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Der AOK-Boss Martin Litsch hält so gar nichts von unseren Apotheken: Er möchte den Apothekenmarkt umkrempeln, aber richtig: Ketten, Wettbewerb, Direktverträge mit Versandapos, vor allem mit denen aus Holland. Ob seine Versicherten das wollen? Die hat er nicht gefragt. Die Union will’s nicht, die steht zum Rx-Versandverbot. Und das steht im Wahlprogramm. Ist zwar noch kein Gesetz. Aber wir arbeiten dran, sagt die ABDA. Auch an den Lieferengpässen. Und schaut per Webcam beim Häuschen-Bauen zu.
3. Juli 2015
Sie ist wild entschlossen, Wort zu halten und das Vorhaben
durchzuziehen: Die Union hat das Rx-Versandverbot in ihr Wahlprogramm
geschrieben: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. In diesem
Deutschland soll die Versorgung durch ein ortsnahes Apothekenangebot gesichert
werden, „indem wir den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen
Arzneimitteln verbieten“. Mein liebes Tagebuch, so ist’s recht. Nur, mit einem
Bekenntnis ist noch lange nichts umgesetzt. Jetzt gibt es noch die eine oder
andere kleine Hürde zu nehmen: Die Union muss mit (starker) Mehrheit gewählt
werden, vermutlich wird sie koalieren müssen – mit der SPD und/oder FDP? Aber die
SPD will Rx-Versand, die FDP auch – wie kann man denn die beiden von einem
Rx-Versandverbot überzeugen. Oder lässt sich irgendein Deal machen? Dann die
spannende Frage: Wird Gröhe noch einmal Bundesgesundheitsminister? Oder kommt gar
Jens Spahn? Oder beansprucht dieses Amt gar die SPD oder FDP? Fragen über
Fragen. Also, unser Einsatz fürs Rx-Versandverbot muss weitergehen, wir haben
es noch lange nicht, aber es ist die einzige große Chance.
4. Juli 2017
Der GKV-Spitzenverband hat die Richtung vorgegeben. Da ist
es kein Wunder, wenn sie der AOK-Bundesverband übernimmt und noch eins
drauflegt: AOK-Chef Martin Litsch will den Apothekenmarkt umkrempeln. Aber so
richtig. Die Zeit der Fugger ist vorbei, schwafelt er plakativ, ohne wohl zu
wissen, wie der Apothekenmarkt im Mittelalter damals wirklich ausgesehen hat.
Ist ihm wohl auch letztlich egal, Hauptsache weg mit Fremd- und Mehrbesitzverbot.
Aber was soll da so viel besser sein, wenn Konzerne viele Apotheken besitzen
dürfen? So genau scheint er es selbst nicht zu wissen. Denn er sagt, er wisse
nicht, ob die Aufhebung des Fremdbesitzverbotes etwas mit Fremdkapital zu tun
habe. Ja, geht’s noch mein liebes Tagebuch? Nichts Genaues weiß er nicht, aber
er tanzt um das Goldene Kalb des Wettbewerbs, wirft sich vor den ausländischen
Versendern in den Staub und hechelt nach Direktverträgen mit den
niederländischen Versandapotheken. Sein Credo: Weg mit mittelalterlichen
Apothekenregulierungen, her mit Apothekenketten, mehr Wettbewerb, Versandhandel
und Direktverträgen – das ist die schöne neue Welt, wie sie sich der AOK-Boss
wünscht. Ob das auch seine Versicherten
möchten, fragt er erst gar nicht. Mein liebes Tagebuch, was bilden sich die
Kassen da eigentlich ein? Es wird Zeit, dass das Ministerium mal die Schranken
aufzeigt.
5. Juli 2017
Aus der ABDA-Klangwolke, der Soundcloud gefischt: ein O-Ton des ABDA-Präsidenten, in dem er sich darüber freut, dass die CDU/CSU das Rx-Versandverbot in ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Er lobt die Verlässlichkeit und das Interesse an der flächendeckenden Versorgung. Und er sieht gute Chancen, dass das Rx-Versandverbot in der nächsten Legislaturperiode schnell umgesetzt wird. Mein liebes Tagebuch, das Prinzip Hoffnung ist immer gut. Muss der Präsident auch ausstrahlen. Aber insgeheim wird natürlich auch ein ABDA-Präsident wissen, dass es da noch die eine oder andere Barriere gibt. Und, nur so nebenbei bemerkt, wenn das ein O-Ton sein soll, der sich nicht nur an Insider, sondern auch an den Bürger wendet, dann sollte er vielleicht das sperrige Wort „Rx-Versandverbot“ vermeiden. Damit können nur die wenigsten etwas anfangen. Rx –das klingt nach nix.
