Inkontinenz-Versorgung in Gefahr

Von wegen Qualität statt Dumpingpreisen

Stuttgart - 04.07.2016, 10:00 Uhr

Die Pauschalen für Windeln sind in vielen Fällen nicht kostendeckend. Viele Apotheken machen deshalb nicht mehr mit. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)

Die Pauschalen für Windeln sind in vielen Fällen nicht kostendeckend. Viele Apotheken machen deshalb nicht mehr mit. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)


Die Inkontinenz-Versorgung in Apotheken ist in Gefahr, berichtet der Apotheker-Verband Westfalen-Lippe. Schuld seien die Dumpingpreise der Kassen, viele Apotheker träten den Verträgen bereits nicht mehr bei. Droht das Ende der Inkontinenzversorgung aus der Apotheke vor Ort? Was ist aus den Plänen von Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, geworden?

Eine angemessene Versorgung mit Inkontinenzhilfen für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen statt Dumpingpreise: Mit dieser Forderung war Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Bundesregierung vor noch gar nicht langer Zeit an die Öffentlichkeit gegangen. Seine Initiative schien Erfolg zu haben. Der GKV-Spitzenverband überarbeitete das veraltete Hilfsmittelverzeichnis. Die Qualitätsanforderungen an aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis sollten „deutlich angehoben“ werden. Über 600 Produkte dürften nach Ablauf der Übergangsfrist wegen nicht mehr abgegeben werden, hieß es seitens der Kostenträger. Sie entsprächen den neuen Kriterien nicht. Außerdem sollte eine Versorgung ohne Aufzahlungen möglich sein. Klang vielversprechend. 

Alle nur leere Versprechen der Kassen

Aber waren dies möglicherweise nur leere Versprechen? Dieser Auffassung ist zumindest der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Dort sieht man keinen substanziellen Fortschritt. Schuld sind in den Augen des AVWL die Krankenkassen mit ihrer Vertragspraxis. Durch verstärktes Preisdumping stünden sie einer angemessenen aufzahlungsfreien Versorgung der Versicherten im Wege, kritisiert der Verband.

So seien die bisherigen Pauschalbeträge in der Regel für die Apotheken bereits kaum auskömmlich gewesen. Viele Kassen hätten nun die Überarbeitung der Hilfsmittelverzeichnisse mit den gestiegenen Qualitätsanforderungen dafür genutzt, die Preise nochmal erheblich zu senken. Die neuen Pauschalen lägen noch 20 bis 30 Prozent, in Einzelfällen sogar 60 Prozent, darunter. Laumanns Forderung nach angemessener Versorgungsqualität statt Dumpingpreisen werde von den Kassen schlicht ignoriert. Denn beides ist nach Ansicht des AVWL nicht miteinander vereinbar.

Preise werden nicht verhandelt

Echte Preisverhandlungen finden laut AWVL in der Regel nicht statt. Apotheken und Verbände haben lediglich die Wahl: Mitmachen oder nicht. Man prüfe allerdings seitens des Verbandes vorab genau, ob die von den Kassen angebotenen Beitrittsverträge wirtschaftlich sind, erklärt eine Vertreterin des Landesapothekerverbands Baden Württemberg (LAV). Unwirtschaftlichen Verträgen trete man als Verband nicht bei. Den jeweiligen Mitgliedern sei es natürlich freigestellt, sich trotzdem auf eigene Faust zu beteiligen. Angaben, wie viele Apotheker dies tatsächlich tun und in welche Richtung sich die Zahlen entwickeln, hat der LAV, der dann außen vor ist, nicht.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Ich höre immer Aufzahlen lassen

von Klaus Schweinberger am 04.07.2016 um 14:12 Uhr

bei den ganzen Verträgen ist doch geregelt, dass du den Patienten kostenfrei bzw ohne Aufzahlung optimal Versorgen musst!
Wenn ich zu den Kunden sagen kann: " Kasse zahlt nur 15€ Rest musst du zahlen" wäre ja das ganze kein Problem!

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Parallele

von Apotheker B am 04.07.2016 um 12:46 Uhr

Weitaus brisanter ist, wenn man parallel hierzu die Zyto-Ausschreibungen betrachtet. Hier ist schon die flächendeckende Versorgung in Gefahr, wenn einige wenige Apotheken in einer Region die Belieferung wegen Preisdruck einstellen müssen.
Das geht sehr schnell, denn da ist bald das Problem, dass wenn AOK und DAK (zusammen mit etwa 38 % der Verordnungen) bei einer Apotheke wegfallen würden.

