Kommentar

Partei first, Deutschland second

Berlin - 21.11.2017, 07:00 Uhr

Sehr viel spricht dafür, dass der FDP-Exit von Christian Lindner auf parteistrategische Überlegungen zurückging, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer in seinem Kommentar. (Foto: dpa)

Sehr viel spricht dafür, dass der FDP-Exit von Christian Lindner auf parteistrategische Überlegungen zurückging, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer in seinem Kommentar. (Foto: dpa)


Die FDP hat dem Land und sich selbst mit ihrem Verhalten in den Sondierungsgesprächen ein Eigentor geschossen. Der Apothekenmarkt ist ein (kleines) Beispiel dafür, dass Deutschland sich keine parteistrategischen Manöver leisten kann – erst recht nicht, wenn es nur zwei politisch denkbare Koalitionsmöglichkeiten gibt. Der letzte Verhandlungsstand und die Umstände des FDP-Exits sprechen dafür, dass die Liberalen das eigene Parteiwohl vor die Regierungsbildung gestellt haben.

Die FDP hat Deutschland in eine politische Krise gestürzt. Eine Partei, die gerade erst mit etwas mehr als 10 Prozent der Wählerstimmen erneut ins Parlament eingezogen ist, und noch vor wenigen Jahren vor dem Total-Zusammenbruch stand, sorgt nun dafür, dass sich Deutschlands politische Führungsriege erstmals nach dem zweiten Weltkrieg ernsthaft fragen muss: Wie geht es weiter? Natürlich muss es möglich sein, dass eine Partei in Sondierungsgesprächen an einen Punkt kommt, an dem sie feststellt, dass eine mögliche Koalition nicht denkbar wäre. Das ermöglicht unser Grundgesetz und ist somit Teil unserer Demokratie. Schaut man sich die genauen Umstände der FDP-Absage an Jamaika an, kann man jedoch nur zu dem Schluss kommen, dass die FDP die Koalition vorwiegend aus strategischen Gründen hat scheitern lassen.

Da wären zunächst die Gründe für das Verlassen der Sondierungsgespräche, die Parteichef Christian Lindner noch in der vergangenen Nacht nannte. Es sei besser gar nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Es habe noch zu viele eckige Klammern, also Baustellen gegeben. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Lösungsfindung wären also nicht möglich gewesen. Und: Es habe keine gemeinsame Idee fürs Regieren gegeben.

Die FDP mag vielleicht vier Jahre lang keine Bundespolitik betrieben haben. Sie ist aber mit so vielen erfahrenen Politikern besetzt, dass klar sein sollte, wie Politik funktioniert. Denn: Bei einer Koalitionsbildung müssen Kompromisse gebildet werden. Für keinen der Verhandlungspartner gibt es daher ein 100-prozentiges „richtig regieren“. Solange alle Parteien sich zumindest in Teilen des Koalitionsvertrags wiederfinden, gibt es also auch kein 100-prozentiges falsch regieren. Und dass sich die FDP im letzten Stand der Sondierungsgespräche nicht wiederfinden konnte, verwundert. 



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

A la minute...

von Andreas P. Schenkel am 21.11.2017 um 21:57 Uhr

... mit "Minute" im (ursprünglichen) Sinne von "die Verminderte": Eine Schwarz geführte Minderheitsregierung mit kleinerem Partner (gelb oder grün) sowie mit der SPD als Option statt Opposition. Was zunächst verwegen aussieht und sich auch so anhört, ergibt einigermaßen Sinn. Denn die SPD könnte so vermutlich mehr sozialen Ausgleich in die Politik einbringen und durchsetzen als bisher. Jedenfalls mehr, als sie es, eingebunden in die Kabinettsdisziplin, in der Groko konnte.

Die Option CDU-FDP ist allerdings unwahrscheinlicher geworden durch die klaren Trennungsworte von Lindner, sodass eine Schwarz-grün-Minderheitsregierung mit SPD-Toleranz etwas wahrscheinlicher sein könnte. Die beiden Parteichefs der BaWü-Landesregierung sind heute in diesem Sinne fast schon werbend aufgetreten.

Die SPD könnte sich in diesem Arrangement erneuern und zugleich opponieren, wenn sie etwas nicht mittragen will. Ob die FDP eine Minderheitsregierung im Einzelfall stützen wird? Es hätte für die Regierungsweise von Frau Merkel einige Vorteile, einen Koalitionär und mehrere potentielle Komplementäre für eine Mehrheit im Bundestag zu haben. Ich denke nicht, dass wir instabile politische Verhältnisse bekommen werden, eher werden teilweise einige wichtige Dinge durchgesetzt werden können, die schon Jahre oder teilweise Jahrzehnte ihrer Umsetzung harren. Regieren first, Opponieren second.

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Lindner als one man show again

von Ratatosk am 21.11.2017 um 18:45 Uhr

Es ist schon selten dilettantisch, wenn man die Verschiedenheit der Parteien jetzt für den plötzlichen Rückzug angibt. Daß die Beteiligten sehr unterschiedlich sind hat jeder vorher gewußt, oder nur die FDP nicht ?
Wie soll man solch eine schlechte Kenntnisslage eigentlich werten ? Die Sorge zerquetscht zu werden ist lächerlich, da die FDP immer schon Juniorpartner waren.
Für kleine und mittlere Unternehmen und Selbständige ist das Verschwinden der FDP gut, da diese richtig nur aufs Großkapital setzen.

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Mich schaudert es beim Einheitsbrei, der da serviert werden sollte

von Andreas Grünebaum am 21.11.2017 um 17:18 Uhr

Umbeschränkter Familienzuzug für subsidiär Schutzbedürftigen - ein Hauptanliegen der Grünen und eine rote Linie. Weitestgehendes Zugehen auf die Grünen mit ihren wahnwitzigen Forderungen nach Abschaltung der Kohlekraftwerke in Deutschland (Anmerkung Deutschland ingesamt 700 Mio Tonnen CO2 und China 11 Milliarden Tonnen p.a.!). Gegenrechnen der ohnehin längst fälligen Abschaffung des Solis gegen weitreichende soziale Wohltaten von Seiten der CDU/CSU und Grünen. Die Verhandlungen garniert mit andauernden Indiskretionen der Grünen bis hin zu dem Interview von Trittin ausgerechnet in der BILD Zeitung.
Vielen Dank, aber das war den meisten mir bekannten FDP Wählern längst schon zu viel des Guten. Ich bitte auch mal um Verständnis: es wird doch auch keiner ein Bündnis zwischen SPD, Linke, Grünen und AfD fordern, nur weil die eine Mehrheit zusammenbringen könnten.

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