Wie empfinden eigentlich unsere ABDA-Funktionäre das
Machtgehabe des AOK-Bundesverbands? DAZ.online hat einige gefragt.
ABDA-Präsident Schmidt sieht darin ein völliges Unverständnis für die tägliche
Arbeit der Apothekerinnen und Apotheker als heil- und freiberufliche
Leistungserbringer. „Wer ausländische Versandhändler fördern und das deutsche
Fremdbesitzverbot abschaffen will, stellt die flächendeckende Arzneimittelversorgung
seiner eigenen Versicherten zur Disposition“, sagt Schmidt. Auch Hans-Peter
Hubmann, Chef des Bayerischen Apothekerverbands, kann den Forderungskatalog des
AOK-Bundesverbands nicht nachvollziehen. Eine riesige Gefahr für die Apotheker
vor Ort sieht er in Selektivverträgen zwischen ausländischen Versendern und den
Krankenkassen. Ob die AOK-Mitgliedskassen auf Landesebene die Forderungen des
AOK-Bundesverbands unterstützen? In Bayern jedenfalls hört man andere Meinungen
dazu, sagt Hubmann. Eher gelassen sieht es Peter Froese, Apothekerverband
Schleswig-Holstein: Die AOK-Forderung nach Ketten sei ein Griff in die
Mottenkiste, keine neue Idee. Froese fragt sich, was dabei herauskommen soll,
wenn es Ketten gibt, denn im GKV-System laufen doch schon fast alle Preisregulierungsmaßnahmen
zugunsten der Kassen. Auch er bestätigt, dass die Apotheker von den Kassen auf
Landesebene schon mal Wertschätzung bekommen, sie wüssten, welche Rolle die
Apotheken für die flächendeckende Versorgung spielen. Der Präsident der Kammer
Nordrhein, Lutz Engelen, sieht hinter den Kassenforderungen das
gesellschaftliche Problem des Werteverfalls: Jeder denkt immer mehr an sich.
Und er zitiert Wolfgang Bosbach: „Den Wert eines Systems erkennt man erst dann,
wenn es dieses System nicht mehr gibt.“ Stimmt alles, mein liebes Tagebuch, was
unsere Funktionäre da sagen. Aber warum geben sie dem AOK-Gutsherren nicht mal
öffentlich ein Kontra? Da bleibt dann nur noch die Frage offen: Was reitet
einen AOK-Boss, ein hervorragendes System zerschlagen zu wollen? Böse, böse.
Ist wohl eine Mischung aus Allmachtsphantasien und Allüren nach Gutsherrenart. Und
er scheint dem Zeitgeist verfallen oder auf den Leim gegangen, der Wettbewerb
über alles stellt.
6. Juli 2017
Der Eindruck war tatsächlich entstanden: In Baden-Württemberg hat sich nur der Landesapothekerverband, nicht die Kammer dafür eingesetzt, dass der Stecker beim Hüffenhardter Automaten gezogen wird. Von der Kammer hörte man in der heißen Phase herzlich wenig. Aber für die Kammer wäre es juristisch schwer gewesen, sagte Kammerpräsident Günther Hanke, gegen DocMorris vorzugehen, da die Kammer keine Marktbeteiligte ist – und das wäre die Voraussetzung, um wettbewerbsrechtliche Schritte dagegen einzuleiten. „Die Bude ist dicht, das ist das Wichtigste“, meinte Baden-Württembergs Kammerpräsident auf der Vertreterversammlung. Kann man so sehen, mein liebes Tagebuch, aber auch wenn man kein unmittelbarer Marktbeteiligter ist, kann man doch auch seine Meinung zu einer Provokation wie dem Arzneiautomaten mal laut und deutlich kundtun. Seltsam war ja auch, dass damals von Seiten der ABDA kein Aufschrei aus Berlin kam, als DocMorris seine Bude eröffnete. Aber, mein liebes Tagebuch, die Kammer war ja nicht untätig, wie man erfahren durfte, sie habe sich im Hintergrund auf intensive Gespräche mit dem zuständigen Sozialministerium in Ba-Wü konzentriert. Der Grüne Manfred Lucha habe sich denn auch gegen den Automaten ausgesprochen, wollte aber nichts dagegen machen wg. Respekt vor richterlicher Unabhängigkeit. Und bitter ist, mein liebes Tagebuch, dass andere baden-württembergische Landespolitiker dem Automaten gar offen gegenüberstehen, wie beispielsweise der baden-württembergische Digitalisierungsminister Thomas Strobl, von Amts wegen wohl eh ein Digitalisierungsjünger. Mein liebes Tagebuch, da mag man gar nicht weiter darüber nachdenken, was er als Schwiegersohn des Finanzministers Schäuble in diese Richtung für Einflüsse haben könnte. Also, die eiserne Hand gegen Automaten ist auf der landespolitischen Ebene in Ba-Wü leider nicht zu erkennen. Insofern können wir wirklich froh sein, dass die Hüffenhardter Bude erstmal dicht ist. Aber Hanke deutete es an: Da es bei DocMorris als einem „Fremdkapital-finanzierten Sozialschmarotzer“ nicht wirklich um die flächendeckende Versorgung „oder irgendwelche Wohltaten“ geht, kann man davon ausgehen: „DocMorris macht weiter.“
