Kommentar zum gescheiterten Koalitionsgipfel

Es geht um viel mehr

Stuttgart - 30.03.2017, 07:30 Uhr

Auch kleine Boni richten einem Gutachten zufolge maximalen Schaden bei den Apotheken auf dem Land an. (Foto: dpa)

Auch kleine Boni richten einem Gutachten zufolge maximalen Schaden bei den Apotheken auf dem Land an. (Foto: dpa)


Der Koalitionsausschuss konnte sich in der vergangenen Nacht nicht auf ein Rx-Versandverbot einigen. In dieser Legislaturperiode ist also diesbezüglich wohl nichts mehr zu machen. Dass es dabei aber um deutlich mehr geht, als um die Frage, ob in Zukunft verschreibungspflichtige Arzneimittel noch per Post verschickt werden dürfen, haben offensichtlich ganz viele nicht kapiert. Ein Kommentar von DAZ.online-Redakteurin Julia Borsch.

„Die Apotheker sind gegen den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und somit zukunftsfeindlich.“ So oder so ähnlich war es in letzter Zeit in an vielen Stellen zu lesen. Außerdem sei der Anteil des Versandhandels am Gesamtmarkt so klein, dass er doch den Apotheken gar nicht schade und auch in Zukunft nicht schaden werde. Eine Argumentation, die auch gerne von den Versendern selbst als Argument gegen das Verbot des Rx-Versandhandels ins Feld geführt wird. Diese Berichterstattung und die Ablehnung des Rx-Versandhandelsverbots, vor allem aber die Argumente mit denen Gröhes Gesetzentwurf zum Teil abgelehnt wurde, führen eines ganz klar vor Augen: Hier haben ganz viele etwas grundlegend nicht verstanden.

Ja, es ging bei Gröhes Gesetzentwurf natürlich um die Frage, ob man weiterhin verschreibungspflichtige Arzneimittel in und nach Deutschland versenden darf – allerdings nur vordergründig. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr. Nämlich darum, ein bestehendes, funktionierendes System basierend auf der Rx-Preisbindung zu opfern – zugunsten eines für viele Apotheken ruinösen Wettbewerbs. Denn selbst vermeintlich kleine Apotheken-Boni können einem aktuellen Gutachten zufolge zu einem maximalen Schaden für die flächendeckende Versorgung führen. Der Rx- Versandhandel an sich ist dabei nicht das Problem. Auch wenn das in der Berichterstattung – absichtlich oder unabsichtlich – gerne so hingestellt wird. Mit dem hatten sich die Apotheker irgendwie arrangiert.  Wäre dieser Burgfrieden nicht durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aufgekündigt worden, hätten sie dies vermutlich auch weiterhin getan.

Es geht auch nicht darum, dass sich Apotheker dem Wettbewerb oder gar der Digitalisierung verschließen. Es ist sowieso ein so grundsätzliches wie weit verbreitetes Missverständnis, Regulierungen im Gesundheitswesen – wie die Arzneimittelpreisverordnung – dienten dem Schutz der Leistungserbringer. Sie dienen dem Schutz der Patienten und Verbraucher in einer oft schwierigen persönlichen oder familiären Situation – Krankheit. Dass ausgerechnet die Krankenkassen diese Schutzmechanismen für ihre Versicherten als „alte Zöpfe“ diffamieren, ist so perfide wie unerklärlich. Aber das nur am Rande. 

Apothekerin Julia Borsch

Das Verbot des Rx-Versandhandels ist – wie die anderen Regulierungen im Arzneimittelvertrieb – lediglich ein Mittel zum Zweck. Es wäre die angemessene Reaktion des Gesetzgebers nach dem EuGH-Urteil gewesen, die Rx-Preisbindung und somit die flächendeckende Versorgung in Deutschland aufrechtzuhalten. Experten zufolge das einzig wirksame Mittel. Der Bundesgesundheitsminister hat das ganz offensichtlich im Gegensatz zu vielen anderen – darunter auch Journalisten und die Spitzen der Regierungsparteien– verstanden..


