Kommentar

Bei Nebenwirkungen fragen Sie als Arzt ihren Apotheker!

Stuttgart - 23.09.2016, 15:00 Uhr

Manchmal ist es echt zum Verzweifeln. Dabei könnte Geld sparen so einfach sein. (Foto: Robert Kneschke / Fotolia)

Manchmal ist es echt zum Verzweifeln. Dabei könnte Geld sparen so einfach sein. (Foto: Robert Kneschke / Fotolia)


Ausschreibung hier, Selektivvertrag dort:  Wenn es darum geht, „finanzielle Reserven des Gesundheitswesens zu heben“, wie der Sparwahn gerne euphemistisch genannt wird, ist die Kreativität der Krankenkassen groß. Vielleicht sollte man aber erstmal damit aufhören, Geld unnötig aus dem Fenster zu werfen, findet DAZ.online Redakteurin Julia Borsch.

Eine wahre Begebenheit: Es ist Samstagvormittag in einer Apotheke, irgendwo in Deutschland. Eine ältere Frau betritt die Offizin, klagt über trockenen Reizhusten. Ausführlich berichtet sie: Um der Ursache des Hustens auf den Grund zu gehen, sei ihre Lunge geröntgt worden. Da auf dem Bild ein Schatten sichtbar war und sie Brustkrebspatientin ist, ging es zum CT. Befund: Rippenbruch, verursacht durch heftigen Husten.

Wenn man schon die Ursache des Hustens nicht findet, immerhin die Folge. Da hat sich das CT ja gelohnt. Letztendlich kam man zu dem Schluss, dass das Tamoxifen schuld sein muss. Das Medikament trockne die Schleimhäute aus – eine zumindest laut Packungsbeilage bislang unbekannte Nebenwirkung – und daraus resultiere der Reizhusten. Da dieser morgens besonders schlimm ist, gab es dann vom Hausarzt noch ein Nasenspray. Die Idee dahinter: So muss sie nachts weniger durch den Mund atmen, was ja zusätzlich für trockene Schleimhäute sorgt – das jetzt immerhin eine Theorie, die im Gegensatz zu der zum Tamoxifen zumindest empirisch belegt ist. Aber Besserung? Fehlanzeige!

„Das hat ja noch niemand gefragt"

Daher äußert sie in der Apotheke den Wunsch nach einem Hustensaft oder irgendetwas anderem, das reizlindernd wirkt. Auf die Frage, ob sie noch andere Arzneimittel nehme, antwortet sie: „Ja, so einiges.“ Seit sie mit Herceptin behandelt wird, spinne ihr Blutdruck. Und ja, unter den Arzneimitteln befinde sich auch eines, das Ramipril heißt. Denn allein das Wort „Reizhusten“ reicht vermutlich schon aus, um bei einem Großteil der Apotheker die Alarmglocken schrillen zu lassen. (Für die Nicht-Apotheker und Ärzte: Reizhusten ist eine häufige Nebenwirkung einiger Blutdrucksenker).

Die Dame ist leicht verwundert. Nach Ramipril habe sie ja noch niemand gefragt. Geschweige denn ihr erklärt, dass der Reizhusten mit großer Wahrscheinlichkeit daher komme. Und sich das Problem zudem noch ganz leicht beheben lasse. 

DAZ.online-Redakteurin und Apothekerin Julia Borsch

Viel unnötiges Geld

Jeder Apotheker, viele davon Retax-gegängelt und Rabattvertrag-geknechtet – der diese Geschichte hört, schüttelt ungläubig den Kopf: ein unnötiges Röntgen, ein überflüssiges CT, mehrere nicht notwendige Arztbesuche. Nicht zu vergessen das Nasenspray, dessen Verordnung übrigens vom selben Arzt stammte, wie die des ACE-Hemmers. Hat alles Geld gekostet. Unnötig. Dazu wurde eine ältere Frau in Angst und Schrecken versetzt – ein Schaden der kaum zu beziffern ist. Auf die naheliegende Lösung kommt keiner. Am Ende liefert sie der Apotheker – umsonst. Denn Beratungshonorar kann der ja nicht abrechnen. Immerhin hat die Dame noch eine Tüte Hustenbonbons für knapp zwei Euro mitgenommen. Ein kleiner Trost.