80 Prozent der in Deutschland verwendeten Wirkstoffe kommen
entweder aus China oder aus Indien – davon geht Hermann Kortland, der
stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der
Arzneimittelhersteller (BAH) aus. Mein liebes Tagebuch, so weit sind wir schon:
80 Prozent! Da wundert es nicht, wenn es immer wieder zu Produktionsausfällen
und -engpässen kommt. Vor diesem Hintergrund ist es für Kortland „völlig
unrealistisch“, zu glauben, man könne die Produktion in signifikantem Ausmaß
wieder nach Deutschland oder Europa zurückholen. Lieferengpässe führt Kortland
auf mehrere Gründe zurück: auf eine steigende globale Nachfrage, zunehmende
Komplexität der Arzneimittel, den Preis- und Rabattdruck, immer mehr
regulatorische Anforderungen und die fehlende Planbarkeit einer
bedarfsgerechten Produktion. Aber wie geht man nun damit um? Als Gegenmaßnahme
könnte sich Kortland z. B. die Abschaffung von exklusiven Rabattverträgen
vorstellen. Einen Ansatz für ein Engpass-Management sieht er auch im Jour fixe von
Herstellern, Großhändler und den Fachkreisen, die sich darüber austauschen. Ein
weiterer Ansatz gegen Lieferengpässe liegt in der eingeführten Verpflichtung
für die Hersteller, die Krankenhäuser über Lieferengpässe zu informieren. Schön
und gut, mein liebes Tagebuch, aber da steht die Frage aus der Praxis im Raum: Was
nützt eine Meldepflicht von drohenden oder bestehenden Lieferengpässen, wenn
man keine Alternativen hat? Es ist und bleibt ein Dilemma. Immerhin scheint das
Thema nun endlich auch bei der ABDA präsenter zu sein und sie wagt, mit
Pressemitteilungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ende Juni forderte der
Deutsche Apothekerverband eine höhere Transparenz in der Lieferkette, damit aus
Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden. Anlass dafür war eine
Untersuchung der Arzneimittelkommission, dass Lieferengpässe auch lebenswichtige
Antibiotika betreffen. Was die Untersuchung auch zeigt: Von rund 500 der
befragten Apotheken erlebten in den vergangenen drei Monaten mehr als 20 Prozent
öfter als 15 Mal Arzneimittelengpässe, die gesundheitliche Folgen für Patienten
hatten oder gehabt haben könnten. Das sind nicht wenige, mein liebes Tagebuch.
Und eigentlich ist jeder Engpass einer zu viel. Und die Perspektive? Mit dem
Mangel leben lernen? Das gab’s schon mal so oder ähnlich…
7. Juli 2017
Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Wir bauen! Ja, also, nicht wir, sondern die ABDA. Nachdem sie ihr Kleinhäuschen in der Jägerstraße zu einem Geheimpreis (irgendwann kommt alles raus) verkauft hat, wird nun mit Volldampf am Neubau in der Heidestraße in Hauptbahnhofsnähe gearbeitet. Da soll, so ABDA-Vize Arnold, alles nach Plan laufen. Allerdings sieht man auf dem Baugrundstück noch nicht viel: Mein liebes Tagebuch, wie du siehst, siehst du nichts. Soll sich aber bald ändern. Und damit wir nachverfolgen können, wo’s Geld versickert, soll man per Webcam den Baufortschritt verfolgen können. Ui, ui, wie nett von uns’ ABDA, uns teilhaben zu lassen. Klar, da schauen wir jede Woche zu, wie’s neue Häusle wächst. Und wenn alles gut geht, sollen schon im März 2019 die Geschäftsstellen von ABDA, Bundesapothekerkammer und Deutschem Apothekerverband ein neues Zuhause haben. Ach Kinners, hoffentlich gibt’s dann noch Apotheken...
4 Kommentare
Freiberufler-Vernichtungswahn der GKVen/Lieferengpässe
von Wolfgang Müller am 09.07.2017 um 18:27 Uhr
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Tagebuch
von Heiko Barz am 09.07.2017 um 16:46 Uhr
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Abstinenz
von Reinhard Rodiger am 09.07.2017 um 11:47 Uhr
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Dünn
von Ulrich Ströh am 09.07.2017 um 8:53 Uhr
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