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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19 Kommentare

RX-Versandverbot

von Markus Junker am 30.03.2017 um 16:00 Uhr

Und was nun? Gibt es einen Plan B, der wenigstens übergangsweise das Schlimmste verhindert bzw. ausgleicht?
Im Übrigen diskriminiert das EuGH-Urteil die Inländer, nicht weil den ausländischen Versendern "Boni" erlaubt sind, sondern weil diese sich mit dem arbeitsintensiven und wenig ertragreichen Teil der Apothekenarbeit weiterhin nicht befassen müssen.
Kampfpreise machen und ansonsten nur die ertragreichen Dinge annehmen, das darf einfach nicht erlaubt sein. Das Urteil der EuGH-Richter atmet diesen Neoliberalen Geist bei dem man sich fragt, ob es nicht ein böser Dschinn ist, den man da aus der Flasche läßt. Wer solche Urteile fällt, sollte auch die möglichen Konsequenzen auf dem Schirm haben. Ich kann mir nicht helfen, dies ist für mich nicht erkennbar.

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AW: RX-Versandverbot

von Bernd Jas am 30.03.2017 um 19:32 Uhr

Das war der Plan B ! :-/

Darf ich jetzt dankbar sein,

von Rita Längert am 30.03.2017 um 13:36 Uhr

weil nach dem Vorschlag von Cordula Schulz-Asche soll ja schnellstmöglich ein Kompromiss gefunden werden, um die Inländerdiskriminierung zu beenden, Boni für alle!!! Damit muss ich nicht mehr bis zur Rente in diesem Spargeldampfer-Postengeschacherer-Gesundheitssystem arbeiten, sondern darf viel früher wegen Insolvenz die Türen schließen.
Dafür, das ich mit Beginn der Volljährigkeit fast 16 Jahre die Grünen gewählt habe, weil ich damals dachte, sie würden vieles besser und anders machen als die etablierten Parteien (Kohl-Ära), müsste ich heute noch jeden Tag eine Tracht Prügel bekommen!

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Rezepturen- und Notdienststreik

von Pierre Roer am 30.03.2017 um 12:10 Uhr

Es gibt in der Politik und den Krankenkassen diese merkwürdige, unerklärbare Meinung, man könne ständig hier etwas kürzen, da noch mal "deckeln", dort nochmal einen Extra-Rabatt herausholen usw., ohne dass die Leistung darunter leiden würde. Das sind typische Verhaltensweisen von Menschen, die nie unternehmerisch denken mussten, gerne bei Beamten, Politikern oder im öffentlichen Dienst anzutreffen.

Die Leidensfähigkeit dieses Berufsstandes habe ich noch nie verstanden, die Standesvertretung handelt seit 20 Jahren unter dem Motto "Bloß stillhalten, sonst kommt es noch schlimmer" und letztlich kam es sowieso schlimmer.

Ich denke, hier wurde jetzt "der Rubikon überschritten". Das war eine Ohrfeige zu viel für die Apotheker. Wir sollten als Vorbereitung auf die zu erwartenden Extra-Zwangs-Rabatte jede unrentable Leistung verweigern. Wir werden nur noch auf die Rolle des Kaufmanns reduziert, es finden ohnehin nur Preisdiskussionen statt. Dann darf sich niemand wundern, wenn wir auch nur wie Kaufleute handeln. Dann gibt es keine "heilberufliche Pflicht" mehr.
Die ausländischen Versender machen weder Notdienste noch Rezepturen. Dass wir im Inland hierzu verpflichtet sind, ist nach EU-Recht klassische Inländer-Diskriminierung. Dagegen müssen wir jetzt juristisch vorgehen. Warum tut die Standesvertretung nichts? Auch muss man der Preisdeckelung vorgreifen: es muss juristisch darauf hingearbeitet werden, dass es keine "Deckelung" geben kann: Freie Preise heißen dann freie Preise, eben auch nach oben.... dann bin ich mal gespannt, was dem Patienten / der Krankenkasse das dringend benötigte Schmerzmittel/Antibiotikum/... am späten Abend so wert ist. Wir sehen doch, dass die Preise in den Ländern mit Versand und ohne Preisbindung (USA) mitunter die höchsten sind....

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AW: Rezepturen- und Notdienststreik

von Christian Becker am 30.03.2017 um 13:03 Uhr

Meiner Meinung nach kommt das Stillhalten und Leiden von der Angst, dass, wenn man zu viel Kontra gibt, eben, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, das Fremd- und Mehrbesitztverbot fällt und man vielleicht doch keine qualifizierten Pharmazeuten für OTC-Medikamente braucht. 1 pro Supermarkt tut es doch.
Also lieber ja und amen sagen und das "Schlimmkommen" noch ein wenig verschieben. Jetzt ist es halt da. Statt vor 10 oder 15 Jahren schon. Blöd für die, die es jetzt trifft, großen Teilen der Politik und den Krankenkassen aber egal.

