Diskussion um Verhandlungshoheit

Von der neuen Rolle der Apothekerkammern

Berlin - 17.05.2016, 09:35 Uhr

Strategisch handeln ist erforderlich: Die Liste der Projekte, in denen Apothekerkammer und Verband gemeinsam gefragt sind, wird immer länger. (Foto: chalabala / Fotolia)

Strategisch handeln ist erforderlich: Die Liste der Projekte, in denen Apothekerkammer und Verband gemeinsam gefragt sind, wird immer länger. (Foto: chalabala / Fotolia)


Eigentlich war die Aufgabenteilung zwischen Apothekerkammern und -verbänden immer klar: Die Verbände verhandeln, die Kammern regeln die pharmazeutischen Fragen. In immer mehr Verträgen geht es aber nicht mehr nur ums Geld, sondern um pharmazeutische Dienstleistungen, die Kammern werden an immer mehr Verhandlungen beteiligt. Der ABDA-Gesamtvorstand will daran nichts ändern - die Begründung allerdings überrascht.

Immer häufiger kommt es vor, dass Apothekerkammern eigene Versorgungsideen entwerfen, Modellprojekte entwickeln oder pharmazeutische Dienstleistungen erproben. Hintergrund ist unter anderem das von der Hauptversammlung der Apotheker beschlossene „Perspektivpapier 2030“. Die Pharmazeuten wollen ihre heilberufliche Rolle im Gesundheitswesen stärken und neben der puren Medikamentenabgabe als Arzneimittel-Fachmann mehr beraten. In der Versorgungspraxis soll der Apotheker also beispielsweise Medikationsberatungen durchführen, Projekte zur Arzneimitteltherapie-Sicherheit anbieten oder das E-Rezept testen.

Nun lässt sich die Rolle des Apothekers – auch wegen bestehender Gesetze – nicht innerhalb von ein paar Monaten ändern. Ihre neuen Funktionen müssen sich die Apotheker daher langsam in Modellprojekten erarbeiten. Und für diese Modellprojekte bedarf es einer Kooperation mit Ärzten, Krankenkassen oder anderen Institutionen. Hier kommt dann eigentlich der Verband ins Spiel: Denn die Landesapothekerverbände haben die Verhandlungshoheit – sie verhandeln beispielsweise alle Vergütungskonditionen der Pharmazeuten.

In den Vertragsverhandlungen dieser neuen pharmazeutischen Aufgaben geht es aber eben nicht nur um die Vergütung. Das beste Beispiel ist das Modellprojekt ARMIN: Hier musste vereinbart werden, wie der Apotheker welchen Patienten wann berät – und um welche Arzneimittel es geht. Zudem musste mit den teilnehmenden Ärzten eine gemeinsame Kommunikationsbasis etabliert werden – alles Fragen, um die sich eigentlich die Kammer kümmert.

Immer mehr Kammer-Projekte

Und die Liste solcher Projekte wird immer länger: In Westfalen-Lippe führen Apotheker mit AOK-Versicherten Medikationschecks durch und erhalten von der Gesundheitskasse dafür 80 Euro. Vereinbart wurde das Projekt von der Kammer. Insbesondere durch den Innovationsfonds könnten noch sehr viele solcher Modelle folgen. In Bayern könnten die Apotheker unter Umständen an einem ersten Test des E-Rezeptes teilnehmen. Auch dort ist die Kammer entscheidend in die Planung eingebunden.

Dem geschäftsführenden Vorstand der ABDA hat diese Entwicklung offenbar nicht gefallen. Denn dem Vernehmen nach hat das 13-köpfige Gremium schon vor einigen Wochen ein Papier beschlossen, das die Verhandlungsmöglichkeiten der Kammern empfindlich eingeschränkt hätte. Anlass soll wohl insbesondere das von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe allein mit der AOK abgeschlossene Projekt sein.

Der Branchendienst Apotheke Adhoc hatte das Papier kurz erwähnt: Die Aktivitäten von Kammern und Verbänden sollten im Bereich der pharmazeutischen Dienstleistungen besser koordiniert werden. Demnach sollten die Kammern bei Verträgen mit Krankenkassen grundsätzlich nur beteiligt werden, aber weiterhin Einfluss nehmen dürfen.

Konkret hieße das: Keine Kammer hätte mehr ein Projekt allein mit einer Krankenkasse abschließen dürfen. Der Geschäftsführende Vorstand hatte das Papier in den vergangenen Tagen dem ABDA-Gesamtvorstand zur Abstimmung vorgelegt.

Kammern wollen auch verhandeln dürfen

Einige Kammern beschwerten sich schon im Vorfeld der gestrigen Abstimmung über das Papier, darunter Brandenburg, Baden-Württemberg und Westfalen-Lippe. Ein Sprecher der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg sagte gegenüber DAZ.online: „Aus unserer Sicht wird mit den vorgeschlagenen Regelungen eine nicht hinzunehmende Einschränkung der Kammern bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommen, der wir in dieser Form nicht zustimmen können.“

Am vergangenen Donnerstag stand das Konsenspapier dann auf der Tagesordnung des ABDA-Gesamtvorstandes, dem die Spitzen aller 34 Kammern und Verbände angehören. DAZ.online erfuhr aus Teilnehmerkreisen, dass zwar Einigkeit darüber bestand, dass sich beide Organisationen in allen Regionen grundsätzlich vor Gesprächen austauschen sollen. Allerdings: Zu einer Abstimmung des Papiers kam es gar nicht. Denn die Mehrheit der Verbände und Kammern stimmte schon dagegen, die Vorschläge überhaupt abstimmen zu lassen. Aus Teilnehmerkreisen hieß es, dass die Vorschläge der ABDA in den meisten Regionen schlichtweg nicht nötig seien, weil die Koordination bereits gut ablaufe. Viele Verbände hätten weiterhin eingesehen, dass sie den pharmazeutischen Input der Kammern vor und während der Verhandlungen unbedingt brauchen.

Ein Sprecher der ABDA kommentierte die Diskussion um die Rolle der Kammern so: „Der Gesamtvorstand hat das Papier diskutiert, und es gab Einigkeit darüber, dass Kammern und Verbände an einem Strang ziehen wollen.“ Es sei wichtig, dass der Berufsstand in dem „strategisch wichtigen Feld“ der pharmazeutischen Dienstleistungen mit einer Stimme spreche.


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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