Lieferengpässe

Metronidazol-Versorgung fast lahmgelegt

Stuttgart - 06.02.2017, 17:30 Uhr

Liefertermin unbekannt: Bei oralem Metronidazol gibt es derzeit in den Apotheken massive Lieferprobleme. (Foto: Montage DAZ.online)

Liefertermin unbekannt: Bei oralem Metronidazol gibt es derzeit in den Apotheken massive Lieferprobleme. (Foto: Montage DAZ.online)


In der unendlichen Geschichte der Lieferengpässe gibt es offensichtlich ein neues Kapitel: orales Metronidazol. Lediglich einzelne Packungen sind offenbar für Apotheken noch verfügbar. Eine Meldung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es aber bislang nicht. 

Am 20. Januar habe er die letzten Packungen Metronidazol erhalten – von Aristo, erklärt der Offenbacher Apotheker Dr. Hans Rudolf Diefenbach, der seit Langem Lieferengpässe von Kollegen sammelt und immer wieder auf das Thema hinweist. Im Moment gebe es aber nichts. Auch konkrete Liefertermine lägen ihm nicht vor, sagt Diefenbach gegenüber DAZ.online. Andere Kollegen berichten Ähnliches. Bei dem einen oder anderen sind je nach Großhändler immer wieder mal einzelne Packungen verfügbar, zum Beispiel von Heumann oder Artesan. Viele bekommen aber auch wie Diefenbach im Moment nichts.

Wirft man einen Blick in die Defektliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – Fehlanzeige. Hier findet sich kein Hinweis auf Probleme bei Metronidazol. Bislang habe kein Zulassungsinhaber einen derartigen Engpass gemeldet – weder beim BfArM noch bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), erklärt ein Sprecher des BfArM gegenüber DAZ.online.

Offensichtlich wird seitens der Hersteller derzeit kein besonderer Bedarf gesehen, die Fachöffentlichkeit zu informieren. Denn die Meldungen zu Lieferengpässen erfolgen bislang freiwillig durch die Zulassungsinhaber – und zwar für Arzneimittel, bei denen eben ein solcher besonderer Informationsbedarf der Fachöffentlichkeit vorausgesetzt wird. Derzeit wird dieser bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln angenommen, die überwiegend zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen bestimmt sind und für die keine Alternativpräparate verfügbar sind. 

Beim parenteralen Metronidazol sieht es besser aus

Und in der Klinik, wo solche lebensbedrohlichen Erkrankungen in der Regel behandelt werden, sieht die Situation tatsächlich besser aus. Parenterales Metronidazol scheint lieferbar zu sein. Ein Münchner Krankenhausapotheker berichtet, ihm lägen keine Informationen zu Engpässen vor. Abfragen bei Großhändlern bestätigen dies. Allerdings sei die Nachfrage längst nicht mehr so gewaltig wie früher, erklärt der Apotheker. In seinen ersten Jahren im Krankenhaus habe man bei abdominellen Infektionen oft mit der Kombination aus Cephalosporinen und Metronidazol gearbeitet. Heute setze man mehr Pip/Taz oder Carbapeneme ein, die im anaeroben Spektrum selbst ganz gut wirken. Spannend werde es vor allem in der Bauchchirurgie dann, wenn Pip/Taz und Metronidazol gleichzeitig ausgehen. Aber danach sehe es im Moment zumindest nicht aus.

Metronidazol 

Das Antibiotikum aus der Gruppe der Nitroimidazole ist gegen obligat anaerobe Bakterien und Protozoen wirksam. Metronidazol ist selbst antibakteriell unwirksam. Unter anaeroben Bedingungen durch bakterielle Enzyme wird die Nitro-Gruppe reduziert, zum Beispiel im anaeroben Stoffwechsel der Trichmonaden. Sauerstoff hingegen schützt durch Reoxidation der partiell toxischen Nitroderivate. Die reaktiven Zwischenprodukte wirken selbst mutagen, können aber zusätzlich enzymatisch weiter aktiviert werden. Nach Elektronenübertragung auf die Nitrogruppe kommt es dann zu kovalenter Adduktbildung benachbarter DNA-Stränge. DNA-Strangbrüche und schließlich der Zelltod sind die Folge. Während der Behandlung mit Metronidazol darf kein Alkohol getrunken werden, weil sonst Antabus-Effekte ausgelöst werden können.

Handelsnamen: Arilin®, verschiedene Generika

Metronidazol ist mitnichten der einzige Engpass, mit dem sich Apotheker gegenwärtig rumschlagen müssen. Diefenbach berichtet von derzeit 150 Defektmeldungen. Andere Apotheker vermissen zwischen 30 und 50 Lagerartikel – allerdings Rx und OTC. Mehrmals täglich werde die Verfügbarkeit beim Großhandel geprüft, berichten Kollegen. Es gehe zum Teil um Minuten, bis ein Artikel wieder ausverkauft sei. 

