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Rx-Versandverbot: Teile der SPD bewegen sich und wollen, die Grünen suchen Argumente und können noch nicht, die Saarländer haben’s kapiert, was kommt wenn nicht, die Ersatzkassen kapieren gar nichts und wollen nur Höchstpreise und Rabatte, der Versandapothekerverband präsentiert alternative Fakten – und in dieser Woche will die ABDA filmen: Love, Heart, Pain – Make Our Pharmacists Great Again!
6. Februar 2017
SPD ist nicht gleich SPD. Während die da oben, die Bundesebene, (noch) kräftig mauert und von einem Rx-Versandverbot nichts wissen will, sind die darunter, die auf Landesebene, „geschlossen für das Rx-Versandverbot“. Zumindest in Nordrhein-Westfalen. Zumindest in der Fraktion. Sagt Michael Scheffler, NRW-Gesundheitsexperte der SPD. Klar, mein liebes Tagebuch, im Mai wird in NRW gewählt und bei der SPD zählt jede Stimme! Schon richtig, aber Scheffler scheint es wirklich ein Anliegen zu sein, die Arznei-Versorgung sicherzustellen, auch auf dem Land. Und von den paar Versendern, denen das Verbot nicht gefällt, kann man schon erwarten, dass sie sich andere Umsatzfelder erschließen, meint er. Scheffler wörtlich: „Ich und meine Fraktionskollegen würden Gröhes Entwurf zustimmen.“ Mein liebes Tagebuch, so sieht verantwortungsvolle Politik aus.
Würde, könnte, hätte. Und wann würde man nun über den Entwurf von Gröhe zum Rx-Versandverbot abstimmen können? Hätte der Entwurf noch eine Chance vor dem 24. September, der Bundestagswahl? Schon, oder? Wird aber knapp, verdammt knapp. Da muss noch der kleine Rest der SPD überzeugt werden, da gibt es noch die eine oder andere klitzekleine rechtliche Unsicherheit – und dann steht noch das Notifizierungsverfahren der EU bevor, also das Verfahren, bei dem die EU ihren Senf dazu geben darf. Während dieser Zeit dürfte das Gesetz nicht in Kraft treten, könnte aber schon seinen parlamentarischen Weg nehmen. Theoretisch. Wenn sich die Abgeordneten darauf einließen, ohne das Ergebnis aus Brüssel zu kennen. Ist das wahrscheinlich? Und wenn das Rx-Verbot nun nicht bis zum 24. September beschlossen wird? Dann, mein liebes Tagebuch, wird nach der Wahl das Ganze neu aufgelegt. Vielleicht unter anders farbigen Vorzeichen. Weiter hoffen!
Lieferengpässe – hätte mir vor zehn, fünfzehn Jahren jemand gesagt, dass dies mal ein Problem in Deutschland werden würde, hätte ich gelacht. Zum Lachen ist es einem heute nicht mehr zu Mute. Vor allem wenn es sich um Antibiotika handelt, die nicht lieferbar sind. Metronidazol ist der Kandidat der Woche! Nicht lieferbar! Und Apotheker Haru Diefenbach, der sich dankenswerter Weise und schon lange systematisch um die Auflistung und Sammlung von Lieferengpässen kümmert, hat noch 150 weitere Kandidaten auf seiner Liste. Ist das nicht irgendwie ein Armutszeugnis für eine Industrie, die vorgibt, Hightech, Life- und Bioscience hochzuhalten?
7. Februar 2017
Er hat’s nicht vergessen: Auf dem letztjährigen Apothekertag hat Bundesgesundheitsminister Gröhe angedeutet, dass man den Apotheker beim elektronischen Medikationsplan wohl mit ins Boot holen könne, honorarmäßig zumindest. Jetzt verspricht Gröhe auf einer Veranstaltung zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen, bei der Umstellung auf einen elektronischen Medikationsplan im nächsten Jahr den Kreis der Ersteller zu erweitern und noch mal über die Vergütung zu reden. Die Apotheker seien da nicht vom Schlitten gefallen, griff Gröhe ein Bild des nordrheinischen Kammerpräsidenten Engelen auf. Meine liebes Tagebuch, und was passiert, wenn uns Ende nächsten Jahres ein neuer Gesundheitsminister doch noch vom Schlitten schubst?
