Kommentar zum Fastjekt-Rückruf

Verantwortung für Apotheker statt mehr Bürokratie

Berlin - 18.04.2017, 11:13 Uhr

Anstatt mehr Bürokratie zu schaffen, sollte der Gesetzgeber den Apothekern als Heilberuflern mehr Ermessensspielraum ermöglichen, meint Thomas Müller-Bohn. (Foto: dpa)

Anstatt mehr Bürokratie zu schaffen, sollte der Gesetzgeber den Apothekern als Heilberuflern mehr Ermessensspielraum ermöglichen, meint Thomas Müller-Bohn. (Foto: dpa)


Nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums ist beim Austausch zurückgerufener Arzneimittel ein neues Rezept nötig. Doch berufspolitisch ist das nicht befriedigend, meint Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar.

Ein eher einfaches pharmazeutisches Problem ist dabei, zu einem kuriosen juristischen Streit und zu einem politischen Lehrstück zu werden. Beim Chargenrückruf für Fastjet-Injektoren stellt sich die Frage, ob für den Austausch ein neues (Privat-)Rezept nötig ist. Das Bundesgesundheitsministerium bejaht dies und stützt sich dabei auf eine sehr formale Auslegung der Arzneimittelverschreibungsverordnung. Als Gegenthese lässt sich argumentieren, dass bei der Abgabe einer nun zurückgerufenen Packung ein gültiges Rezept vorgelegen haben muss. In diesem Sinne haben auch DAZ.online-Leser in Kommentaren argumentiert.

Da der Patient nach dem Austausch keine größere Arzneimittelmenge als vorher hat, könnte der ganze Ablauf als eine einzige Abgabe interpretiert werden. Bei dem hier betroffenen Produkt kommt noch das Argument hinzu, dass die Entscheidung über die einmalige Anwendung nur aufgrund der Notsituation vom Patienten getroffen werden kann. Doch wer eine andere Rechtsauffassung als das Ministerium hat, muss sich nun fragen, ob er diese notfalls vor Gericht vertreten und den Streit ausfechten will. Niemand weiß, ob ein Richter dem Ministerium folgen oder eigene Ideen entwickeln würde.

Mit Blick auf die Praxis hat ein DAZ.online-Leser angeführt, dass der Hersteller für die Gebühr des Arztes anlässlich der Privatverordnung aufkommen müsste. Außerdem ist an eine Entschädigung für die aufgewendete Zeit des Patienten zu denken. Aus Apothekersicht kommt hinzu, dass dieser sich mit einer so lebensfernen Forderung gegenüber dem Patienten lächerlich machen könnte.

Mehr Ermessensspielraum für Apotheker

Die langfristig wichtigste Konsequenz aus dieser bürokratischen Posse dürfte sein, dass sie ein ideales Argument für eine alte politische Forderung ist. Wir brauchen endlich einen sinnvollen Ermessensspielraum für Apotheker in der Arzneimittelverschreibungsverordnung, der eines akademischen Heilberuflers würdig ist.

Das aktuelle Beispiel zeigt, dass das reale Leben merkwürdige Situationen hervorbringt, die ein Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht in dieser Vielfalt vorhersehen kann. Das ist einer der Gründe, weshalb sich die Gesellschaft einen akademischen Heilberufler als Letztverantwortlichen für die Arzneimittelabgabe leistet. Der sollte seine Arbeit dann aber auch im Sinne der Patienten machen dürfen. Statt die Bürokratie immer weiter zu treiben, gilt es Verantwortung zu übernehmen. Berufspolitische Anläufe für ein solches Ansinnen wurden leider schon in der Antragsdebatte des Deutschen Apothekertages zurückgewiesen, wohl aus übertriebener Rücksichtnahme auf die Ärzte. Das jüngste Beispiel dürfte allerdings auch den Ärzten zeigen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Denn auch die Ärzte sind bestimmt keine Freunde einer ausufernden Bürokratie.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Mehr Verantwortung

von Peter Brunsmann am 19.04.2017 um 10:42 Uhr

Verstehe es wirklich nicht. Warum wir die Kompetenz der Pharmazeuten nicht genutzt und stattdessen bürokratische Lösungen favorisiert. Diese Diskussion ist symtomatisch: tausche Hirn gegen Vorschrift. So wurde, statt einfach pharmazeutische Bedenken , zu akzeptieren (ohne umständliche Begründung), ja eine Substitutionsauschlussliste von einer sicherlich nicht kostenlos arbeitenden "Expertenrunde" erstellt und wird weiter gepflegt.
Hätten die Kassen und Politik einfacher und wesentlich günstiger haben können.
Nicht jeder meiner Patienten hatte Probleme durch Herstellerwechsel der Schilddrüsenmedikation. Krankenkassen denkt mal drüber nach!

Ein klarer Auftrag an Kammern und Verbände!!

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Der endgültige Beweis für unsere völlige Hilflosigkeit angesichts inhaltsleerer Formalien?

von Wolfgang Müller am 18.04.2017 um 16:47 Uhr

Lieber und geschätzter Kollege Müller-Bohn, Ihre vornehme Zurückhaltung angesichts dieser drohenden bzw. vielleicht sogar schon stattfindenden Peinlichkeit in allen Ehren. Keinesfalls kann man - wie es ja von "uns" immer wieder gern geschieht - in diesem Fall die Verantwortung für möglicherweise tatsächlich vollkommen lebensfremdes, juristisch keineswegs begründbares Handeln unseres Berufsstandes hier auf "Die Politik" abwälzen!

