Antikörper auf dem Vormarsch

Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie

Schladming - 16.01.2017, 14:00 Uhr

Verliert die klassische Asthmatherapie an Bedeutung? (Foto: Gerhard Seibert / Fotolia)

Verliert die klassische Asthmatherapie an Bedeutung? (Foto: Gerhard Seibert / Fotolia)


Die Asthmatherapie verändert sich. Möglich wird das durch differenziertere Kenntnisse der unterschiedlichen Asthmaformen, wie sich auf dem Pharmacon in Schladming zeigte. Antikörper spielen dabei die Hauptrolle und werden auch in der Apotheke wichtiger. 

Es wird einen Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie geben – so wie es ihn bei der Therapie rheumatischer Erkrankungen bereits gegeben hat. Davon zeigte sich der Tübinger Pharmakologe Professor Peter Ruth auf dem Pharmacon in Schladming überzeugt. Verantwortlich für diesen Wechsel werden die therapeutischen Antikörper sein. Einige sind schon auf dem Markt und die Pipelines der Pharmafirmen in diesem Bereich sind gut gefüllt. Mit diesen Antikörpern stehe erstmalig eine kausale Therapie der Atemwegserkrankung mit der größten epidemiologischen Bedeutung weltweit zur Verfügung, erklärte Ruth. Bislang werden die therapeutischen Antikörper in der Asthmatherapie allerdings nur als Add-on in besonders schweren Fällen eingesetzt, um den Einsatz oraler Glucocorticoide und die damit verbundenen Nebenwirkungen zu reduzieren. Inwieweit sie in Zukunft flächendeckend die klassische Therapie verdrängen und vermehrt auch in der Apotheke eine Rolle spielen werden, ist letztendlich eine Kostenfrage.  

„Die eine Krankheit" Asthma gibt es nicht

Voraussetzung für diesen Paradigmenwechsel ist die mittlerweile gewonnene Erkenntnis, dass es „die Krankheit Asthma“ nicht gibt, sondern es sich vielmehr um mehrere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen handelt. Die Pathomechanismen der verschiedenen Asthmaformen und somit die jeweils vorherrschenden Entzündungsparameter unterscheiden sich aber grundlegend. So gibt es beispielsweise eine Form des allergischen Asthmas mit hohen IgE-Spiegeln, aber eben auch Varianten mit hoher TH2-Zell-Aktivität oder mit hoher Eosinophilenzahl. Auf Basis dieser Erkenntnis lässt sich die Therapie in Zukunft individuell und gezielt gestalten – mit dem jeweils passenden Antikörper. 

Interleukine als neue Targets

Gegen das Immunglobulin IgE gibt es bereits seit rund zehn Jahren Omalizumab (Xolair), das Professor Gerd Bendas, Bonn, in seinem Pharmacon-Vortrag als "Urgestein" der Antikörper-Therapie bei Asthma bezeichnete. Bisher ist Omalizumab jedoch nur als Add-on für Patienten zugelassen, die mit der klassischen Therapie nicht ausreichend einstellbar sind.

Trotzdem bleibt IgE auch in Zukunft ein Target, an dem geforscht wird. Mit Ligelizumab befindet sich ein weiterer Wirkstoff in der Entwicklung, der an dieser Stelle in das Entzündungsgeschehen eingreift. Er scheint in seiner Wirksamkeit der älteren Substanz überlegen zu sein ­– die Bindungsaffinität am IgE ist mehr als zehnmal höher als bei Omalizumab. Mit Ligelizumab sei zu rechnen, prognostizierte Bendas.

Beim Asthma mit hoher TH2-Zell-Aktivität ist noch kein Präparat auf dem Markt, aber Vielversprechendes in der Entwicklung. Ein lohnendes Target scheinen bei dieser Erkrankungsvariante die Interleukine IL-4 und IL-13 zu sein. Die beiden entsprechenden Rezeptoren besitzen eine analoge Untereinheit und lassen sich daher mit dem demselben Antikörper blockieren. Dupilumab, der sich gegen diese Struktur richtet und unter dem Namen  „Dupixent“ vermarktet werden soll, hat in klinischen Studien unter anderem für eine signifikante Verbesserung der Lungenfunktion gesorgt. 

Beim eosinophilen Asthma spielt IL-5 eine wichtige Rolle im Entzündungsprozess. Blockiert man dieses Zytokin, wird die Aktivität der eosinophilen Granulozyten herabgesetzt. Hier sind mit Mepolizumab (Nucala) und Resilizumab (Cinqaero) bereits zwei Antikörper zugelassen. Mit Benralizumab werde ein weiterer folgen, erwartet Bendas.

Temperaturempfindliche und oberflächenaktive Arzneimittel

Als Pharmazeut ist Bendas nicht nur die pharmakologische Wirkung der therapeutischen Antikörper wichtig, sondern auch die Besonderheiten dieser Arzneiform – denn bei ihrer Handhabung ist Einiges zu beachten. So sind sie als Proteine temperaturempfindlich, da sie sich bei höheren Temperaturen entfalten können. Weil dabei die Funktion verloren geht, darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden. Der Patient soll die Arzneimittel in der Kühltasche transportieren und muss sie im Kühlschrank lagern. Aber auch zu kalt darf das Präparat nicht werden, denn Eiskristalle zerstören die Protein-Struktur. Diese Gefahr droht bei kalten Außentemperaturen, aber auch wenn die Packung zu nah an der Rückwand im Kühlschrank liegt. Darauf müsse man die Patienten bei der Abgabe hinweisen, betonte Bendas.  

Darüber hinaus können sich Proteine als grenzflächenaktive Moleküle an wässrigen Oberflächen entfalten, was ebenso zu einer Inaktivierung führt. Und in Abhängigkeit von Füllvolumen und Schüttelbewegungen können Aggregate entstehen. Daher gilt für alle Proteinarzneimittel: „Nicht schütteln!“ Bewegungen beim normalen Transport stellten zwar kein Problem dar, erklärte Bendas, aber bei der Weiterverarbeitung in der Apotheke sei das Rekonstitutionsmittel – und zwar nur das vorgeschriebene – vorsichtig zuzugeben. Dann dürfe nur leicht geschwenkt werden. Oder wie es Professor Bendas anschaulich ausdrückte: „Für die Zubereitung therapeutischer Antikörper gilt die entgegengesetzte Regel wie für den Wodka Martini von James Bond – „gerührt, nicht geschüttelt“.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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