Die Saarländer haben’s kapiert: Das EuGH-Urteil hat nicht nur Auswirkungen auf die Apotheken. Mittelbar sind auch Ärzte und Zahnärzte betroffen. Denn im Prinzip hat sich der Europäische Gerichtshof mit einem solchen Urteil über das Recht der Mitgliedstaaten hinweggesetzt, ihr Gesundheitswesen eigenständig zu regeln. Und deshalb haben sich die saarländischen Heilberufe zu einer gemeinsamen Erklärung entschlossen: Ärzte-, Zahnärzte- und Apothekerkammern und -verbände sehen die freiberufliche Honorarordnung in Gefahr und die saarländische Gesundheitsministerin Bachmann steht hinter dieser Erklärung. Sie ist überzeugt: „Wir müssen unsere Apotheken stärken“ und „ein Verbot, wie es die meisten EU-Länder haben, ist angemessen und nötig“. Mein liebes Tagebuch, das ist doch mal ein Wort und Klartext. Angenommen, solche gemeinsamen Erklärungen kämen auch noch aus Bayern, Baden-Württemberg, NRW, Niedersachsen und einigen anderen Ländern – was das für einen Druck aufbauen könnte!
„75 Prozent der Deutschen finden es wichtig, dass Arzneimittel bestellt werden können“ – will der Versand-Apo-Verband BVDVA in einer Umfrage ermittelt haben. Und mit diesen und ähnlichen Umfrageergebnissen kämpft der Verband gegen ein Versandverbot, lässt die Zahlen in Rechtsgutachten einfließen und will der Politik Fakten zur Unverzichtbarkeit und Beliebtheit des Arzneiverschickens präsentieren. Mein liebes Tagebuch, sind das wirklich die objektiven Fakten? Zudem, wenn man sowieso nur Menschen fragt, die ohnehin online gerne einkaufen? Und dann kommt es noch darauf an, wie die Fragestellung ist. Hat man den Online-Shoppern klar und deutlich gesagt, dass sie auch in Zukunft ihre Arzneimittel bestellen können, dass es sich beim Verbot nur um Rx handelt? Wie leicht doch Fakten zu alternativen Fakten werden können…
8. Februar 2017
Es sei nicht „zeitgemäß“, den Rx-Versandhandel zu verbieten, meint Ulrike Elsner, Chefin des Ersatzkassenverbands. Sie möchte lieber eine Höchstpreisverordnung, da gebe es dann nämlich Raum für Verträge und Rabatte, die die Kassen mit den Apotheken abschließen könnten. Mein liebes Tagebuch, sag mal, fällt den Ersatzkassen denn nichts anderes ein, als Höchstpreise, Rabatte und Verträge? DAS ist doch nicht mehr „zeitgemäß“! „Raum für Rabatte“ gibt es doch schon längst bei Rabattverträgen. Ein Rx-Versandverbot ist super-zeitgemäß und richtig innovativ! Es stärkt die wohnortnahe Arzneiversorgung und erhält gleiche und faire Preise für alle Versicherte. Immerhin scheint Elsner zu bemerkt zu haben, dass die Politik wenig Gefallen an Höchstpreisen habe und von den „Mobilisierungsfähigkeiten“ der Apotheker beeindruckt sei. Frau Elsner, vielleicht ist es die Vernunft und Sorge um die Patienten, die die Politiker bewegt. Schon mal daran gedacht?
9. Februar 2017
Yeah! Die ABDA hat Emotionen entdeckt! Von ihrer herzallerliebsten PR-Agentur Cyrano hat sich unsere Berufsvertretung einlullen lassen (oder war’s umgekehrt?), dass Emotion der erfolgversprechende kommunikative Hebel sei. Vermutlich hat die ABDA am Umschau-Filmchen aus Baierbrunn Blut geleckt: Das wollen und können wir auch. Schon im Mai und Juni sollen die Videoclips, ruckzuck gedreht und zusammengeschnitten, in Kinos und in Social-Media-Portalen laufen. Verfilmt werden Patientengeschichten. „In kurzen emotionsgeladenen Sequenzen sollen Patienten ihre persönliche Geschichte erzählen“, erklärt es die ABDA, und wie die Patienten „dann in ihrer Apotheke vertrauensvollen Rat und Unterstützung erhalten haben“. Mein liebes Tagebuch, mir wird da schon arg warm ums Herz. Da sitzt dann Opa Kowalke vor der Kamera, erzählt mit Tränen in den Augen (Großaufnahme!) von seiner netten Apothekerin, die ihm nachts um halb zwei eine Rheumasalbe vorbei gebracht und seinen Rücken massiert hat (Nahaufnahme auf die Hände): „Ah, das hat gut getan, und Frau Apothekerin hat so zarte Händchen!“ Herzzerreißende Filmchen also, das ist jetzt die heiße Geheimwaffe im Kampf gegen kalten Versandhandel. Derzeit sind ABDA und Cyrano noch auf der Suche nach Geschichten, echt emotional, echte Schicksale (also keine fake news!), mit dem Patienten im Mittelpunkt und dem Apotheker mit einer echt wichtigen Rolle. Echt cool! Vielleicht nach dem Muster Liebe, Herz und Schmerz, nur in umgekehrter Reihenfolge. Schade nur, zur Berlinale kommen die Filmchen zu spät, aber vielleicht reicht es noch für den nächsten Golden Globe oder Oscar, falls Trump die deutschen Filme akzeptiert: Love, Heart, Pain In The Pharmacy – Make Our Pharmacists Great Again!