Diese Diskussion schwebt nun schon seit geraumer Zeit hier herum. Abschließend in unserem Sinne juristisch abgehandelt wurde das Thema m. E. allerdings eigentlich schon am 13.04.2017 in der hervorragenden Ausarbeitung des Kollegen Schenkel "Rechtsauffassung des Schenkels: Warum geht ein Austausch manchmal auch ohne Rezept?" als Kommentar zum DAZ-Artikel: "Warum braucht man bei Rückrufen ein neues Rezept?"

Dass sich das Bundesgesundheitsministerium einmal zu diesem Thema geäußert hatte (wohl auch nur, weil es von "uns" gefragt wurde), ist interessant, aber im aktuellen Fall (der schon etwas speziell ist, oder?) nicht zielführend.

Ich warte nun sehnsüchtig auf die Klarstellung der BAK und der Kollegen von der Vereinigung der Pharmazieräte, dass wir NATÜRLICH im Sinne von Kollegen Schenkel den Pen ohne jedes weitere Hin und Her austauschen können, weil dort die Rechtsauffassung des Ministeriums nicht geteilt wird, bzw. hier NATÜRLICH nicht zur Anwendung gelangen darf.

Ich hoffe, das ist nicht zuviel verlangt. Falls doch, erwarte ich mindestens eine entsprechende Stellungnahme des DAV.

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AW: 2 verschiedene Aspekte

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 19.04.2017 um 10:03 Uhr

Lieber und ebenso geschätzter Kollege Müller, vielen Dank für Ihre Anmerkung. Es ist keiner Weise meine Absicht, die Ausführungen des Kollegen Schenkel zu relativieren. Im Gegenteil, ich halte sie für sehr zielführend. Darum ja auch mein Hinweis, dass im Ernstfall ein Richter seine eigene Entscheidung treffen würde. Doch neben der juristischen Diskussion über das vergleichsweise eng begrenzte Thema des Austausches beim Rückruf geht es mir darum, dass dies zugleich ein schönes Beispiel für das andere größere politische Thema ist - nämlich den Verantwortungsspielraum des Apothekers. Und wenn es dazu eine neue gesetzliche Regelung gäbe, würde sich das aktuelle juristische Thema sowieso erübrigen. Es geht mir also darum, die Diskussion um einen neuen Aspekt zu erweitern, weil mir der Anlass dafür geeignet erscheint.
Beste Grüße

AW: Natürlich ist beides richtig

von Wolfgang Müller am 20.04.2017 um 9:23 Uhr

In der Tat, in der Tat, es sind zwei Aspekte unserer Hilflosigkeit. Die aktuelle, m. E. selbstverzapfte bzgl. Fastjekt, die mich - sagen wir mal zurückhaltend - verstört. In ihrer Verantwortungs-vermeidenden Beflissenheit, nur ja nichts falsch zu machen. Und die grundlegende, deren Beseitigung Sie bei dieser Gelegenheit völlig zu Recht anmahnen.

Aktuell müssten wir uns als Apothekerschaft "Das Recht", vernünftig UND gesetzeskonform zu handeln, einfach nehmen. Das wäre noch leichter, wenn die Berufsorganisationen, die Pharmazieräte und sorry, auch die Fach-Publikationen, hier einmal selbstbewusst und unverzagt für die unmissverständlich eindeutige Interpretation der Rechtslage im Sinne des Kollegen Schenkel einträten.

Was, wenn nicht DAS, sollen/können/müssen denn diese Organisationen sonst konkret und unverzüglich, wenn es notwendig ist, für uns öffentliche Apotheker und für den "Patienten, der im Mittelpunkt steht", tun? Wäre das allumfassende Apothekers-Motto denn wirklich "Bloß keine Flucht ins Konkrete?"

Mittelfristig müssten selbstverständlich auch einmal bessere gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, dass wir zu der früheren quasi Notariats-Funktion zurückkehren können. Die wir inne hatten, als ich in den 80ern in der Apotheke zu praktizieren begann. "Lt. telef. Rückspr. mit dem Arzt 100 Novodigal statt 50 Novalgin abgegeben" brauchte da keine erneute Arzt-Unterschrift, um Regress-sicher zu sein. Das war dann eben so. Aber vielleicht wurde das auch nur von meinem damals schon 73-jährigen Chef so praktiziert, weil er die Apothekerei zu noch viel besseren Zeiten irgendwann zwischen den Weltkriegen gelernt hatte ..........

unnötige Bürokratie vrs. massiver Verantwortung

von Heiko Barz am 18.04.2017 um 12:51 Uhr

Dieser Vorgang, wie viele andere auch, ist die Bankrotterklärung an unsere tägliche Praxis. Logische Zusammenhänge sind dabei ja nicht erkennbar.
"Umständlich" ist da wohl ist eine zarte Umschreibung dieses unnötigen Schwachsinns.
Wem nützt nun dieses Theater? Oder wo sind die Fallstricke, die dann irgendwie erneut Regresse hervorrufen?

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