Die Evidenz-Sprechstunde

Der Effekt ist doch offensichtlich – oder?

05.10.2016, 07:00 Uhr

Um den Nutzen eines Fallschirms unter Beweis zu stellen, bedarf es keiner evidenzbasierten Studie mit Placebo-Arm. (Foto: freefly / Fotolia)

Um den Nutzen eines Fallschirms unter Beweis zu stellen, bedarf es keiner evidenzbasierten Studie mit Placebo-Arm. (Foto: freefly / Fotolia)


Randomisierte kontrollierte Studien gelten zu Recht als Goldstandard, wenn es darum geht, Therapiefragen zu untersuchen. Denn dieser Studientyp sorgt für gleiche Ausgangsbedingungen zwischen der Behandlungs- und Kontrollgruppe und ist so am wenigsten anfällig für Störfaktoren. Aber muss man deshalb alle Therapiestudien randomisieren? Nein, nicht alle – aber doch die meisten.

Die Weihnachtsausgabe des British Medical Journal ist für Artikel bekannt, die amüsante Fragestellungen mit ernsthaften Methoden untersuchen. Vor einigen Jahren erschien ein Beitrag, der für eine systematische Übersichtsarbeit randomisierte kontrollierte Studien zum Nutzen von Fallschirmen beim Absprung aus Flugzeugen suchte. Verständlicherweise konnten die Autoren keine finden. Die Arbeit mündete in der Frage, ob Verfechter der evidenzbasierten Medizin sich denn dafür aussprechen würden, auf Fallschirme künftig zu verzichten, da der Nutzen nicht in randomisierten kontrollierten Studien untersucht sei. Alternativ könnten sie sich natürlich auch als Probanden für eine entsprechende placebokontrollierte Studie zur Verfügung stellen. 

Dramatische Effekte

Dieser Artikel wird gerne zitiert, um die Notwendigkeit von randomisierten kontrollierten Studien im Allgemeinen infrage zu stellen. Allerdings verkennen die meisten dabei, dass das Beispiel mit den Fallschirmen einen Spezialfall darstellt. Hier hat die Intervention (der Fallschirm) nämlich einen dramatischen Effekt: Ohne Fallschirm überlebt so gut wie niemand den Sprung aus großer Höhe, mit Fallschirm jedoch sehr viele (korrekte Handhabung und Funktion vorausgesetzt). In dieser Situation ist es sehr leicht, den Nutzen zu erkennen – auch ohne Randomisierung. Auf der Basis der bisherigen Erfahrungen kann man sogar auf eine zeitgleiche Kontrollgruppe verzichten.

Seltene Fälle

In der Medizin sind solche dramatischen Therapieeffekte jedoch sehr selten. In der Geschichte gibt es nur einige wenige Beispiele, wo ohne eine bestimmte Therapie nahezu alle Patienten sterben, aber mit der Therapie fast alle überleben. Dazu gehört etwa die Anwendung von Insulin bei Patienten mit Typ-1-Diabetes. Hier sind die Therapieeffekte so groß, dass sie selbst dann real sein müssen, wenn die Studien systematische Verzerrungen aufweisen, etwa ungleiche Ausgangsbedingungen in Behandlungs- und Kontrollgruppe. Darauf weist auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seinem Methodenpapier hin. Deshalb konnte das IQWiG beispielsweise bei einem Hepatitis-C-Mittel (Kombination aus Ledipasvir/Sofosbuvir) für bestimmte Patientengruppen Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen feststellen, obwohl lediglich nicht-randomisierte Studien mit einer historischen Kontrollgruppe vorlagen.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


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