10. Februar 2017
Noch sind die Grünen nicht für ein Rx-Versandverbot. Das kann sich aber – vielleicht – noch ändern. Jedenfalls macht sich die Fraktion Gedanken zum beabsichtigten Versandhandelsverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Sie richtete eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und bohrt nach: Warum, wieso, weshalb. Und: Handlungsbedarf ist dringend. Mein liebes Tagebuch, soweit sind sie also schon mal. Immerhin. Die Grünen gehen allerdings davon aus, dass ein solch umfassender Eingriff wie das Rx-Versandverbot nur gerechtfertigt sei, „wenn es durch die Existenz des Versandhandels in der Vergangenheit zu Verwerfungen in der Arzneimittelversorgung gekommen wäre und Alternativen zur unveränderten Preisbindung, wie sie bis heute für inländische Apotheken gilt, ausdrücklich ausgeschlossen worden sind“. Mein liebes Tagebuch, und ob es zu Verwerfungen gekommen ist! Vor allem: Es würde in Zukunft zu Riesen-Verwerfungen kommen! Mensch Grüne, denkt mal drüber nach, bevor es zu spät ist! Und wirklich gute Alternativen zum Rx-Versandverbot gibt es nicht. Aber vielleicht machen die Grünen ja mit, wenn es heißt: Wir wollen kein Rx-Versandverbot, wir wollen nur eine Beschränkung des Versandhandels auf OTC-Arzneimittel.
11. Februar 2017
Sie ist zwar auch eine Grüne, aber irgendwie anders grün, eher helle-grün: die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens. Auf dem Zukunftskongress des Apothekerverbands Nordrhein stellte sie sich erneut klar und deutlich auf die Seite der Apotheker: „Wir brauchen Sie“, sagte sie. Und ein Rx-Versandverbot ist für sie der richtige Weg. Es gibt nichts besseres als die Face-to-Face-Beratung. Auch wenn sie ein wenig unsicher ist, ob es noch klappen wird. Und deshalb sollten die Apotheker hinter verschlossenen Türen auch schon mal über einen Plan B nachdenken: einen konstruktiven Weg finden, den man im Fall des Falles dann der Politik präsentieren kann: „Die Vorschläge müssen von Ihnen kommen.“ Was sie auch noch sagte: Die Apotheker sollten „neue Wege finden“, z. B. chronisch Kranken Arzneimittel nach Hause zu liefern. Mein liebes Tagebuch, ich habe sie so verstanden, dass sie die Sache mit den Botendiensten für ausbaufähig hält. Da hat sie durchaus Recht. Diese zurückhaltende offizielle Formulierung der „Belieferung im Einzelfall“ und nur dann, wenn es dem Patienten nicht möglich ist, selbst in die Apotheke zu kommen, klingt antiquiert und nicht mehr zeitgemäß. Vor allem dann nicht, wenn man gegen Versender und Co. punkten will.
Der nordrhein-westfälische gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Michael Scheffler, war auch auf dem Zukunftskongress. Im DAZ.online-Interview hatte er gesagt, dass die NRW-SPD für ein Versandverbot ist. Er steht dazu und hofft, dass das Bewegung in die Berliner SPD bringt. Mein liebes Tagebuch, das hoffen wir auch!
9 Kommentare
Oberste Maxime
von Anita Peter am 12.02.2017 um 12:41 Uhr
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Guten Morgen, meine Lieben !
von gabriela aures am 12.02.2017 um 11:12 Uhr
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AW: Sorry
von gabriela aures am 12.02.2017 um 11:27 Uhr
AW: Guten Morgen, meine Lieben, from lucky & bad com ...
von Christian Timme am 12.02.2017 um 13:24 Uhr
Verbot ???
von Christian Giese am 12.02.2017 um 10:31 Uhr
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Mein Senf dazu
von Karl Friedrich Müller am 12.02.2017 um 9:47 Uhr
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AW: Mein Senf dazu ...
von Christian Timme am 12.02.2017 um 10:21 Uhr
AW: Mein Senf dazu
von Kathi am 12.02.2017 um 12:25 Uhr
LH-Tickets machen Politik ...
von Christian Timme am 12.02.2017 um 9:39 Uhr
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