Anwalt zur Cannabis-Entscheidung

Gröhe hätte ohne Eigenanbau-Urteil Schwierigkeiten bekommen

Stuttgart - 20.04.2016, 07:00 Uhr

Legalen Eigenanbau wird es laut Tolmein auch dann noch geben, wenn Cannabis für einige schwerkranke Patienten von den Kassen erstattet wird. (Foto: Jdubsvideo / Fotolia)

Legalen Eigenanbau wird es laut Tolmein auch dann noch geben, wenn Cannabis für einige schwerkranke Patienten von den Kassen erstattet wird. (Foto: Jdubsvideo / Fotolia)


Eigenanbau statt Apotheke: Ein Mandant von Rechtsanwalt Oliver Tolmein darf nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Cannabis anbauen, da er schwer krank ist und die Kasse die Kosten für Medizinalhanf nicht erstattet. Im Gespräch mit DAZ.online sagt Tolmein, dass Eigenanbau auch mit dem geplanten Gesetz zur Erstattungsfähigkeit ein Thema bleibt – und er Verbesserungen für weitere Patientengruppen anstrebt.

DAZ.online: Herr Tolmein, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat Ihrem Mandanten den Eigenanbau von Cannabis gestattet – und dem BfArM keinen Ermessensspielraum in dieser Entscheidung eingeräumt. War das Urteil eine Überraschung für Sie?

Oliver Tolmein: Ich bin nicht überrascht – aber sehr positiv erfreut, dass das Gericht vorurteilsfrei genug war, die aus unserer Sicht richtige Entscheidung zu treffen und weitreichend zu Gunsten der Patienten zu urteilen. Es ist ein sogenanntes „Bescheidungsurteil“, das BfArM muss also den Eigenanbau unseres Mandanten genehmigen. Das Bundesverwaltungsgericht geht damit, anders als noch das Oberverwaltungsgericht NRW, davon aus, dass der im Gesetz vorgesehene Ermessensspielraum des BfArM angesichts der besonderen Umstände dieses Verfahrens und des Anspruchs auf Cannabis als Medizin „auf Null“ zusammengeschnurrt ist. Es gibt also nur eine einzige zutreffende Entscheidung, nämlich die Genehmigung des Eigenanbaus. So eine Ermessensreduzierung auf Null durchzusetzen, gelingt im Verwaltungsrecht sehr selten.

DAZ.online: Ihr Mandant hat zwar eine Sondergenehmigung vom BfArM, kann sich Cannabis aus der Apotheke aber nicht leisten. Warum haben Sie nicht auf die Erstattung der Kosten durch die Krankenkasse geklagt – sondern auf Eigenanbau?

Tolmein: Die Klage auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen hätten wir vor den Sozialgerichten betreiben müssen. Hier wären wir aufgrund der restriktiven Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu „neuen Therapiemethoden“ zwingend gescheitert, zumal Cannabisblüten ja aufgrund des BtMG noch nicht mal verschreibungsfähig sind und auch kein Arzneimittel im Sinne des SGB V. Aber selbst bei einem THC-haltigen Rezepturarzneimittel wie „Dronabinol“ bestehen hier kaum Chancen für eine Kostenübernahme.

(Foto: Cordula Kropke)

Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein

Bei einem schwer krebskranken Patienten, bei dem Dronabinol zu einer erheblichen Reduktion seiner Symptome, vor allem der ständigen Übelkeit und der Appetitlosigkeit geführt hat, entschied das Bundessozialgericht, dass hier die Verordnung zu Unrecht zulasten der Krankenkasse erfolgt ist, weil das Arzneimittel nur palliativ Symptome lindere und nicht kurativ den Krankheitsverlauf beeinflusse. Wir mussten also einen anderen Weg gehen und die Selbsthilfemöglichkeit, die Patienten bei Cannabis bleibt, legalisieren lassen – nämlich den Eigenanbau. 

Es gab nur eine Möglichkeit

Das war eine der eindrucksvollen Situationen in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht: Der Prozessbevollmächtigte der Bundesrepublik meinte auch, wir hätten versuchen müssen, eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse zu erwirken. Wir haben daraufhin gefragt: Wenn Sie denken, dass das eine aussichtsreiche Option gewesen wäre, warum ändert die Bundesregierung denn gerade § 31 SGB V mit der Begründung, man müsse die Kostenübernahme für Cannabis als Medizin durch die Krankenkasse ermöglichen? Es gab für unseren Mandanten eben nur die eine Möglichkeit in diesem Verfahren: Eigenanbau.