Die europäischen Industrieverbände der Arzneimittelhersteller, Großhändler, Paralleldistributoren und der Apotheker haben nun ein gemeinsames „Whitepaper“ zur Bekämpfung von Lieferengpässen vorgestellt. Der Fokus soll vor allem auf der Verbesserung der Transparenz und der Bereitstellung von Informationen liegen.  


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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4 Kommentare

Negative Nachfragemacht

von Reinhard Rodiger am 06.02.2017 um 23:24 Uhr

Ausgehend von einer Position der Monopolkommission gilt:

"Die Negativen Wirkungen von Nachfragemacht sind zum Teil theoretisch strittig und können in aller Regel empirisch nicht nachgewiesen werden."

Dr. Klaus Holthoff-Frank Generalsekretär der Monopolkommission 14.6.2016

Hier ist der empirische Nachweis,dass die Nachfragemacht der Krankenkassen durch Drücken des Preises und Anforderung diskontinuierlicher Produktion für Versorgungsengpässe sorgt.

An anderer Stelle argumentiert die Monopolkommission damit:
"..geringere Margen der Hersteller führen zu Investitions- und Innovations- Zurückhaltung."

Gerade bei Engpasssituationen,die eine Kausalursache haben -wie hier die Drückermassnahmen der Krankenkassen-sollte die Monopolkommission diesen empirischen Nachweis eines negativen Wettbewerbseffekts ernst nehmen.

Sicher, die Monopolkommission arbeitet mit Theorie, sie sollte aber der Praxis ,sie zu überprüfen nicht aus ideologischen Gründen ausweichen.Denn das reicht zum Schaden aller Beteiligten.

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AW: Negative Nachfragemacht

von Anna Cottin am 07.02.2017 um 22:34 Uhr

Zitat: "An anderer Stelle argumentiert die Monopolkommission damit:
"..geringere Margen der Hersteller führen zu Investitions- und Innovations- Zurückhaltung.""

Geringere Margen der Hersteller führen vor allem auch zu Marktverschiebungen. Hersteller verkauften natürlich in erster Linie, vor allem bei Warenmangel, zuerst dorthin, wo sie den besseren bzw. besten Preis erhalten. Wie ich kürzlich lesen konnte (ich meine sogar auf DAZ.online), sind die Arzneimittelpreise in Großbritannien weit höher als mittlerweile hier in Deutschland. Ergo werden die Hersteller vorrangig Bestellungen aus GB bedienen und erst dann nach Deutschland liefern. Solange ausreichend Ware am Markt ist, tut das keinem weh. Problematisch wird es erst bei Engpässen. Dann rückt Deutschland offensichtlich mittlerweile in die zweite Reihe. Eine Rolle, die für uns verwöhnte Deutsche nicht nur neu ist, wir werden uns wohl auch an sie gewöhnen müssen, sofern der Politik nicht doch noch kreative Lösungen jenseits des Kaputtsparens einfallen - viel Hoffnung habe ich diesbezüglich nicht.
Ich halte allerdings den von den Krankenkassen aufgebauten Preisdruck nicht für die Ursache der Lieferengpässe, wohl aber für eine die Situation verschärfende Komponente. Das mittlerweile völlig entfesselte Credo der totalen Gewinnmaximierung sehe ich da eher in der Rolle des Übeltäters.

AW: Negative Nachfragemacht

von Reinhard Rodiger am 08.02.2017 um 16:44 Uhr

@ Anna Cottin Die Marktverschiebung gibt es deutlich bei einigen Markenprodukten.Das ist Quasi die Umkehrung unserer Importquote.Damit erzeugen wir Mangel bei anderen, um billiger einzukaufen.Wir erleben jetzt, was andere durch uns lange erleiden.Das meinte ich nicht, wirkt aber verschärfend.

Bei Generika führt der Preisdruck und eben die lotterieartige Chance, eine 2-Jahresproduktion zu gewinnen , zur Konzentration auf Lohnhersteller und Abbau der eigenen Kapazitäten ( für die Wirkstoffherstellung !)
Je kleiner dann der erwartbare Nutzen und je grösser die Schwierigkeit,kurzfristig einen Lohnhersteller zu finden, desto enger der Flaschenhals.Irgendwann lohnt sich das nicht mehr.
Ich glaube nicht, dass hier die Gewinnmaximierung eine Rolle spielt, denn der mögliche Gewinn ist ja schon weggedrückt.
Diesen möglichen Gewinn gibt die KK durch Preisvorschlag vor.Da gibt es wohl öfter unterschiedliche Sichten zum angemessenen Gewinn.Druck scheint mir stärker,besonders bei relativ geringen Volumina, die auch wegen der diskontinuierlichen Nachfrage Probleme machen.






Metronidazol

von Gregor Huesmann am 06.02.2017 um 19:49 Uhr

Verflixt, wo liegen die Gründe? Vielleicht erklärt ein Kollege aus der Industrie mal die Hintergründe, oder sind alle zum Schweigen verurteilt?

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