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Die EBM-Sprechstunde
Anwendungsbeobachtungen außer Kontrolle
Die Grundlagen der evidenzbasierten Pharmazie erschließen sich oft nicht intuitiv – deshalb kommt es auch häufig zu Missverständnissen. In der Kolumne „Die Evidenz-Sprechstunde“ greift Iris Hinneburg solche Themen auf und erklärt die Hintergründe. Die erste Folge beschäftigt sich mit dem Thema Anwendungsbeobachtungen.
Anwendungsbeobachtungen sind in den letzten Wochen in die Schlagzeilen geraten: Das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv hat umfangreiche Daten zu Anwendungsbeobachtungen zusammen getragen, Transparency International eine Klage gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angestrengt. Doch was ist eigentlich das Problem mit Anwendungsbeobachtungen? Schließlich sollen sie doch zeigen, was in der Realität passiert...
Alltagsbeobachtungen
Die Anwendungsbeobachtungen zählen zu den sogenannten
„nicht-interventionellen Studien“. Das heißt,
Patienten erhalten das Mittel im normalen Verordnungs- oder Behandlungsalltag.
Damit grenzen sie sich beispielsweise von klinischen Studien ab, die neue
Wirkstoffe an Patienten untersuchen. In der Praxis funktioniert eine
Anwendungsbeobachtung so: Patienten bekommen ein Arzneimittel – entweder vom
Arzt verordnet oder auch vom Apotheker empfohlen. Und dann beobachten die
Ärzte, was passiert, oder die Patienten kreuzen es selbst auf einem Fragebogen
an. Der Sinn von Anwendungsbeobachtungen soll es sein, nach der Zulassung
Informationen über ein Arzneimittel unter Praxisbedingungen zu sammeln. So
können sie etwa Daten zum Einsatz bei Patienten liefern, die in klinischen
Studien möglicherweise gar nicht berücksichtigt wurden, etwa ältere
multimorbide Menschen.
Problem fehlende Kontrollgruppe
Allerdings haben Anwendungsbeobachtungen ein entscheidendes Problem: Es gibt in der Regel keine Kontrollgruppe, also Patienten mit der gleichen Erkrankung oder den gleichen Beschwerden, die entweder nichts, ein Placebo oder ein anderes Arzneimittel einnehmen. Die Kontrollgruppe hilft zu unterscheiden, welche der beobachteten Effekte bei dem Patienten tatsächlich auf das untersuchte Arzneimittel und welche auf andere Umstände zurückzuführen sind – etwa weil die Beschwerden entweder auch von selbst wieder verschwinden oder der Patient sich mehr ausruht. Fehlt in einer Untersuchung die Kontrollgruppe, lässt sich keine Aussage dazu treffen, ob es den Patienten ohne Behandlung oder mit einem anderen Medikament nicht genauso schnell besser gegangen wäre wie mit dem eingenommenen Arzneimittel.
Deshalb lässt sich mit Anwendungsbeobachtungen auch kein verlässlicher Schluss zur Wirksamkeit eines Arzneimittels ziehen. Außerdem sind Anwendungsbeobachtungen wesentlich weniger reguliert als klinische Studien: Anwendungsbeobachtungen müssen nicht genehmigt werden, es reicht eine Anzeige bei den zuständigen Stellen, zu denen auch das BfArM zählt. Zwar gehört zu einer vollständigen Anzeige auch ein Beobachtungs- und Berichtsplan, doch prüft das BfArM beispielsweise nicht, ob die gemessenen Endpunkte tatsächlich aussagekräftig sind.
So lassen
sich auch immer wieder Anwendungsbeobachtungen in der pharmazeutischen
Fachpresse in Form von Artikeln oder Anzeigen finden, bei denen die Patienten
nach ihrer Zufriedenheit befragt werden. Aus der Angaben, wie viele Patienten
mit dem Präparat „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ waren, lässt sich aber
keinerlei relevante oder gar quantifizierbare Aussage zur Wirksamkeit treffen.
Strengere Regeln nur auf dem Papier
Auf dem Papier gelten inzwischen strengere Regeln für Anwendungsbeobachtungen als noch vor einigen Jahren: So müssen die pharmazeutischen Unternehmen etwa seit Sommer 2013 spätestens ein Jahr nach Ende der Anwendungsbeobachtung einen Abschlussbericht beim BfArM einreichen, der auch in einer öffentlich zugänglichen Datenbank hinterlegt wird.
Offensichtlich gibt es aber immer noch genügend Schlupflöcher, mit denen Firmen Anwendungsbeobachtungen dafür nutzen können, die Verordnung und Anwendung ihrer Präparate zu fördern – auch in Fällen, in denen die Ergebnisse aus seriösen klinischen Studien eher dagegen sprechen.Das legt den Verdacht nah, dass die Anwendungsbeobachtung und unter Umständen auch das damit verbundene Honorar Arzt oder Apotheker die Entscheidung für ein bestimmtes Mittel erleichtern – aber das widerspricht klar den Regeln des BfArM.
Welche Aussagekraft haben nicht-interventionelle Studien im
Hinblick auf die Sicherheit eines Arzneimittels? Hier können Daten nach der
Zulassung wesentliche Informationen liefern, da Zulassungsstudien aus
statistischen Gründen meist nur unerwünschte Arzneimittelwirkungen erfassen,
die mindestens „gelegentlich“ auftreten. Deshalb
können Zulassungsbehörden nach der Zulassung etwa zusätzliche nicht-interventionelle
Unbedenklichkeitsstudien einfordern (sogenannte Post-Authorisation Safety
Studies, PASS). Die Frage nach einem kausalen Zusammenhang lässt sich damit
jedoch in der Regel auch nicht zweifelsfrei feststellen. Ob und wie ausführlich
das BfArM die Abschlussberichte von normalen Anwendungsbeobachtungen im
Hinblick auf Sicherheitsaspekte auswertet, ist außerdem unklar.
Bescheidener Erkenntnisgewinn
Kurz gesagt: Der Erkenntnisgewinn aus Anwendungsbeobachtungen ist in den meisten Fällen eher bescheiden. Das müssen Apotheker wissen, wenn sie in der Werbung auf entsprechende Untersuchungen stoßen oder sogar selbst für eine Anwendungsbeobachtung rekrutiert werden sollen.
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