Phytos in Europa

Deutschland liegt vorn

Brüssel - 24.05.2016, 08:40 Uhr

(Foto: Pixelmixel / Fotolia)

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Befürchtungen, der Markt der pflanzlichen Arzneimittel in Europa sei ernsthaft gefährdet, scheinen unbegründet, wie aus einer neuen Erhebung der Europäischen Arzneimittelagentur mit Stand Ende 2015 hervorgeht. Wenn Gefahr droht, dann vielleicht vom Lebensmittelsektor.

Eine wesentliche Grundlage für die Zulassung und Registrierung pflanzlicher Arzneimittel in der EU sind die europäisch harmonisierten Monographien (Community Herbal Monographs). Sie werden vom Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur erarbeitet. Derzeit gibt es rund 160 solcher Monographien. Ist die wissenschaftliche Datenlage ausreichend, so weisen sie Indikationen auf Basis des „Well-established use“ (WEU) aus. Diese können für die Zulassung genutzt werden. Alternativ können Anwendungsgebiete im Rahmen der traditionellen Anwendung über mindestens 30 Jahre (Traditional use/TU) formuliert werden. Auf dieser Basis werden dann die Registrierungen (TUR) erteilt. Für manche Arzneidrogen, wie etwa Baldrian, Hypericum oder Echinacea, ist je nach Art der Zubereitung oder auch der Art der Anwendung beides möglich.

Statistik der Registrierungen und Zulassungen

Der HMPC erstattet regelmäßig Bericht darüber, wie beide Verfahren in den EU-Mitgliedstaaten und den EWR-Staaten angenommen werden. Nach dem aktuellen Bericht wurden seit Einführung des Registrierungsverfahrens für traditionelle pflanzliche Arzneimittel im Jahr 2004 bis Ende 2015 insgesamt 1577 traditionelle Registrierungen erteilt, darunter rund 60 Prozent für Monopräparate. 2015 wurden 93 Registrierungen für Monos und 46 für Kombis bewilligt. Bei den WEU-Zulassungen lagen die Zahlen von 2012 bis 2015 zwischen 75 und 100 pro Jahr. 2015 sind insgesamt 92 Zulassungen erteilt worden, davon 82 für Mono- und 10 für Kombinationspräparate.

Trendsetter und Phyto-Skeptiker

In der Statistik steht Deutschland mit 278 Zulassungen und 263 Registrierungen insgesamt an der Spitze. Dies dürfte kaum überraschen. Der hiesige Markt für pflanzliche Arzneimittel ist seit jeher der größte in der EU. Auffällig ist, dass die Präparate in Deutschland im Vergleich mit allen anderen Ländern zu einem erheblich größeren Anteil zugelassen werden.

Mit weitem Abstand folgen in der Zulassungs-Statistik Österreich (51), Slowenien (44) und Spanien (41). Die wissenschaftliche Evidenz für die Phytos wird also hierzulande unter dem Strich erheblich höher eingestuft als anderenorts.

In Ländern wie Großbritannien, TUR-Spitzenreiter mit 344 Registrierungen, oder Polen (197 TUR) geht im Bereich Phyto fast alles ausschließlich über den Traditionsweg. Italien spielt in der Statistik so gut wie keine Rolle, denn dort werden die Produkte als Nahrungssupplemente verkauft. 

Ranking der Arzneipflanzen

Bei den „traditionellen“ Registrierungen haben Teufelskrallenwurzel (60) und Pelargoniumwurzel (59) die Nase vorn, dicht gefolgt von Baldrianwurzel (52), und mit einigem Abstand Johanniskraut (44), Thymiankraut (39) und Passionsblumenkraut (37).

In zugelassenen pflanzlichen Monopräparaten finden sich am häufigsten Ginkgoblätter (104), Efeublätter (81), Johanniskraut (49), Baldrianwurzel (41) und Mariendistelfrüchte (31).

Kombinationen kommen bei den Registrierungen deutlich häufiger vor als bei den Zulassungen, und zwar meist mit zwei Kombi-Partnern (206 TUR/57 WEU), aber auch mit drei, vier oder sogar mit fünf bis neun Wirkstoffen (109 TUR/44 WEU). Auch sieben Multikomponentengemische mit mehr als zwanzig Wirkstoffen haben die Hürde der Tradi-Registrierung erfolgreich genommen. Phyto-Kombis sind demnach keineswegs „out“.

Ranking der Indikationen

Bezüglich der registrierten bzw. zugelassenen Indikationen gleichen sich die Bilder: Unter den Top-Five rangieren unisono Husten- und Erkältung, Stress und Stimmungsschwankungen, Magen-Darm-Beschwerden sowie Störungen der Blasen- oder gynäkologischer Funktionen. 

Nur Phyto-Arzneimittel erfasst

Das neue Update liefert ein komplettes Bild über das Spektrum pflanzlicher Arzneimittel in Europa. „Weiße Flecken auf der Landkarte“ sind allerdings Länder, in denen Phytos in Form von Nahrungsergänzungsmitteln überwiegend im Lebensmittelbereich angesiedelt sind, wie etwa in Italien. Die Produkte tragen zum Teil zahlreiche Angaben in Bezug auf mögliche gesundheitsfördernde Wirkungen. Wie weit die Aussagen gehen dürfen, sollte eigentlich die Health-Claim-Verordnung regeln. Die Beurteilung der „Botanicals“ ist allerdings in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Die „Rangelei“ um die Phytos im Grenzbereich dürfte sich deshalb noch eine Weile fortsetzen.

Quelle

Uptake of the traditional use registration scheme and implementation of the provisions of Directive 2004/24/EC in EU Member States – Status 31 December 2015. 02 May 2016 (EMA/HMPC/322570/2011 Rev. 6)


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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