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- Gefährlicher Chemsex
Um die Lust zu steigern und länger durchzuhalten, werden auf Partys immer öfter psychoaktive Drogen konsumiert. Chemsex nennt sich der Trend, vor dem Mediziner jetzt warnen. Denn es kommt dabei regelmäßig zum ungeschützten Geschlechtsverkehr mit mehreren Partnern.
Der Trend zum Chemsex stammt aus Großbritannien, breitet sich aber längst auch in anderen Ländern aus. Konsumiert werden dabei Stimulantien wie das Amphetamin Mephedron oder Crystal Meth: Beide Stoffe euphorisieren, steigern die Herzfrequenz, den Blutdruck und die sexuelle Erregbarkeit. Weitere beliebte Chemsex-Substanzen sind GHB (Gammahydroxybuttersäure) und seine Vorstufe GBL (Gamma-Butyrolacton), unter dem Namen k.o. - Tropfen sind sie auch als Vergewaltigungsdrogen bekannt.
Niedrig dosiert wirken sie enthemmend und leicht betäubend, größere Mengen können bis zur Bewusstlosigkeit oder Atemlähmung führen. Die ebenfalls gängige Bezeichnung Liquid-Ecstasy führt in die Irre, weil GHB und GBL deutlich anders als Ecstasy wirken. Alle Chemsex-Drogen werden bewusst eingenommen, um den Sex intensiver und enthemmter zu erleben, oder um den Analsex zu erleichtern.
In einem Editorial des BMJ wiesen britische Gesundheitsexperten nun vor kurzem auf die Risiken von Chemsex hin. Mephedron und Crystal machten stark psychisch, GHB und GBL körperlich abhängig, es drohten dauerhafte mentale Schäden. Eine weitere Gesundheitsgefahr sei der Schlafentzug, wenn Konsumenten im Chemsex-Rausch bis zu drei Tage lang weder essen noch schlafen. Chemsex-Partys könnten außerdem die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten fördern – weil Teilnehmer von ungeschütztem Geschlechtsverkehr und von durchschnittlich fünf verschiedenen Sex-Partnern berichten. Eine Ansteckung mit HIV oder Hepatitis-C-Viren drohe insbesondere dann, wenn die Drogen gespritzt werden und die Konsumenten das Besteck teilen. Zudem sei es für eine Postexpositionsprophylaxe gegen HIV häufig zu spät, wenn Party-Teilnehmer erst nach mehreren Tagen der Ausschweifung in der Ambulanz erscheinen.
Welle ist herübergeschwappt
Auch deutschen Experten macht der Trend Sorge. „Die Welle ist vor einigen Jahren aus Großbritannien herübergeschwappt‟, sagt Prof. Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI (sexually transmitted infection)-Gesellschaft. Beliebt sei die Praxis auch hier vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben. Der Trend werde zum Teil aber bereits von der heterosexuellen Partyszene übergenommen. Brockmeyer leitet das Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin der Ruhr-Universität Bochum, wo auch Menschen mit Geschlechtskrankheiten behandelt werden. Etwa 15% der Patienten hätten bereits Erfahrungen mit Chemsex gemacht.
Chemsex-Praktizierer seien auf den ersten Blick nicht die typischen Drogenkonsumenten, sagt Brockmeyer. Sondern eher gut gestellte Akademiker zwischen 40 und 60 Jahren. „Sie sehen sich auch nicht als Drogenabhängige – es geht ja scheinbar nur um ein wenig Spaß.‟ Ein Risikobewusstsein sei oft nicht vorhanden. Im Drogenrausch werde eher auf Safersex verzichtet, und es entstehe schneller Vertrautheit, was zu einer Vielzahl an Sexualkontakten führe. Ansteckungsgefahr gelte dabei für das ganze Paket an sexuell übertragbaren Krankheiten: HIV, Syphilis, Gonorrhö, Hepatitis C, Chlamydien, Genital-Herpes und HPV. Ein wirksames Mittel, um zumindest die HIV-Übertragungsrate beim Chemsex zu senken, wäre laut Brockmeyer die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), die aber in Deutschland bisher nicht zugelassen ist.