DAZ.online: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung nun geurteilt, der Selbstanbau von Cannabis sei aufgrund der bisher fehlenden Kostenerstattung für Ihren Mandanten alternativlos. Im geplanten Gesetz schreibt hingegen das Gesundheitsministerium, die zukünftige Kostenerstattung sei alternativlos, da der Eigenanbau aufgrund mangelnder Qualitäts- und Sicherheitskontrollen sowie „aus ordnungspolitischer Sicht“ nicht zielführend sei.

Tolmein: Genau, das geplante Gesetz ist vor allem ein Eigenanbau-Verhinderungsgesetz. Damit habe ich grundsätzlich keine Probleme – man fragt sich nur, warum die Bundesregierung mit dieser Lösung erst im Jahr 2016 kommen, wo doch das Problem seit 2000 auf dem Tisch ist. Herrn Gröhe kann man das allerdings nicht vorwerfen, anders als seine Vorgänger von den Grünen, der SPD und FDP hat er das Problem jetzt wenigstens aufgegriffen. Und das Urteil, das wir erstritten haben, erleichtert ihm die Aufgabe sicher, denn der Eigenanbau wird ja genehmigt, weil kein anderer Zugang für Patienten zu Cannabis als Medizin besteht. Hätte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Eigenanbau unzulässig ist, hätte Minister Gröhe sicher Schwierigkeiten bekommen, den gesetzlich geregelten Zugang zu Cannabisblüten gegenüber Ärzteverbänden oder manchen Bundestags-Abgeordneten durchzusetzen.

DAZ.online: Wie zufrieden sind Sie mit dem geplanten Gesetz?

Tolmein: Das Gesetz ist grundsätzlich der richtige Weg, denn angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Lage gibt es ansonsten keine Kostenübernahme für Cannabis als Medizin. Wir haben einen Sachleistungsanspruch im Gesundheitswesen und keinen Anspruch darauf, unsere Medikamente selber herstellen zu müssen oder zu dürfen. Eine sehr wichtige Vorschrift ist der neu einzufügende Absatz 6 des § 31 SGB V, der einen Anspruch auf Cannabis als Medizin auch dann begründet, wenn der Cannabiskonsum keine „Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf“ hat, also keine kurative Wirkung. Es reicht vielmehr eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung“ auch auf „schwerwiegende Symptome“ aus, also eine palliative Wirkung. Nach der Gesetzesreform wird man sich allenfalls fragen, warum das eigentlich nur für Cannabis gelten soll. Wir haben hier eine Sondervorschrift, doch Off-label-Use gibt es in der Palliativmedizin sehr häufig.

DAZ.online: Werden andere Patienten hierdurch also indirekt benachteiligt?

Tolmein: Ja, weil sie die Kosten für ihre Medikation im Off-label-Use nicht erstattet bekommen, die off label benötigten Arzneimittel aber auch nicht selber anbauen können. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz darf es eigentlich nicht sein, dass schwer chronisch kranke Patienten bessergestellt sind, wenn sie auf Cannabis angewiesen sind – anstatt auf Off-label-Use von anderen Arzneimitteln.

Verbesserungen für andere Patientengruppen

Eigentlich müssen die Erstattungsregeln des SGB V angepasst werden: Es gibt keinen sachlichen Grund, warum sie laut den aktuellen Plänen nur für Cannabis weniger restriktiv ausgelegt werden und bei anderen Substanzen weiterhin eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs für einen Anspruch auf Kostenerstattung nötig ist, und nicht nur der Symptome. Mein Ziel ist, im Gesetzgebungsverfahren auch zugunsten anderer Patienten etwas zu erreichen. Für die Palliativversorgung spielt das eine große Rolle.

DAZ.online: Auch Cannabis soll es zukünftig nur für ausgewählte Patientengruppen geben.

