Nach möglichem Brexit

Kommt die EMA nach Bonn?

Stuttgart - 17.06.2016, 17:30 Uhr

Wird die Bonner Fahnenfabrik BOFA-Doublet GmbH zukünftig vermehrt EU-Flaggen nähen – und seltener den Union Jack? (Foto: dpa / picture alliance)

Wird die Bonner Fahnenfabrik BOFA-Doublet GmbH zukünftig vermehrt EU-Flaggen nähen – und seltener den Union Jack? (Foto: dpa / picture alliance)


Die Briten entscheiden am Donnerstag über einen möglichen Austritt aus der EU. Schon positionieren sich verschiedene Länder als neues Sitzland der Europäischen Arzneimittelagentur: Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller will sie nach Bonn holen. Doch es gibt Konkurrenz.

Die Umfragen sind knapp, so dass es bis zum letzten Moment spannend bleiben wird: Am Donnerstag stimmen die Briten über einen möglichen Brexit ab. Der Austritt aus der Europäischen Union würde diese vor gewaltige Probleme stellen. Ein vergleichsweise kleiner Aspekt ist die Zukunft der in London ansässigen Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Sie ist die einzige der so genannten dezentralen Agenturen der EU, die ihren Sitz in Großbritannien hat. Klar ist, dass dies nach einem Brexit nicht so bleiben könnte.

Wohin würde es im Fall der Fälle gehen? Verschiedene Länder werben für sich als neues Sitzland – wie beispielsweise Schweden, das bei Zulassungsverfahren bereits sehr oft als Berichterstatter tätig ist: Im vergangenen Jahr gleich 25 Mal, und damit rund doppelt so häufig wie Deutschland. „Es geht ums Prestige und würde ein positives Signal an die Industrie im Gebiet der Lebenswissenschaften aussenden“, begründet Anders Blanck gegenüber dem „Wall Street Journal“ die Forderung. Er ist Direktor von Läkemedelsindustriföreningen, dem Verband der schwedischen forschenden Arzneimittelhersteller.

Dänemark könnte selber aussteigen

Wenn es nach Henrik Vestergaard geht, soll die EMA etwas weiter in den Süden: Der Vizedirektor des dänischen Pharma-Verbands Lægemiddelindustriforeningen bewirbt Kopenhagen als lebenswissenschaftliches Zentrum Skandinaviens. Doch Dänemark könnte ein weiterer EU-Ausstiegskandidat sein, wirft die „Washington Post“ ein.

Der Leiter der italienischen Arzneimittelbehörde AIFA empfiehlt hingegen den Süden. Luca Pani will damit punkten, dass in seinem Land zwar viele Arzneimittel hergestellt werden, aber keine pharmazeutischen Großkonzerne ansässig sind – daher könnte die Behörde in Italien unabhängiger arbeiten. „Wir haben eine unglaublich hohe Arzneimittel-Qualität“, wirbt Pani. „‚Made in Italy‘ gilt nicht nur für Gucci und Prada.“

BAH hat großes Interesse

Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) brachte am heutigen Freitag Bonn ins Spiel, wo der Verband ansässig ist. Zwar ist es dem BAH wichtiger, dass Großbritannien in der EU bleibt, als dass die EMA nach Deutschland kommt: Die ökonomischen Nachteile eines Brexit seien sehr groß, sagt ein Sprecher gegenüber DAZ.online. Daher werbe der Verband dafür, dass Großbritannien in der EU bleibt. Doch für den Notfall positioniert sich der BAH schon mal.

Sollte es zu einem „Brexit“ kommen, „präferiert der BAH Bonn als neuen Standort der europäischen Arzneimittelbehörde EMA“, erklärt der Verband. „Wir sind sehr stark daran interessiert, dass sie nach Deutschland kommt“, ergänzt ein Sprecher des BAH. In Bonn seien schon viele Gesundheitsinstitutionen ansässig, wie auch die deutsche Zulassungsstelle BfArM. Und auch der BAH hat in Bonn seinen Hauptsitz.

Andere mögliche Nachbarn wollen nicht spekulieren

Anders als beispielsweise die Kollegen aus Italien möchte sich das BfArM auf Nachfrage nicht positionieren. Auch das Bundesgesundheitsministerium will erstmal die Wahl abwarten. „Das entscheiden die Briten, dann wird man weitersehen“, sagt ein Sprecher gegenüber DAZ.online. „Wir wollen uns nicht an Spekulationen beteiligen.“

Gleiches gilt für den Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). „Wir beobachten das Geschehen“, sagt ein Sprecher zu der anstehenden Wahl – bei der Debatte um die Zukunft der EMA sei der vfa bislang „emotionslos“. Die vergleichsweise dezentrale Arbeitsweise der EMA mit eng eingebundenen nationalen Behörden stelle ohnehin sicher, dass das Sitzland keine besonders große Rolle hat. „Das ist ein System, das sich bewährt hat“, sagt der Sprecher. Auch die EMA selber sieht bisher keinen Grund für Spekulationen über mögliche Folgen des Referendums.

Brexit wäre ein Desaster

Klar ist, dass ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU große Folgen auch für die pharmazeutische Industrie hätte. Schätzungen rechnen beim Export pharmazeutischer Produkte mit einem Rückgang von bis zu zehn Prozent innerhalb der nächsten Jahre. „Wir können uns nichts Schlimmeres vorstellen“, sagt auch der Italiener Pani gegenüber der „Washington Post“. „Es wäre wirklich ein Desaster.“

„Die Errungenschaften der Europäischen Union werden besonders im pharmazeutischen Bereich deutlich, erklärt auch der BAH. Die europäische Zulassung von Arzneimitteln, eine vereinheitlichte Pharmakovigilanz, der gemeinsame Binnenmarkt sowie die europäische Freizügigkeit kämen der Industrie seit vielen Jahren zu Gute und hätten den Zugang zu Arzneimitteln für Patienten in Europa erheblich verbessert. „Die Industrie hat sich jahrzehntelang für ein gemeinsames Europa ausgesprochen und fühlt sich der europäischen Idee stets verpflichtet“, schreibt der Verband.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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