikrobiom des Darms – also die Gemeinschaft der dort lebenden Bakterien – damit zu tun hat, untersuchten die Forscher zunächst Stuhlproben von gesunden Kindern aus Malawi. Sie identifizierten die Bakterienarten darin und erstellten darauf basierend ein Modell, aus dem sich ablesen lässt, welche Arten von Bakterien in welchem Alter zu einem gesunden Mikrobiom gehören. Anschließend zeigten sie an einer Gruppe von Kleinkindern aus Malawi, dass das Mikrobiom unterernährter Kinder unterentwickelt zu sein scheint. Es ähnelte eher dem jüngerer Kinder.

Als nächstes nahmen die Forscher Stuhlproben von 19 gesunden und unterernährten Kindern im Alter von sechs und 18 Monaten. Sie übertrugen die Proben auf zwei Gruppen von fünf Wochen alten Mäusen, die bis dahin keimfrei aufgewachsen waren. Die Mäuse bekamen eine Diät, die auch für viele Kinder in Malawi typisch und unzureichend für eine gesunde Entwicklung ist. Nach vier bis fünf Wochen zeigte sich ein deutlicher Unterschied: Mäuse, die Darmbakterien der unterernährten Kinder bekommen hatten, legten deutlich weniger an Gewicht und Magermasse zu als Mäuse, die die Bakterien der gesunden Kinder erhalten hatten. Auch ihr Stoffwechsel und ihre Knochenstruktur waren krankhaft verändert.

Zwei Bakterienarten sind entscheidend

Brachten die Forscher einige Tage nach einer solchen Stuhl-Transplantion Mäuse beider Gruppen zusammen, traten diese Unterschiede nicht auf. Da die Nager Kot fressen, hatten sie anscheinend die förderlichen Bakterien untereinander ausgetauscht. In weiteren Versuchen zeigten die Wissenschaftler, dass allein zwei Bakterienarten – Ruminococcus gnavus und Clostridium symbiosum – die Wachstumsbremse lösen können.

“Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Entwicklung des Mikrobioms bei gesunden Kindern so optimiert ist, dass die unterschiedlichen Wachstumsbedürfnisse in verschiedenen Altersstufen befriedigt werden”, schreiben die Forscher. Weitere Untersuchungen müssten klären, ob sich bei unterernährten Kindern ergänzend therapeutisch ein altersgerechtes Mikrobiom aufbauen lasse und dies die Folgen von Unterernährung aufhalten könne.

Einfluss bestimmter Zucker

In einer zweiten Studie beschreiben Forscher, ebenfalls unter maßgeblicher Beteiligung des Teams der Washington University ähnliche Experimente. Darin untersuchen sie den Einfluss von bestimmten Zuckern in der Muttermilch auf das Mikrobiom von Mäusen und Ferkeln. Sie fanden zunächst, dass die Milch von Müttern gesunder Babys deutlich mehr Sialinsäure-haltige Zucker enthält als die von Müttern unterernährter Babys. Verabreichten sie Mäusen oder Ferkeln mit einem Darmmikrobiom unterernährter Kinder diese speziellen Zucker, wuchsen die Tiere besser. Sie legten an Magermasse zu, und der Stoffwechsel in Leber, Muskeln und Gehirn normalisierte sich, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt “Cell”.

Anschließend identifizierten sie jene Bakterien, die für diese Effekte zuständig sind. Sie stießen dabei auf ein regelrechtes Nahrungsnetz im Darm: Einige Bakterienarten verdauten die Sialinsäure-haltigen Zucker, während andere von den dabei anfallenden Stoffwechselprodukten lebten. “Dieses Vermögen, genau zu analysieren, wie die Nahrung unter den Mitgliedern der mikrobiellen Gemeinschaft aufgeteilt wird und wie die metabolische Leistung dieser Gemeinschaft die menschliche Biologie beeinflussen kann, ist Teil unseres laufenden Forschungsprogramms”, sagt Studienleiter Jeffrey Gordon in einer Mitteilung seiner Universität. Denkbar sei es, eines Tages Säuglingsnahrung oder therapeutische Lebensmittel zur Behandlung von Unterernährung mit Sialinsäure-haltigen Zuckern zu optimieren.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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