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Tragischer Zwischenfall in Rennes
Keiner soll‘s gewesen sein
Die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine sieht bei der tödlich verlaufenen Studie mit BIA 10-2474 keine Gesetzesverstöße. Pharmahersteller Bial und Auftragsforscher Biotrial spricht sie für einzelne Fehler Verantwortung zu, während die Behörden insgesamt korrekt gearbeitet hätten.
Zwei Monate später als eigentlich angekündigt trat heute die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine vor die Kameras und stellte den Abschlussbericht der Generalinspektion für Soziale Angelegenheiten (IGAS) vor. Die ersten Worte der Ministerin galten Guillaume Molinet, der Mitte Januar bei der klinischen Studie mit der Substanz BIA 10-2474 in Rennes verstorben war, und seiner Familie. Fünf weitere Probanden mussten stationär behandelt werden und erlitten starke und möglicherweise bleibende Nebenwirkungen.
„Der Abschlussbericht bestätigt, dass die Bedingungen, unter denen die Studie zugelassen wurden, nicht gegen bestehendes Recht verstießen“, sagte die Touraine. Damit sprach sie die Arzneimittelbehörde ANSM und die Ethikkommission in Brest, die der Studie zugestimmt hatten, praktisch frei. Und dies, obwohl laut einer Expertenkommission der ANSM vielfache Fehler und Probleme im klinischen Dossier der Studie identifiziert hatten, welches die Gremien genehmigt hatten. Fraglich sei jedoch, ob das Risiko des Tests richtig eingeschätzt wurde, sagte Touraine in Paris.
Biotrial meldete erst nach vier Tagen
Die portugiesische Pharmafirma Bial, welche den Wirkstoff entwickelt hatte, sowie das Auftragsforschungsunternehmen Biotrial seien für einzelne Punkte verantwortlich. „Als erstes betrifft dies die Wahl der Dosis des Moleküls BIA 10-2474, das den Probanden verabreicht wurde“, erklärte die Ministerin. Der letzten Gruppe, bei der die schweren Probleme auftraten, sollten 50 Milligramm über zehn Tage hinweg verabreicht werden – obwohl eine maximale Hemmung der Zielsubstanz Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH) schon bei einer vielfach kleineren Menge erzielt wurde. Außerdem erhielt die letzte Probandengruppe mehr als doppelt so viel wie die vorherige, welche 20 Milligramm bekam.
Auch „bezüglich der Verzögerung bei der Benachrichtigung der Gesundheitsbehörden“ sieht Touraine Versäumnisse. Laut den Ermittlern der IGAS-Behörde sei die Einweisung des ersten Probanden ein so schwerwiegendes Ereignis gewesen, dass die Gesundheit der anderen Probanden in Gefahr war. „Daher hätte das Ereignis unverzüglich der Nationalen Arzneimittelbehörde gemeldet werden müssen“, erklärte die Ministerin. Dies sei jedoch erst vier Tage nach der Krankenhauseinweisung erfolgt.
Ethikkommissionen sollen unabhängig werden
Außerdem habe es „Schwierigkeiten beim Informationsaustausch“ zwischen Biotrial und der Uniklinik in Rennes gegeben: Obwohl Molinet mit schweren Symptomen eingeliefert worden war, erhielten die weiteren Probanden am nächsten Morgen die nächste Dosis. Biotrial sagt, sie hätten von der Uniklinik „Entwarnung“ bekommen, fragten aber am nächsten Morgen nicht bei der Uniklinik nach dem Gesundheitszustand. Den Hersteller BIAL sieht sie in der Pflicht bei der Aufarbeitung der Zwischenfälle, wie auch bei der Durchführung der Studie und dem Krisenmanagement.
Die Ministerin stellte am Montag einen Aktionsplan vor, der aufschlussreich ist. So beim Punkt „Ethikkommissionen“: Um ihre Unabhängigkeit zu stärken sollen Industrievertreter zukünftig keinen direkten Kontakt mit der Ethikkommission haben, sondern sich nur indirekt über die Arzneimittelbehörde mit ihnen austauschen. Die Ethikkommission in Brest, die die Studie zugelassen hatte, hatte laut französischen Medienberichten schon zuvor den Spitznamen „Biotrial-Kommission“ – und ein Vertreter von Biotrial war Mitglied der Ethikkommission in Rennes.
Frist für Biotrial
Laut der Ministerin wurden alle Zentren, die Phase-I-Studien durchführen, an ihre Verpflichtungen erinnert, schwere Nebenwirkungen sofort zu melden. Biotrial erhält extra-Aufgaben, die die Firma innerhalb eines Monats umsetzen muss, um weiterhin Studien durchführen zu dürfen. Neben Maßnahmen zur Risikominimierung muss das Studienpersonal insbesondere im Bereich der Pharmakovigilanz fortgebildet werden.
Außerdem werden die klinischen Unterlagen der insgesamt 90 Probanden, die BIA 10-2474 erhielten, von der Expertenkommission der Arzneimittelbehörde untersucht. Die Ministerin bestätigte, dass ein Proband aus einer anderen Gruppe einen Schlaganfall hatte – und zwar möglicherweise während seiner Studienteilnahme im November, und nicht vor der Studie, wie zuvor berichtet worden war.
Touraine will die Unterlagen auch einer Expertengruppe auf EU-Ebene zur Verfügung stellen, welche die Europäische Kommission auf ihr Bitten nach dem Zwischenfall eingerichtet hatte. Die Ministerin forderte die EU-Kommission darüber hinaus auf, „nötige Änderungen“ an den Richtlinien für Forschung an gesunden Probanden vorzunehmen.
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