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Untätigkeit

von Heiko Zimny am 04.07.2016 um 10:47 Uhr

Erste E-Mail vom 31.03.16 an Herrn Laumann:

Guten Tag Herr Laumann,

ich danke ihnen für ihren Einsatz für die Qualitätssteigerung bei der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln im ambulanten Bereich. Wie ich aus der “Pharmazeutischen Zeitung” vom 24.03.2016 erfahren durfte, “begrüßen sie auch die Ankündigung der Kassen, dass künftig kein Versicherter mehr Aufzahlungen leisten müsse, um wirklich gut versorgt zu werden.” Weiteres Zitat:”Ich fordere die Krankenkassen, die Versorgung schnellstens umzustellen. Es wäre unverantwortlich, die Übergangsfrist von einem Jahr bis zum Ende auszureizen.” Sie würden sich das weitere Vorgehen der Kassen genau anschauen und es wäre entscheidend, dass die Versicherten tatsächlich die Hilfsmittel erhalten, die sie benötigen. Zudem müssten die Produkte qualitativ und quantitativ dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen, was bisher in vielen Fällen ganz klar nicht der Fall gewesen wäre. In diesen Punkten stimme ich mit ihnen überein. Die schlechte Nachricht ist, dass sich die Krankenkassen dafür nicht zu interessieren scheinen. Im Anhang sende ich ihnen ein aktuelles Schreiben der Knappschaft für die Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen im ambulanten Bereich zu. Unter Berücksichtigung einer Prozessvereinfachung (man muss jetzt nur alle 3 Jahre und nicht mehr jedes Jahr ein Rezept anfordern! Anmerkung: Welch großzügige Prozessvereinbarung) und der aktuell stattfindenden Marktentwicklung würde der Vertragspreis für die monatliche Versorgung auf 15,00€ netto vereinbart. Mir sind keine Marktbewegungen bekannt! Da bisher 21€ vereinbart waren, ist dies nur eine Kürzung von annähernd 30%(!!) bei bestenfalls gleichbleibenden Einkaufspreisen, frage ich mich schon wie die von ihnen erhoffte Qualitätssteigerung durchgesetzt werden soll. Es ist in diesem Bereich übrigens auch nicht die erste Kürzung in dieser Größenklasse. Ich sehe mich als Inhaber von 2 Apotheken auf dem ganz flachen Land auf jeden Fall nicht in der Lage eine qualitativ ausreichende Versorgung gewährleisten zu können. Das widerspräche unseren im QMS festgelegten Qualitätsstandards. Für die Patienten bedeutet dies, dass im Umkreis von vorsichtig geschätzten 25 Kilometern keine Versorgung gewährleistet sein wird. Die anderen Apotheken habe die Versorgung schon vorher eingestellt. Wir hatten die Versorgung lediglich als Dienstleistung für unsere Kunden angeboten. Geld war damit auch bisher nach Abzug aller Kosten nicht verdient.
Die Aufgabe der Apotheken ist die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Auf diese Aufgabe werde ich mich und mit mir viele Kollegen konzentrieren. Im Inkontinenzbereich wird es in Zukunft zu noch mehr Aufzahlungen kommen. Viele Versender verdienen ja genau damit ihr Geld. Ihre Bemühungen für eine qualitative und quantitative Versorgung nach dem aktuellen Stand der Medizin werden im Sand verlaufen und es wird sogar zu einer weiteren Fehlversorgung der betroffenen Patienten kommen. Ich werde dies, aber auch ihre (vergeblichen) Bemühungen etwas dagegen zu tun, unseren Patienten gegenüber kommunizieren.

Zweite Mail vom 04.05.2016:

Guten Tag,

anbei meine unbeantwortete Mail vom 31.03.16. Ich wundere mich schon, dass es ihnen nicht möglich ist, binnen eines Monats eine Mail zu beantworten. Ich deute das dahin, dass sie den öffentlich gesprochenen Taten keine Taten folgen lassen wollen und das Thema scheinbar nur medial behandeln. Meine zuvor vorsichtig optimistische Wahrnehmung zu ihren Aussagen werden damit in das Gegenteil verkehrt und ich werde im Kundengespräch den Hergang unserer (einseitigen) Kommunikation sachlich darlegen und das Gebaren des für unsere Kunden zuständigen “Patientenbeauftragten der Bundesregierung” im Patientengespräch zu würdigen wissen.
Ca. 3 Wochen später kam dann ein Brief, dass die Beantwortung noch Zeit bräuchte!!
Heute ist der 04.07.2016 und nichts hat sich getan. Steuergeldverschwendung erster Klasse, dieser Patientenbeauftragte.

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