Pest-Ausbrüche nach 1400

Einzelner Stamm verursachte die großen Pest-Wellen

Jena/Ellwangen/Kasan - 09.06.2016, 07:30 Uhr

Der Ausbruch der Pest in Marseille 1720, wie der Maler Michel Serre ihn sah. (Foto: Christophe.moustier / Wikimedia)

Der Ausbruch der Pest in Marseille 1720, wie der Maler Michel Serre ihn sah. (Foto: Christophe.moustier / Wikimedia)


Die Pest zählte zu den Schrecken der Menschheit – bei mehreren Pandemien raffte die Krankheit Millionen Menschen dahin. Nun zeigt eine Studie: Seit dem Mittelalter hat eine einzelne Erreger-Linie die großen Ausbrüche verursacht.

Hinter den großen Pest-Epidemien seit dem 14. Jahrhundert wie auch modernen regionalen Ausbrüchen steckt eine einzelne Erreger-Linie. Der für die Schwarze Pest im Mittelalter verantwortliche Bakterien-Stamm verbreitete sich einer Studie zufolge zunächst von Asien nach Europa und von dort wieder nach China, wo Ende des 19. Jahrhundertes die bislang letzte Pandemie begann. Das folgert ein internationales Forscherteam um Alexander Herbig, Kirsten Bos und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena vor allem aus Genom-Analysen von Pest-Erregern aus Barcelona, der russischen Stadt Bolgar und Ellwangen in Baden-Württemberg.

Das Bakterium Yersinia pestis sei einer der aggressivsten Krankheitserreger in der Geschichte der Menschheit, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Cell Host & Microbe“. Eine Studie aus dem Altai-Gebirge zeigte kürzlich, dass Menschen schon vor 5000 Jahren an der Pest erkrankten. Die drei bislang verheerendsten Ausbrüche waren:

  • die Justinianische Pest ab dem 6. Jahrhundert im Oströmischen Reich
  • der Schwarze Tod, der Europa im 14. Jahrhundert heimsuchte, samt der folgenden Pestwellen, die bis ins 18. Jahrhundert anhielten, sowie
  • die Pandemie ab dem späten 19. Jahrhundert in China, die sich auch in andere Weltregionen wie etwa Lateinamerika und Madagaskar ausbreitete.

Der Schwarze Tod raffte von 1347 bis 1353 bis zu 50 Prozent der Europäer dahin. Bislang dachten viele Forscher, dass die Ausbrüche in Europa ab dem 14. Jahrhundert von mehreren verschiedenen Erreger-Stämmen ausgingen, die unabhängig voneinander vor allem aus Asien eingeführt wurden.

DNA-Sequenzierung der Erreger

Dem widerspricht die neue Untersuchung. „Unsere Studie liefert erstmals genetische Belege dafür, dass die Pest nach dem Schwarzen Tod von Europa nach Asien gelangte, und sie bietet eine Verbindung zwischen dem Schwarzen Tod zur Mitte des 14. Jahrhunderts und der modernen Pest“, wird Erstautorin Maria Spyrou in einer Mitteilung der Zeitschrift zitiert.

Um die Verbreitung der Pest zu klären, sammelten die Forscher DNA-Proben aus Zähnen von 178 Menschen aus Massengräbern in Barcelona und Ellwangen sowie aus einem Einzelgrab in Bolgar. In 32 Proben fanden sie Erbgut des Pest-Bakteriums, bei drei davon genügten die Rückstände, um das Genom zu rekonstruieren. Diese Genome glich das Team dann mit dem bereits sequenzierten Erbgut von 148 Erreger-Proben ab und erstellte daraus einen Stammbaum des Bakteriums.

Resultat: Der Erreger-Typ aus Barcelona, der auf Mitte des 14. Jahrhunderts datiert wird, stimmt mit der Londoner Variante überein, die ebenfalls aus der Zeit um 1350 stammt. In Barcelona brach der Schwarze Tod im Frühjahr 1348 aus, in London im folgenden Herbst. Die gleichzeitige Präsenz einer genetisch fast identischen Variante in Süd- und Nordeuropa deute stark darauf hin, dass die Pest den Kontinent in einer Welle erreichte, vermutlich aus Asien kommend. Die ersten Fälle des Schwarzen Todes in Europa waren 1347 auf Kreta, Sizilien und Sardinien registriert worden.

Verbindung zur modernen Pest

Die in Barcelona und London sequenzierten Erreger sind der Studie zufolge Vorläufer jener Varianten, die später Wellen des Schwarzen Todes um das 16. Jahrhundert in Ellwangen und auch Anfang des 18. Jahrhunderts in Marseille auslösten.

Noch überraschender ist das Ergebnis, dass auch die gefundene Variante aus der Wolga-Stadt Bolgar, die aus dem 14. Jahrhundert stammt, sowohl den anderen europäischen Stämmen ähnelt als auch den modernen Erreger-Stämmen. „Unser wichtigstes Resultat enthüllte eine Verbindung zwischen dem Schwarzen Tod und der modernen Pest“, sagt Krause. „Unsere Arbeit bietet erstmals genetische Belege dafür, dass mit dem Abklingen des Schwarzen Todes in Mitteleuropa Stämme der europäischen Pest nach Osten wanderten, am Ende des 14. Jahrhunderts das Gebiet der Goldenen Horde im heutigen Russland erreichten und schließlich bis nach China gelangten, wo sie die dritte weltweite Pestpandemie auslösten, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann.“

Ein Stamm breitete sich weltweit aus

Derzeit gebe es in China vermutlich Dutzende verschiedene Stämme des Pest-Erregers, sagt Herbig. „Aber nur die Linie, die vom Schwarzen Tod abstammt, hat sich nahezu um die gesamte Erde verbreitet.“

Warum der Pest-Erreger nach dem 18. Jahrhundert aus Europa verschwand, wissen die Wissenschaftler bislang nicht. Einer Theorie zufolge könnte dies damit zusammenhängen, dass auf dem Kontinent die Hausratte (Rattus rattus) ab dem 18. Jahrhundert zunehmend durch die Wanderratte (Rattus norvegicus) verdrängt wurde. Zwar könne auch diese das Pestbakterium übertragen, schreiben die Forscher. Die Wanderrate besetze aber im Vergleich zur Hausratte eine andere ökologische Nische und habe dadurch weniger Kontakt zu Menschen. Dies könne die Übertragung der Krankheit bremsen.


Walter Willems, dpa
redaktion@daz.online


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