Kommentar

Leider falsch

Berlin - 09.02.2018, 17:30 Uhr

In den Medien wird die Debatte um das Rx-Versandverbot leider zunehmend mit Falschargumenten geführt, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer. (Foto: Imago)

In den Medien wird die Debatte um das Rx-Versandverbot leider zunehmend mit Falschargumenten geführt, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer. (Foto: Imago)


Die medialen Reaktionen auf das Rx-Versandverbot im Koalitionsvertrag haben eine klare Tendenz: Die Politik sei vor der Apothekerlobby eingeknickt und mache im Zeitalter der Digitalisierung einen Schritt zurück. Man kann bei diesem Thema in der Tat zweierlei Meinung sein. Schade ist aber, dass die Gegner des Rx-Versandverbotes viele Falschargumente ins Feld führen, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.

Am heftigsten reagierten einige Schweizer Medien auf das Rx-Versandverbot im Koalitionsvertrag. Insbesondere die Wirtschaftsmedien kritisieren, dass ein Schweizer Unternehmen und auch die Patienten zugunsten der Apothekerlobby unnötig benachteiligt würden. In einem Kommentar in der Schweizer Handelszeitung heißt es mit Blick auf Zur Rose-Chef Walter Oberhänsli kämpferisch: „Kaum hat er die deutsche Apotheker-Lobby nach jahrelangem juristischen Streit vor dem Europäischen Gerichtshof niedergerungen und die Preisbindung für rezeptpflichtige Präparate gekippt – das war im Herbst 2016 –, beginnt der Kampf gegen die stärkste Berufslobby Europas von neuem.“

Oberhänsli sei der „Don Quijote des Pillenversandes“ geworden, sein Engagement sei ihm „hoch anzurechnen“, heißt es dort schwärmerisch. Wie die Schweizer Wirtschaftsbranche zu Zur Rose steht, zeigt auch die Aussage, dass der Konzern zu einem „europäischen Champion“ hätte werden können, der sich Amazon entgegenstellen könnte. Aber auch hier zeigt sich, dass die Versand-Befürworter ihre inhaltlichen Hausaufgaben nicht gemacht haben. Denn die Aussage, dass der Rx-Versand den „volkswirtschaftlichen Nutzen einer kostengünstigen Arzneimittelversorgung“ habe, ist schlichtweg falsch. Den einzigen wirtschaftlichen Nutzen haben die Boni-Patienten selbst, die Solidargemeinschaft profitiert im Moment rein gar nicht. Und auch die Aussage, dass es Zur Rose um das Wohl der Patienten gehe, die mit „immergleichen Medikamenten“ beliefert würden, ist mit Blick auf Rabattvertrags-Wechsel fraglich.

Die Schweiz hat selbst extrem strenge Versandregeln

Dass nun gerade aus der Schweiz so harsche Kritik an den Regelungen im deutschen Arzneimittelmarkt kommt, verwundert etwas. Denn es ist die Schweiz, die beim OTC-Versand eines der strengsten Gesetze in Europa hat. Trotzdem lautet das Fazit des Schweizer Kommentatoren: „Oberhänsli wird es ihnen zeigen.“ Denn die Digitalisierung lasse sich nicht durch „politisch erzwungene“ Verbote aufhalten, was auch fehlerhaft ist. Denn wer hat die derzeitige Lage denn verursacht? Sicherlich nicht die deutsche Politik oder die Apothekerlobby, sondern die Boni-Politik der EU-Versender und ein Gerichtsurteil.

Hierzulande hat das Thema unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung aufgegriffen. In einem Leitartikel kritisiert FAZ-Gesundheitsexperte Andreas Mihm, dass der Staatseinfluss im Gesundheitswesen anwachse und eine leitende Idee in der Gesundheitspolitik fehle. In dem Beitrag mit dem Titel „Staat vor Privat im Gesundheitssystem“ heißt es, dass insbesondere die SPD privatwirtschaftliche Elemente „ausmerzen“ wolle. Und: „Die Union macht mit.“ Mal ganz davon abgesehen, dass das für das Rx-Versandverbot nicht gilt, weil die Verhältnisse hier umgekehrt waren, schreibt Mihm zum Apothekenmarkt:  „Dass Tarifabschlüsse der Kliniken zudem künftig voll durch die Kassen refinanziert werden, passt ebenso in die Reihe ordnungspolitischer schwarz-roter Ungeheuerlichkeiten wie das Verbot des europarechtlichen gebotenen Versandhandels von rezeptpflichtigen Pillen.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Ikarus Oberhänsli

von Andreas P. Schenkel am 09.02.2018 um 20:08 Uhr

Herr Oberhänsli hat seine Fortune überreizt. Nach einem Jahrzehnt legalem Arzneiversand hatten sich die Marktanbieter mit der Situation einigermaßen arrangiert im Sinne einer Koexistenz. Nun aber schwang ein EuGH-Urteil, dessen Ergebnis maßgeblich durch Oberhänsli initiiert und vorangetrieben wurde, die Abrissbirne an einem gesundheits- und staats-politisch wichtigen Grundbaustein. Zudem urteilte der EuGH in Überschreitung seiner EU-vertraglich eingegrenzten Urteilskompetenz, was sich der deutsche Gesetzgeber zu Recht nicht bieten lassen durfte.
Oberhänsli in der jetzigen Situation erinnert schon ein wenig an Don Quijote, geschuldet der Vergeblichkeit seiner Bemühungen. Eher aber gemahnt er an den antiken Ikarus, der auch nicht wusste, wann Schluß ist und sich nochmal in luftigere Höhen schwingen wollte.

Und außerordentlich schade ist, dass diverse Handelsblätter sich noch immer nicht die Mühe machen wollen, in diesem Themenkomplex korrekte Recherche zu leisten, was ja eigentlich deren journalistische Kernkompetenz gewesen wäre.

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