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Wer in der Berliner Undine-Apotheke Kondome kauft, dem gibt Andreas Kersten „noch etwas zu lesen“ mit. Ein kleiner Zettel steckt in der Verpackung. Wer diesen aufklappt, wird in einer kurzen Notiz praktisch zum Kinderkriegen animiert.
Die Undine-Apotheke liegt in einem schönen Teil Berlins. Nur
eine Straßenbreite entfernt liegt der Landwehrkanal, an dessen Ufern sich
Trauerweiden im Wind wiegen und Mütter mit ihren Kindern spazieren. Eine
beschauliche Nachbarschaft. Andreas Kersten ist der Besitzer der Apotheke, ein
freundlicher Mann, Mitte 50, mit einer Leidenschaft für den Hertha BSC. In den
Schaufenstern seiner Apotheke steht eine ganze Galerie von Fanartikeln des
Fuballvereins.
Die Schaufenster verraten aber nicht nur etwas über den Fußballfan, sondern auch über den Katholiken, der in Kersten steckt. An den Scheiben kleben Aufkleber von Papst Benedikt XVI., dahinter stehen Miniaturen von Kirchenhäusern und Engelsfiguren. Wer die Dekorationen nicht beachtet und etwa nur Kopfschmerztabletten kaufen möchte, merkt vielleicht gar nichts von Kerstens Überzeugung. Doch fragt der Kunde nach Verhütungsmitteln, bekommt er die speziellen Ansichten des Apothekers zu spüren.
Zettel in der Kondompackung
„Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit
Verhütungsmitteln“, steht auf den Zetteln in jeder Kondompackung, die Kersten
verkauft. Man solle sich „für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft,
Kinder zu bekommen“ einsetzen und die Entscheidung für ein Verhütungsmittel
sorgsam abwägen – „im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder!“ Bereicherung hat er unterstrichen.
Kersten versucht im Verkaufsgespräch nicht, seine Kunden
davon abzuhalten, Kondome zu kaufen. Er berät freundlich, erklärt, welche
günstiger, welche etwas teurer sind. Keinerlei Predigt, nur am Ende ein
beiläufiger Hinweis, dass ein wenig Lektüre in der Packung zu finden sei.
Solche Zettel stecken schon seit Jahren in den Kondompackungen der Undine-Apotheke. Das Thema erregt gerade wieder Aufmerksamkeit, weil sich eine Twitter-Nutzerin öffentlich darüber empört hat.
In Bewertungsportalen im Netz bezeichnen manche Kersten als christlichen Fanatiker, nicht nur aufgrund seiner ungewöhnlichen Beipackzettel. Seit vielen Jahren weigert er sich auch, die „Pille danach“ auszugeben, die Spirale will er ebenfalls nicht verkaufen. „Aus Gewissensgründen“, sagte er vor zwei Jahren gegenüber der Berliner Zeitung. Heute will er seine Motive lieber nicht mehr erklären. Ein Interview will er DAZ.online nicht geben. Warum? Vermutlich aus Vorsicht.
Denn die Undine-Apotheke wird immer wieder zum Anschlagsziel von Protestaktionen. Vor zwei Jahren etwa bewarfen Unbekannte die Fenster mit blutroten Farbbomben. In den Jahren zuvor wurden Scheiben eingeschlagen. Viele dieser Vorfälle ereigneten sich, wenn sich der Weltfrauentag näherte.
Der Pharmazeut bleibt trotz allem bei seinen Papst-Stickern und Kondom-Briefchen. Und erst recht bei seiner Überzeugung. Für ihn ist die Pille danach ein Angriff auf das Recht zu leben. Weil nicht bei jeder Pille danach klar ist, ob sie nur den Eisprung aufschiebt oder ob sie auch bereits befruchtete Eier daran hindert, sich in die Gebärmutter einzunisten.
Man will ihn fragen, was denn Frauen tun sollen, die vergewaltigt wurden und ohne die „Pille danach“ gezwungen wären, das gewaltsam gezeugte Kind zur Welt zu bringen. Oder was mit denen passieren soll, die schlimme Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie unehelich schwanger geworden sind. Doch auch darauf gibt er keine Antworten.
