Polio-Schluckimpfung

Switch von 3 auf 2

Berlin - 22.04.2016, 09:45 Uhr

Von drei auf zwei: die oralen Polio-Vakzine sollen weltweit umgestelt werden. (Foto: picture-alliance / dpa)

Von drei auf zwei: die oralen Polio-Vakzine sollen weltweit umgestelt werden. (Foto: picture-alliance / dpa)


Das Ziel ist ambitioniert: Innerhalb von nur zwei Wochen will die WHO mit großem logistischem und personellem Aufwand in 155 Ländern die noch verfügbaren trivalenten oralen Polio-Impfstoffe einziehen, vernichten und durch bivalente OPV-Impfstoffe ersetzen.

So merkwürdig es klingen mag: Diese zwischen dem 17. April und dem 1. Mai 2016 stattfindende Aktion ist Teil der weltweiten Kampagne zur Ausrottung der Kinderlähmung, kurz GPEI (Global Polio Eradication Initiative), die 1988 gestartet wurde. Damals hatte die WHO die weltweite Ausrottung der Erkrankung bis 2000 beschlossen – was nicht gelang. Europa war erst 2012 als Polio-frei zertifiziert worden; neues Ziel für die globale Eradikation ist nun das Jahr 2018. 

Quelle: Quelle Grafik: http://who.int/immunization/diseases/
poliomyelitis/endgame_objective2/en/

Typ 2 aus Impfstoffen kann gefährlich werden

Die weltweite Ausrottung des Polio-Virus Typ 2 hatte man bereits 1999 gemeldet. Doch in den oralen Polio-Impfstoffen (OPV) war dieser Virustyp noch immer vorhanden – abgeschwächt zwar, aber lebensfähig. Man befürchtete nun, dass er von einigen Geimpften über das Verdauungssystem wieder ausgeschieden werden könnte. Solche Fälle sind bereits bekannt geworden. Außerdem hat man in Abwässern in der Slowakei, in Estland, Finnland und Israel Impfviren nachweisen können. Auch die Entstehung mutierter Viren ist denkbar.

Wie erfolgreich der Switch von trivalenten oralen Polio-Impfstoffe (tOPV) auf bivalente (bOPV) verläuft, lässt sich auf einer von der GPEI eingerichteten Website verfolgen. Am 20. April war er bereits in 57 von 155 Ländern vollzogen worden. Für den Fall, dass nach dem Wechsel noch lokale, vom Typ 2 verursachte Polio-Ausbrüche vorkommen, wird eine kleine Reserve an monovalenten OPV-Typ-2-Impfstoffen vorgehalten.  

Kein Switch in Deutschland

Deutschland ist, wie die meisten europäischen Länder sowie die USA, Japan und Australien, nicht von der Austauschaktion betroffen. Lebendimpfstoffe werden bei uns derzeit nicht vermarktet. In den zugelassenen Totimpfstoffen (IPV) gegen Kinderlähmung wie IPV Mérieux® oder Kombinationsimpfstoffen (z. B. Infanrix hexa®), die intramuskulär verabreicht werden, sind nach wie vor alle drei Polio-Typen, d.h. die Stämme Mahoney, MEF-1 und Saukett, enthalten.

Die Bundesrepublik Deutschland nimmt seit 1997 aktiv am Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Polio-Eradikation teil. Das bedeutet auch, dass sie Maßnahmen treffen muss, um die erreichte Polio-Freiheit in ihrem Staatsgebiet zu überwachen und bis zur Bestätigung einer globalen Eradikation der Kinderlähmung zu erhalten. Vor dem Hintergrund der Migrationsbewegung ist diese Verpflichtung mit großen Herausforderungen verbunden. Denn zu den wenigen Ländern, aus denen noch Infektionen durch Polio-Wildviren gemeldet werden, zählen ausgerechnet solche, aus denen viele Flüchtlinge nach Europa gekommen sind: So wurden 2015 aus Pakistan 41 Fälle, aus Afghanistan 16 Fälle berichtet. In Syrien war es 2013 zu einem Polio-Ausbruch mit insgesamt 36 Fällen gekommen; seit Januar 2014 sind dort allerdings keine Poliomyelitis-Fälle mehr bekannt geworden.

Die Nationale Kommission für die Polioeradikation in Deutschland (NCC) schätzt dennoch das Risiko einer Einschleppung von Polio-Wildviren durch die Flüchtlingsströme als sehr gering ein. Sie empfiehlt für asymptomatische Asylsuchende in Deutschland derzeit weder ein Eingangsscreening auf eine Polio-Virus-Ausscheidung (Stuhlscreening) noch eine serologische Untersuchung auf Polio-Virus-Antikörper. Eine Impfung gegen Poliomyelitis wird jedoch entsprechend den STIKO-Empfehlungen angeraten.

Auseinandersetzung mit Impfskeptikern

Ein wichtiger Bestandteil der WHO-Strategie ist der weltweite Umstieg von OPV auf IPV. Doch in einigen Regionen bereitet schon die Durchsetzung der oralen Vakzinierung unerwartete große Probleme, und Impfakteure müssen teilweise sogar um ihr Leben fürchten. So wurden beispielsweise im Februar 2015 in Pakistan vier Mitglieder eines Impfteams ermordet.

Gründe für die enormen Widerstände in einigen Bevölkerungsgruppen sind beispielsweise Vermutungen, dass die Impfung unfruchtbar macht oder dass dadurch Infektionserreger wie HIV übertragen werden.

Quellen: Uhlmann, B.: Das letzte Virus, Süddeutsche Zeitung vom 21. April 2016


Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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