Tolmein: Es beunruhigt uns, dass der G-BA die Leitlinien hierzu erstellen soll. Ab 2019 soll der G-BA die Indikationen festlegen – im G-BA sind Kassenärzte und GKV mit Stimmrecht vertreten, das sind aber seit Langem die wichtigsten Gegner einer Verordnungsfähigkeit von Cannabis als Medizin zulasten der GKV. Dies wird wahrscheinlich zu Rechtsstreitigkeiten führen. Dann haben wir für einzelne Patienten eine ähnliche Situation wie heute: Wenn der Patient sich Cannabis aus der Apotheke nicht leisten kann, wird er sich wieder mit Eigenanbau behelfen müssen. Solange Medizinalhanf nicht wie andere Medikationen vom Arzt verschrieben werden kann, weil er es für die beste Therapie hält, und die Krankenkasse dann die Kosten übernehmen muss, werden wir wohl ein Problem haben.

Auch ist es sehr seltsam, dass das Gesetz regelt, dass Patienten Medizinalhanf nur bekommen, wenn sie bereit sind, sich an der Begleitforschung zu beteiligen. Meines Erachtens geht so ein Zwang zur Teilnahme an gruppennütziger Forschung gar nicht.

DAZ.online: Kann der Eigenanbau denn wirklich eine Lösung sein?

Tolmein: Aus meiner Sicht ist er eine Lösung für die Patienten, die es können, wollen und müssen, weil es für sie keine Alternative gibt. Aber es ist natürlich keine wirklich umfassende Lösung. Ich will mir meine Medikamente auch nicht selber anbauen. Manche Patienten sind nicht selber in der Lage dazu: Soll etwa ein Tetraplegiker seine Assistenzkräfte zum Eigenanbau einsetzen? Vielleicht will er auch nicht, dass sie ihre Zeit in die Pflege der Hanfpflanzen stecken, statt in die Assistenz bei ihm.

Patienten müssen Cannabis aus der Apotheke beziehen können

Als einzige Möglichkeit, an Cannabis zu kommen, ist der Eigenanbau eine schlechte Option. Patienten müssten die Möglichkeit haben, Cannabis im Rahmen des Sachleistungsprinzips aus der Apotheke zu beziehen. Es ist kein Medikament bei dem man sagen kann, da gilt die Therapiefreiheit der Ärzte nicht oder es gibt erhöhte Vorschriften.

DAZ.online: Bisher gibt es ja kaum Studien, die die Wirkung von Cannabis untersucht haben.

Tolmein: Auch für andere Substanzen gibt es keine gute Evidenz. In einem Bereich, wo es so wenig Forschung gibt wie bei Cannabis, ist dies auch nicht erstaunlich.

DAZ.online: Sie vertreten auch andere Patienten. Wie stehen deren Verfahren derzeit?

Tolmein: Wir haben einige weitere Verfahren zum Eigenanbau, die beim Oberverwaltungsgericht Münster liegen. In den meisten Fällen ist die Bundesrepublik Deutschland in Berufung gegangen. Insgesamt haben wir im Moment eine unklare Lage, weil das BfArM nicht handelt: Es wartet auf die schriftlichen Begründungen des Urteils. Es ist unsicher, welche Auflagen das Bundesverwaltungsgericht dem BfArM erlaubt. Kritisch ist hier der ganze Bereich der Sicherheit des Anbaus: Einerseits ist dies aus nachvollziehbaren Gründen wichtig, andererseits ist es auch ein leichtes Mittel, Eigenanbau durch überzogene Anforderungen – zum Beispiel teure Tresore oder einen Betonfußboden – zu verhindern.

DAZ.online: Ein Argument gegen den Eigenanbau ist ja, dass hierbei ein gleichbleibender Wirkstoffgehalt nicht sichergestellt werden kann.

Tolemein: Das ist möglicherweise so, wobei ich kein Experte bin. Andererseits haben die Patienten ja selbst ein großes Interesse an pharmakologisch sicherem Medizinalhanf. Deswegen klonen sie ihre Pflanzen mit Stecklingen, dann werden sie auch einen etwa gleichbleibenden Wirkstoffgehalt haben. Aber selbst wenn nicht: Der Patient kriegt ja ungefähr mit, wann die Wirkung eintritt. Dann raucht er etwas mehr oder weniger. Es treten ja auch keine schweren Nebenwirkungen auf. Das BfArM ist der Auffassung, dass es zu Abhängigkeit kommen kann. Aber wir reden ja nicht über 18-Jährige, bei denen es vielleicht zu Psychosen kommen kann – sondern über schwerkranke Patienten ohne Behandlungsalternativen.