Vielleicht sind diese Gedanken auch übertrieben, denn in Berlin finden Frauen natürlich zahlreiche andere Apotheken, in denen sie das Medikament bekommen können. Kersten schafft keine Versorgungslücke. Warum ihn also nicht einfach in Ruhe lassen? Warum so eine öffentliche Sache daraus machen? Weil er selbst eine öffentliche Sache daraus macht.
Kritik der Apotherkammer Berlin
Kersten will zwar ungern mit Journalisten reden, klebt aber
an die Eingangstür seiner Apotheke Stellungnahmen, in denen er Politik und
Gesellschaft zum Umdenken bewegen will. Dort ruft er dazu auf, Verhütungsmittel
zu meiden, die verhindern, dass sich ein befruchtetes Ei in die Gebärmutter
einnistet. Die natürliche Familienplanung sei demnach das beste Mittel, um „die
unantastbare Würde des Menschen“ zu achten. Außerdem schreibt er: „Wenn sich
die Staatsmacht nicht in den Dienste der Rechte aller – und besonders der
Schwächsten, zu denen die Ungeborenen gehören – stellt, werden die Grundmauern
des Rechtsstaates untergraben.“
Die Apothekerkammer Berlin findet für Kerstens Weigerung, die Pille danach nicht auszugeben, klare Worte. Der Geschäftsführer Rainer Auerbach kommt in einem bereits 2013 erschienen Statement zu dem Fazit, dass es nicht zulässig sei, dass Apotheker aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen selbst entscheiden, welche Arzneimittel sie ausgeben.* Auch wenn dies gesetzlich nicht klar festgelegt sei, gebe es dafür Regelungen, die zum Beispiel aus der Apothekenbetriebsordnung abzuleiten seien. Demnach müssten Apotheker den Verschreibungen eines Arztes nachkommen und dürften die durch einen Arzt angeordnete Therapie nicht beeinflussen.
Unzumutbar, eine 'willige' Apotheke zu suchen
Nun ist die „Pille danach“ heute rezeptfrei erhältlich. Auerbach schreibt dazu jedoch, dass es für die Patientin unzumutbar sei, sich vor dem Apotheker rechtfertigen zu müssen, warum sie das Arzneimittel einnehmen möchte. Etwa im Fall einer Vergewaltigung dürften Patientinnen „nicht dazu gezwungen werden, nach einer 'willigen' Apotheke zu suchen“. Der Apotheker kenne den Anlass der Medikation nicht und müsse ihn auch nicht kennen.
Weiter schreibt er, dass der Apotheker aufgrund seines gesetzlichen Auftrags, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen, dazu verpflichtet sei, sich religiös und weltanschaulich zu mäßigen. Sein Recht, nach bestem Gewissen zu handeln, müsse in diesem Fall hinter dem Versorgungsauftrag zurückstehen. Anderenfalls wäre die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet, die jedoch ein wichtiger Pfeiler des Gesundheitssystems ist.
Welche rechtlichen Folgen es für Kersten selbst haben könnte, dass er sich weigert, die „Pille danach“ auszugeben, will die Kammer auf Anfrage nicht beantworten. Pauschal lasse sich nicht sagen, welche Konsequenzen in so einem Fall drohen, sagt Rainer Auerbach.
Nach dem Tweet der Kundin, die sich neulich über die Notiz aufgeregt hatte, berichteten wieder einige Medien über die Undine-Apotheke und Andreas Kersten, wieder wurde er im Internet beschimpft. Doch Kersten bleibt stur. Auch in diesen Tagen gibt er jedem Kondom-Käufer „etwas zu lesen“ mit.
Update: In einer früheren Version des Textes entstand der Eindruck, dass das Statement der Apothekerkammer aktuell sei und es sich auf die Zettel in den Kondompackungen beziehe. Das aus 2013 stammende Statement bezieht sich aber auf die Ausgabe der Pille danach. Außerdem ist die Sprecherin der Apothekerkammer Anita Sternitzky nicht die Mitautorin des Statements. Wir haben die Stelle korrigiert.
2 Kommentare
Wo ist das Problem?
von Stefan Haydn am 13.04.2016 um 10:23 Uhr
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ist doch alles gut,
von Klaus Baumeíster am 12.04.2016 um 17:52 Uhr
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