AW: Rezepturen- und Notdienststreik

von Pierre Roer am 30.03.2017 um 13:32 Uhr

ja dann kommt eben der Fremd- und Mehrbesitz. Na und? Wer bei Verstand wird da noch investieren wollen? Erst recht wenn die Versender aus dem Ausland jetzt den Preis und Rabattkrieg eröffnen? Wer bei Verstand macht überhaupt noch eine Apotheke auf und begibt sich in die Selbstständigkeit...? Wieder nur 40 Stunden arbeiten mit garantierten 6 Wochen Urlaub im Jahr: Aber gerne !

Nicht verstanden?

von Florian Becker am 30.03.2017 um 9:33 Uhr

Ich bin vollkommen überzeugt, dass ALLE an der Entscheidung maßgeblich beteiligten Politiker GANZ GENAU wussten und wissen, um was es geht!
Es geht um nichts Anderes, als dass die Blockierer der SPD (ohne die es längst ein RX-Versandverbot geben würde), ihren Sponsoren das eingesetzte Kapital verzinsen.
Nur darum geht es, um nix anderes!
Auch der Einspruch aus dem Finanzministerium ist durch die Verbindungen von Staatssekretär Spahn zu DocM schnell zu erklären..
Deshalb ist auch den handelnden Personen auf unserer Seite in Bezug auf Aufklärung über die Fakten kein Vorwurf zu machen.
Ich habe das selbst auf einem Parteitag der Grünen erlebt:
Sachargumente werden zwar angehört und registriert, die einzige Reaktion darauf ist "aber trotzdem".
Entscheidend wird sein, wie wir jetzt darauf reagieren.
Meine Meinung: Kein fauler Kompromiss, an den sich die Versender ohnehin nicht halten, sondern im Wahlkampf ganz klar Ross und Reiter nennen!

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AW: Nicht verstanden

von Dr. Radman am 30.03.2017 um 9:59 Uhr

...Und was haben davon? . Nach der Bundestagswahl werden die selben miteinander koalieren. Die SPD hat fast alle Ihre Forderungen im Koalitionsausschuss durchgesetzt.
Wir sitzen in der Falle!

AW: aber trotzdem!

von Christian Giese am 30.03.2017 um 14:55 Uhr

Dieses in allen Parteien auffällige "aber trotzdem!" lässt sich mit etwas mehr dialektischem Einsatz jederzeit überwinden. Aber man muss das auch Wollen.
Wer nicht kämpft, hat eh schon verloren!

2,50€

von Peter Bauer am 30.03.2017 um 9:19 Uhr

2,50€ Rabatt bei 100€ wären zwar "nur" 2,5% vom Umsatz,wären aber ca um die.20% vom Rohertrag.Das kann sich keine Apotheke leisten!.
Auf den Kompromissvorschlag ,der jetzt kommen soll,bin ich gespannt.Der kann nur nach hinten losgehen!
Das beste an der ganzen Sache ist ,dass ich in ein paar Jahren meinen Laden wegen Unverkäuflichkeit zusperre.
Dann gibt es halt keine Apotheke mehr in meinem Ort.
Das Urteil wird dies halt noch beschleunigen.
Einige "alte"Kunden sind sowieso seit dem EuGHurteil nachweislich bereits mit ihren Rezepten zum Versandhandel gewechselt.
Wir werden in den Fatalismus getrieben,in dem das Wohl des Patienten wohl immer weniger im Vordergrund stehen wird.
Apotheker sind keine besseren Menschen als der deutsche Durchschnittsbürger.Die "guten " Taten der Apotheker müssen bezahlt werden.Man bekommt immer nur soviel wie man bezahlt.Nach neuesten Verkaufszahlen hat der Versandhandel mit RX bereits zugelegt.Bis jetzt nur geringfügig,aber wie ich bereits vor einem halben Jahr an dieser Stelle gesagt habe,wird es gleich einem Schneeball ablaufen und langsam beginnen und heftig weitergehen.Wie überall wird es dann große Versorgungseinheiten in Zentren geben und viele Notdienstkunden werden froh sein ,wenn sie "nur" 20 bis 30 Kilometer fahren müssen.
Ach halt,jetzt hätte ich bald die Krankenkassen und Versandhändler mit ihren Drohnen und Automaten vergessen,sorry
Ich finde bei der Neustrukturierung des Pharmaziestudiums sollte am Anfang ein Test auf die geistige Zurechnungsfähigkeit etabliert werden, sobald der Wunsch geäußert wird sich als Apotheker selbstständig machen zu wollen.
Ihr Politiker zerstört Existenzen und Leben und macht alles kaputt

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jämmerliches Versagen

von Christian Giese am 30.03.2017 um 8:48 Uhr

Wenn ganz viele hier etwas grundlegend nicht verstanden haben, dann haben die, die gewählt wurden, hierzu öffentlich was zu sagen, aufzuklären und dieses "Verstehen" auch bei Journalisten und Spitzen der Regierungsparteien möglich zu machen und herzustellen, jämmerlich versagt.