Auch alle anderen Medikamente können bei diesen schweren Erkrankungen unerwünschte Wirkungen haben. Mein Mandant macht das seit 30 Jahren, er hat mit Anfang 20 mit dem Eigenanbau angefangen und kann das ganz gut steuern.

DAZ.online: Inwiefern kann die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auf andere Fälle übertragen werden?

Tolmein: Natürlich ist es eine Einzelfallentscheidung, aber bei ähnlichen Ausgangsvoraussetzungen hat das Urteil auch für andere Patienten eine hohe Relevanz. Wenn das Gericht die Auffassung vertritt, dass die Sicherheitsbestimmungen, die das BfArM für Krankenhäuser anwendet und bei denen eingebaute Tresore oder eine bestimmte Beschaffenheit von Wänden und Böden verlangt werden, nicht auf Privatwohnungen übertragbar sind, gilt das allgemein.

Das Gespräch führte DAZ.online-Redakteur Hinnerk Feldwisch-Dentrup. 

Oliver Tolmein ist Fachanwalt für Medizinrecht und Mitgründer der Kanzlei „Menschen und Rechte“ in Hamburg.


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2 Kommentare

Nebenwirkungen des Cannabis-Konsums

von Wolfgang Ewert am 22.09.2016 um 11:16 Uhr

Was Andreas Schenkel schon geschrieben hat.
Prof. Wayne Hall hatte die Nebenwirkungen des Cannabis-Konsums aus Studien heraus zusammengefasst und kam bei den Risiken zu folgendem Ergebnis:
"Was 20 Jahre Forschung über Cannabis-Konsum uns sagen"

1) Akut
1.1. Es gibt KEINE tödliche Überdosierung
1.2. Konsum erhöht das Verkehrs-Unfallrisiko auf das Doppelte (vergleichbar Alkohol- 0,5 o/oo (oder 0,3?) BAK)
1.3. Cannabis-Konsum verringert bei Schwangeren das Geburtsgewicht von Babies (BTW: Konsum von Drogen einschließlich Alkohol und bestimmter Medikamente verbietet sich in der Schwangerschaft)

2) Chronisch
2.1 - 4 bezieht sich nur auf Effekte, wenn der (exzessive) Konsum bereits in der Jugend einsetzt
2.5 bezieht sich aufs Rauchen - Verbrennungsresultate einzuatmen ist sowieso riskanter als es anderweitige Konsumformen sind.
2.6 Erhöhung des Herzinfarktrisikos bei Konsumenten mittleren Alters, das kann bei ungewohntem Sex ebenso zutreffen

Addiction Jornal, 7. Okt. 2014.

Was bleibt übrig? Cannabis als Medizin ist für Erwachsene arm an Risiken, bei Kindern und Jugendlichen muss der Arzt die gewünschte Wirkung und die Risiken abwägen.

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Cannabis-Überdosis

von Andreas P. Schenkel am 20.04.2016 um 20:03 Uhr

Cannabis hemmt, nach derzeitigem Stand der Naturwissenschaften, keine automatisch geregelten ZNS-Funktionen, die akut lebenswichtig sind. Dies ist, als Beispiel, beim Ethanol anders, der im "Über-Übermaße" ja durchaus narkotisch wirken kann und dann u.a. den Atemreflex in der Medulla oblongata aussetzen lässt, was per Atemstillstand letal wirken kann.

Noch niemand hat sich jedoch, so weit ich weiß, durch Cannabis-Konsum derart final geschädigt :
• z.B. erowid.org schreibt hierzu: "Risk of Death - There are no confirmed, published death reports from cannabis-only poisoning. [..]"
• auch das jüngste "Bundeslagebild 2014 - Rauschgiftkriminalität" erwähnt erwartungsgemäß keinen einzigen Toten aufgrund von Cannabiskonsum.

Da der gerichtlich gestattete Eigenanbau vermutlich eine Übergangslösung für ganz wenige Patienten sein wird, ist die Gefahr der Überdosis sicherlich ohnehin gering, so wünschenswert auch eine Sicherheit hinsichtlich des Wirkstoffgehalts ist.

Allzu gefährlich ist eine akzidentielle Übermedikamentierung vermutlich, entsprechend den bekannten pharmakodynamischen Wirkungen von Cannabis, auch nicht: Der Patient wird müde, dann alsbald unnarkotisiert und erweckbar einschlafen, und wenn er wieder aufwacht, futtert er den Kühlschrank leer.

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