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Kommentar zum Umgang mit Zytos
Zurück in die Steinzeit?
Das Bundessozialgericht sieht wirtschaftliche Gründe, nach denen Ärzte verpflichtet sein könnten, innovative Arzneimittel selbst anwendbar zu machen. Doch dabei hat das Gericht den Arbeits- und den Umweltschutz übersehen, meint DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn.
In einer kürzlich veröffentlichten Urteilsbegründung erklärt das Bundessozialgericht, ein Arzt könne verpflichtet sein, monoklonale Antikörper selbst gebrauchsfertig zu machen, anstatt damit eine Apotheke zu beauftragen. Es muss befürchtet werden, dass diese Argumentation auf Zytostatika übertragen wird. Doch dies wäre ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich seit Jahrzehnten für die pharmazeutische Qualität von Zytostatikazubereitungen und anderen innovativen und individuell dosierten Arzneimitteln einsetzen. Deutschland nimmt seit über zwanzig Jahren in Europa eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung ein, solche Produkte unter angemessenen Bedingungen gebrauchsfertig zu machen. Als Zytostatika vermehrt ambulant eingesetzt wurden, drohte eine gefährliche regulatorische Lücke. Denn formal geht es „nur“ um das Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln, aber bei einigen Produkten ergeben sich aus dieser scheinbar einfachen Aufgabe große Herausforderungen. Die pharmazeutische Qualität ist dabei oft nicht einmal das größte Problem. Darum ist die arzneimittelrechtliche Unterscheidung zwischen Herstellen und Gebrauchsfertigmachen hier auch nur ein Aspekt unter vielen. Noch bedeutsamer sind hier der Arbeits- und Umweltschutz, die bei vielen Produkten allergrößte Aufmerksamkeit und die bestmögliche Ausstattung erfordern. Damit sind dann doch wieder Apotheker als Spezialisten für alle Fragen im Umgang mit Arzneimitteln gefragt.
Internationaler Standard
Die seit Jahrhunderten bewährte Trennung zwischen Arzt und Apotheker war auch in diesem Fall wieder der Schlüssel zum Erfolg. Engagierte Apotheker haben Lösungen für die Probleme im Umgang mit den angesprochenen Arzneimitteln gefunden, noch bevor dies rechtlich verbindlich war. Diesem Vorbild sind auch Länder mit sehr viel knapperen Kassen schon lange gefolgt. Wer die Europäische Gesellschaft für Onkologische Pharmazie und die Fortbildungsveranstaltung NZW (Norddeutscher Zytostatika Workshop) in den letzten zwanzig Jahren verfolgt hat, konnte diese Erfolgsgeschichte miterleben. Das Online-Archiv der DAZ zeigt Beispiele dafür. Es war ein langer Weg, aber inzwischen ist die Zubereitung solcher sensiblen Produkte in Apotheken auch in den ärmsten Ländern Europas zum Standard geworden. Doch ausgerechnet Deutschland soll nach dem Willen der Bundessozialrichter nun wohl den Weg zurück in die pharmazeutische Steinzeit antreten.
Sozialrecht ist nicht alles
Damit passt diese Entscheidung zu anderen jüngeren Urteilen des Bundessozialgerichts. Auch bei der letztinstanzlichen Entscheidung im Musterstreitverfahren um Retaxationen bei Rabattverträgen berücksichtigte das Gericht nur das Sozialrecht. Arzneimittel- und apothekenrechtliche Aspekte blieben ebenso unbeachtet wie das Vertragsrecht. Doch viele Fragen sind zu komplex, um sie allein mit dem Sozialrecht entscheiden zu können. Wer erklärt diesen Richtern, dass die Welt größer ist?
Im Fall der individuellen Zubereitungen besteht allerdings Hoffnung. Dort gilt es, alle Vorschriften des Arbeits- und Umweltschutzes konsequent durchzusetzen. Wenn jeder Arzt, der die betreffenden Arzneimittel verordnet, die nötigen Reinräume einrichten und sein Personal schulen müsste, würde das viel mehr kosten als die Zubereitung in Apotheken. Denn der umstrittene Mehraufwand entsteht nicht durch die Apotheken, sondern durch die tatsächlich anfallenden Kosten der Zubereitung unter zeitgemäßen Sicherheitsbedingungen – unabhängig davon, bei wem diese anfallen. Diese Gegenrechnung hat das Gericht in seiner „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“ allerdings nicht gemacht. Oder hat es mit dem Scheuklappenblick auf das Sozialrecht das Gefahrstoff- und Arbeitsrecht und die drohenden Folgen für gesunde Menschen und die Umwelt übersehen?
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