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AW: jämmerliches Versagen

von Thesing-Bleck am 30.03.2017 um 10:23 Uhr

Leider! Ausbaden müssen das die Kolleginnen und Kollegen vor Ort!

AW: jämmerliches Versagen

von Thomas Luft am 30.03.2017 um 11:47 Uhr

So sehr und oft ich unsere "Granden" kritisiere. Hier glaube ich, dass man ihnen keinen Vorwurf machen kann. ALLE Politiker wurden hervorragend ignoriert. Aber insbesondere die SPD-Spitze und auch das "genetzwerkte" Finanzministerium (Max Müller - Jens Spahn - Wolfgang Schäuble) hatten keine Lust auf echte Argumente. Warum? Ich weiß es nicht! Und ich fühle mich gegenüber einer solchen Politik ziemlich ohnmächtig. Insbesondere die SPD sollten wir aber alle gegenüber unseren Kunden entlarven. Von wegen "die Partei des kleinen Mannes"...

Also, auf in den Kampf. Bedrängte Hunde sind meistens sehr bissig...

AW: jämmerliches Versagen

von Thomas Luft am 30.03.2017 um 12:01 Uhr

Oh jeh, was für ein blöder Schreibfehler: ich meinte dass alle Politiker INFORMIERT wurden, nicht ignoriert... Ist wohl dem Notdienst geschuldet, den ich heute Nacht hatte.

keine Träume mehr!

von Karl Friedrich Müller am 30.03.2017 um 8:30 Uhr

"In dieser Legislaturperiode ist also diesbezüglich wohl nichts mehr zu machen. "

Später auch nicht. Weil die gleichen Leute wieder an den entscheidenden Stellen sitzen werden,

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"Aber das nur am Rande."

von Thesing-Bleck am 30.03.2017 um 8:25 Uhr

Regulierungen im Gesundheitswesen – wie die Arzneimittelpreisverordnung – dienten NICHT! dem Schutz der Leistungserbringer. Sie dienen GANZ ALLEIN und AUSSCHLIESSLICH dem Schutz der Patienten und Verbraucher in einer oft schwierigen persönlichen oder familiären Situation – Krankheit. Genau dieser Aspekt ist in der berufspolitischen Debatte viel, viel zu wenig herausgestellt worden. Dieser Grund ist zudem die einzige Begründung, welche die Verkammerung unseres Berufes rechtfertigen kann. Ich versehe nicht, warum diese Argumentation in der öffentlichen Debatte um den Erhalt des Azneimittel-Versorgungssytems durch Inhaber geführte Apotheken so wenig transparent gemacht worden ist. Dieser Aspekt steht NICHT nur am Rande, er ist die entscheidende Existenzberechtigung für unsere Selbstverwaltung. Auch das nur am Rande!

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AW: "Aber das nur am Rande."

von Elisabeth Jedamzik am 30.03.2017 um 9:40 Uhr

Weil für die Politik die vermeintliche " Geiz-ist-Geil" Mentalität des Wahlvolkes anscheinend stärker zu werten ist als die Verantwortungsethik ("was ist das?) eines Heilberufes.
Und Verantwortung übernehmen,auch für auf den ersten Blick "unpopuläre",kritische Positionen, ist für heutige Politiker wohl nicht mehr oberstes Prinzip, wie man nach der Lektüre von "Die Getriebenen" resigniert feststellen kann.

Sehr treffender Kommentar!

von G. Wagner am 30.03.2017 um 8:17 Uhr

Sehr treffender Kommentar! Danke für die fundierte und schnelle Berichterstattung, Wenigstens die DAZ hat aus allen Rohren geschossen - auch wenn es (vorerst?) leider vergeblich war.

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Keine Einigung

von Frank Ebert am 30.03.2017 um 7:46 Uhr

Das hätte Trump auch hinbekommen

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