Also liebe Kassen, bevor ihr immer weiter über kreative Sparmodelle nachdenkt, vielleicht überlegt ihr euch lieber Wege und Anreize, die das aktuelle System funktionsfähiger machen? Im aktuellen Fall, der sicher nicht der einzige dieser Art ist, hätte das Kosten gespart und zwar völlig ohne Einbußen bei der Versorgungsqualität. Ganz im Gegenteil –  alle wären glücklich und zufrieden gewesen. Naja, sagen wir fast alle – für den Radiologen ist die Sache eigentlich optimal gelaufen.

Die Geschichte hat auch noch ein Happy End. Montag ist die Dame wieder in der Apotheke. Sie kommt vom Arzt. Sie solle nachfragen, wie denn der Wirkstoff heißt, den die Kollegin am Samstag als Alternative zum ACE-Hemmer empfohlen hat. Siehe da! Der Mann ist offensichtlich lernfähig und vielleicht fragt er beim nächsten Mal bei Nebenwirkungen gleich einen Apotheker.


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5 Kommentare

Jaaa, jaa...auch eine wahre Begebenheit

von Bernd Jas am 24.09.2016 um 18:23 Uhr

Liebe Frau Borsch,

diese schöne Geschichte musste ich sofort meiner Frau weitergeben. Als ich beim Rippenbruch durch CT-Untersuchung anlangte, unterbrach Sie mich: "ACE-Hemmer?"
Ich war mal wieder baff, bekam nur noch ein dünnes "Klugscheißer" raus und gab ihr vor dem "Happy End" einen dicken Kuss.

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Shame On You

von Wolfgang Müller am 23.09.2016 um 18:44 Uhr

Ärztefehler "Finden und Melden", ganz klasse. Herr Lehrer Herr Lehrer ich weiß was.

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AW: Warum denn immer so hochgradig empfindlich,Herr Kollege?

von Christiane Patzelt am 26.09.2016 um 10:31 Uhr

Es liegt am Ende immer in der Form der Kommunikation, ob man "besserwissend" oder im Sinne der Problemlösung für möglichst alle Beteiligten auf Augenhöhe die Sache angeht.
Und sorry Herr Müller, wir sind ausgebildet in Pharmazie, wir leeren nicht die Papierkörbe der Ärzte und haben dadurch "etwas medizinsches" gelernt (wobei ich hier alle Putzfrauen respektvoll grüßen möchte, meine Mutter hat so 4 Mädchen ernähren können).

Jaja

von Peter Lahr am 23.09.2016 um 15:51 Uhr

Zwar keine so großen Kosten verursacht aber Amlodipin und Patient mit dicken Beinen, habe den Patienten gefragt was er denn so nimmt, aufgeklärt aber gesagt er soll dem Arzt sagen er hätte mal den Beipackzettel gelesen und ihn fragen ob seine Beine etwas mit dem Amlodipinchen zu tun haben aber bloss nicht dass ich das als dummer Apotheker gesagt habe. Oh Wunder, umgestellt und wieder Beine wie eine Gazelle...Muss der Arzt ja nicht wissen, Hauptsache mein Patient und ich wissen es ;)

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So ist es

von Barbara Buschow am 23.09.2016 um 14:30 Uhr

Das gleiche hatten wir bei einer Patientin mit unklaren Oberbauchbeschwerden, Appetitlosigkeit und allgemeiner Schwäche - Magenspiegelung, Darmspiegelung, das volle Programm.
War dann letztlich ein zu hoher Digitalisspiegel.
Hätte man uns eher gefragt, wären der Patientin etliche Untersuchungen und einiges an Sorgen erspart geblieben.

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