Das größte gesundheitliche Risiko bergen laut Brockmeyer aber die Drogen selbst. „Crystal Meth und andere Amphetamine oder GHB führen bei regelmäßigem Konsum zu Organschäden und psychischen Problemen‟, warnt auch er. Besonders gefährlich: Um die tagelangen Sex-Partys durchhalten zu können, werden die Stoffe kombiniert. Man beginne vielleicht mit Alkohol und Stimulanzien. Später kämen aufputschende Mittel dazu und am Sonntagabend etwas zum Runterkommen. „Am Ende hat jemand dann sechs bis acht verschiedene Substanzen im Blut. Immer wieder kommt es so auch zu Todesfällen.‟
Mehr Sucht- als Genussverhalten
Trotzdem sei die Versuchung für viele so groß, dass sie immer wieder zu Chemsex-Drogen greifen. Einblick in die Motive der Konsumenten bietet die Untersuchung „The Chemsex-Study‟ der London School of Hygiene & Tropical Medicine. Wissenschaftler werteten dazu die Daten einer europäischen Online-Befragung von Männern, die mit Männern Sex haben, neu aus. Außerdem hatten die Wissenschaftler 30 persönliche Interviews mit homo- und bisexuellen Männern geführt.
Ein Großteil derer, die Chemsex praktizierten, wollten dadurch ihren Mangel an Selbstvertrauen und sexuellem Selbstwertgefühl überwinden. Ähnliches kann Steffen Taubert bestätigen, der sich als wissenschaftlicher Projektkoordinator der deutschen AIDS-Hilfe seit einiger Zeit mit dem Thema Chemsex befasst. Einige Männer haben ihm berichtet, dass die Drogen Sex überhaupt erst möglich machen – zum Beispiel weil sie die Anbahnung massiv erleichtern. Für andere ist Geschlechtsverkehr im nüchternen Zustand nicht mehr vorstellbar, sobald sie beginnen, Chemsex zu haben. „Aber selbst die vielen Sexualkontakte – insbesondere unter Crystal – vermitteln ihnen kein Gefühl der Befriedigung mehr. Sie sind danach nicht entspannt, sondern wollen nur noch mehr Sex haben‟, sagt Tauber.
Auch die Londoner Studie deutet darauf hin, dass Chemsex mehr einem Sucht- als einem Genussverhalten entspricht. Demnach steigerten die Drogen zwar das Lustempfinden der Männer, die Mehrzahl war aber mit ihrem Sexleben unzufrieden. Viele sehnten sich emotional danach, Sex im Rahmen einer festen Beziehung zu haben, bei dem sie stärker mit dem Partner verbunden wären.
Die deutsche AIDS-Hilfe hatte die Ergebnisse der Chemsex-Studie übersetzen lassen und im vergangenen Jahr im HIV-Report veröffentlicht, weil auch sie eine Relevanz für Deutschland sieht. „Das Phänomen spielt hier zwar eine weniger große Rolle als in Großbritannien‟, sagt Tauber. Nur ein Prozent der befragten deutschen homo- oder bisexuellen Männer hatte der Studie zufolge im Monat zuvor Chemsex-Drogen genommen, in Großbritannien waren es fünfmal mehr. „Es gibt aber eine kleine Szene, die Chemsex-Substanzen exzessiv nutzt.‟
Gefährlich sind vor allem die Drogen selbst
Auch in Bezug auf die Infektionsgefahr will Tauber nicht übertreiben: „Meine Erfahrung ist, dass viele selbst unter dem Einfluss von Drogen sehr achtsam sind und die Risiken abwägen.‟ Eine Syphilis werde vielleicht noch in Kauf genommen. Die Ansteckung mit Hepatitis-C mache aber vielen Angst. Deshalb würden sie darauf achten, ihr Spritzbesteck nicht zu teilen.
Laut Studie neigten vor allem die Männer unter Drogen zu unsicherem Sex, denen es ohnehin schwer fiel, Safer-Sex-Regeln einzuhalten. Der Rausch verstärkte lediglich diese Tendenz. Und ein Viertel der Befragten gab an, zwar häufig Chemsex zu haben, dabei aber kontrolliert zu handeln, und keine großen Ansteckungsrisiken einzugehen.
Gefährlicher, so sieht es auch Tauber, seien dann eher die Drogen selbst. Besonders bei flüssigen Substanzen wie GHB und GBL drohe die Überdosierung. Nur schreckten selbst Todesfälle viele nicht ab. Es bringe daher auch nichts, Chemsex komplett zu verdammen. Sinnvoller sei es, Betroffene zu begleiten und sie zum „Safer-use‟ zu motivieren, also dazu, Kondome dabei zu haben. Drogenberatungsstellen sollten sich dem Thema mehr öffnen.
Ist Chemsex vielleicht einfach ein Zeitgeistphänomen, Sinnbild einer verzweifelt nach Erlebnissen hungernden Gesellschaft? Möglich, sagt Tauber: „Überall gilt heute der Anspruch: schneller, weiter und höher. Da mag die Suche nach extremerem Sex dazu gehören. Auf der anderen Seite wurden zu allen Zeiten schon Drogen genommen – und bestimmt auch mit Sex kombiniert.‟
1 Kommentar
Gefährlicher Chemsex
von Alex am 25.10.2018 um 20:33 Uhr
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