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Arzneimittelstudien mit Kindern
„Mein Kind ist kein Versuchskaninchen“
Arzneimittel müssen sicher, die Wirkungen bekannt und abschätzbar sein. Aber gerade bei Kindern tappen die Mediziner oft im Dunkeln. Über die Hälfte der bei Kindern eingesetzten Arzneimittel ist nicht an Kindern geprüft. Denn die meisten Eltern wollen ihre Kinder nicht für Studien zur Verfügung stellen.
Es gibt in der Medizin und Pharmakologie einen wichtigen Leitspruch: „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“. Damit wollen die Wissenschaftler ausdrücken, dass es nicht reicht, bei der medikamentösen Behandlung die bei Erwachsenen bekannten Dosierungen auf das Kindergewicht herunterzurechnen und „dann mal rein damit“. So unterliegen beispielsweise die Organe von Kindern permanenten Entwicklungsprozessen und sind relativ zum Körpergewicht größer als die von Erwachsenen. Zudem haben Kinder je nach Alter einen anderen Stoffwechsel. Während er bei Säuglingen langsamer ist und so die Ausscheidung verzögert ist, metabolisieren Kleinkinder Arzneistoffe unter Umständen viel schneller als Erwachsene. All das gilt es zu berücksichtigen.
Aber nur für wenige Arzneimittel liegen Studienergebnisse für Kinder vor.
Schätzungen zufolge gibt es für 90 Prozent aller Präparate keine
speziellen Zulassungen für die Kinderheilkunde. Je schwerer die Erkrankung und je jünger der Patient, desto höher ist
die Wahrscheinlichkeit, dass die Behandlung mit einem Präparat erfolgen muss, das nur für Erwachsene
zugelassen ist.
Eltern wollen Kinder nicht an Studien teilnehmen lassen
Das große Problem dabei: „Es gibt nur eine unzureichende Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder an Studien teilnehmen zu lassen“, sagt der Chefarzt der Neugeborenen-Abteilung an der Rostocker Südstadtklinik, Dirk Olbertz. „Die Angst vor Gefährdung des Kindes steht an erster Stelle“, sagt er. Die Eltern wollten ihr Kind auch keinem Untersuchungsstress aussetzen. „Mein Kind ist doch kein Versuchskaninchen“, sei ein Satz, den er häufig hört. Das Vertrauen der Eltern in die Versicherung, dass jegliche Gefährdung von vornherein ausgeschlossen ist, sei gering. Laut einer Umfrage, die der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie vergangenes Jahr zum Thema klinische Studien bei Kindern hat durchführen lassen, wären nur 20 Prozent der Eltern mit der Teilnahme ihres Kindes an einer klinischen Studie einverstanden.
Auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller kennt diese Probleme und verweist auf die Hürden, die vor Arzneimittelstudien überwunden werden müssen. Klinische Studien dürften nur ausgeführt werden, wenn eine Ethikkommission das Konzept geprüft und zugestimmt hat. „Die Kommission prüft Studien mit Kindern nach noch anspruchsvolleren Kriterien als bei Erwachsenen", sagt Verbandssprecher Rolf Hömke. Entscheidend sei, dass die Beteiligten umfangreich über die Studien informiert werden. Die Teilnehmer und alle Interessierten müssten wissen, dass die Untersuchungen in einer Studie sehr viel gründlicher seien als im Routinebetrieb.
Überzeugungsarbeit ist schwierig
Wie schwierig es ist, Eltern zu überzeugen, erleben aktuell die Südstadtklinik in Rostock und die Universitätskinderklinik dieser Stadt. Die Mediziner wollen testen, ob ein bestimmtes Bakterium – Escherichia coli Stamm Nissle – tatsächlich das spätere Risiko für Infektionskrankheiten mindern kann. Nissle verdränge andere gefährliche Keime, ein bei Erwachsenen bekanntes Phänomen. „Nun wollen wir schauen, ob das auch bei Kindern zutrifft", sagt Olbertz. Auch wenn es sich um eine besonders risikoarme Studie handelt, hätten sich seit Oktober 2015 nur rund 60 Eltern bereiterklärt, ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen. Aber 500 werden gebraucht. Die Eltern müssten schon zwei oder drei Monate vor der Geburt angesprochen werden, dass sie die Möglichkeit haben, sich umfangreich zu informieren.
Der Vize-Chef der Rostocker Universitätskinderklinik, Jan Däbritz, ist von der Studie und den möglichen positiven Effekten der probiotischen Bakterien überzeugt. Gerade bei Neugeborenen und bei Einjährigen, wenn sie in die Krippe kommen, träten häufig Atem- oder Harnwegserkrankungen auf, da das Immunsystem noch nicht ausgereift ist. „Es ist bekannt, dass Kinder, die wegen häufiger Infektionen mit Antibiotika behandelt wurden, als Erwachsene eine größere Wahrscheinlichkeit haben, an Darmkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zu erkranken.“ So werde bereits am Anfang des Lebens die spätere Gesundheit festgelegt.
Ein Dienst an der Gesellschaft
„Ich begreife die Teilnahme an Arzneimittelstudien als Dienst an der Gesellschaft“, bekräftigt Olbertz. „Wir alle wollen Sicherheit bei der medizinischen Versorgung, aber die kommt nicht vom Himmel geflogen.“
An der wissenschaftlichen Überzeugungsarbeit, auch bei Frauenärzten, führt nach Meinung der Wissenschaftler kein Weg vorbei. Denn an Vorwürfen, europäische Pharmafirmen würden Studien in Dritt-Welt-Länder verlagern, sei nichts dran, sagt Hömke. Diese Länder würden nur in geringem Umfang einbezogen, und dann auch meist nur als ein mitwirkendes Land unter vielen. Es sei aber prinzipiell möglich, ethisch einwandfreie Studien auch in diesen Ländern zu machen, wenn mit geeignete Ärzten und Kliniken gearbeitet wird.
Fälle, wie der des Münchener Kinderarztes Christoph Klein, dem nach einer gescheiterten experimentellen Gentherapie übertriebener Ehrgeiz vorgeworfen wird, tragen in jedem Fall nicht dazu bei, das Vertrauen der Eltern in die Sicherheit klinischer Studien zu erhöhen.
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