Die Brennnessel ist eine der bekanntesten Wildpflanzen – allerdings auch eine der unbeliebtesten. Hoch im Kurs steht Urtica dioica dagegen als Heilpflanze. Kraut- und Blattdroge dieses „Unkrauts“ wirken diuretisch und antiphlogistisch. Von der Wurzeldroge können Männer mit Prostatavergrößerung profitieren.
Hautnahe Begegnung
Wohl jeder dürfte im Garten oder am Waldrand schon unangenehme Begegnungen mit der Brennnessel gehabt haben. Die grob gesägten, spitz eiförmigen Blätter wie auch die vierkantige Sprossachse dieses Nesselgewächses (Urticaceae) sind mit zahlreichen Brennhaaren besetzt. Jedes Brennhaar endet oben mit einem kleinen Köpfchen, das schon bei der leichtesten Berührung abbricht. Mit der scharfkantigen Abbruchstelle bohrt sich das Brennhaar in die menschliche Haut und injiziert – wie mit einer Kanüle – den unter hohem Druck stehenden Zellsaft. Dieser enthält unter anderem Ameisensäure, Acetylcholin und Histamine und sorgt damit für den brennenden Schmerz und die typischen Quaddeln. Als Erste-Hilfe-Hausmittel dagegen gilt übrigens Seifenwasser oder Apfelessig.
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Die Große und die Kleine
Eine wohltuende Wirkung kann die Brennnessel dagegen bei therapeutischer Anwendung entfalten. Schon dem griechischen Arzt Dioskurides waren im ersten nachchristlichen Jahrhundert die harntreibenden und antirheumatischen Eigenschaften der Brennnessel bekannt. Verwendet wird überwiegend die bis zu eineinhalb Meter hohe Große Brennnessel (Urtica dioica), gelegentlich auch die niedrigwüchsigere Kleine Brennnessel (Urtica urens). Letztere besitzt eiförmigere Blätter als ihre große Verwandte. Außerdem ist sie einhäusig. Dagegen gibt es bei Urtica dioica – dem Artnamen dioica (= diözisch, zweihäusig) entsprechend – sowohl weibliche als auch männliche Pflanzen.
Unterstützend bei rheumatischen Beschwerden
Die Wirkungen von Brennnesselblatt- und -krautdroge (Urticae folium, Urticae herba) sind einem breiten Inhaltsstoffspektrum zuzuschreiben. Zu den relevanten Substanzen zählen insbesondere Kaffeesäureester wie die seltene Caffeoyläpfelsäure, Flavonoide, ungesättigte Fettsäuren, Gerbstoffe, Kieselsäure und Mineralsalze. Für Brennnesselkrautzubereitungen wurden hemmende Wirkungen auf die Cyclooxygenase und die 5-Lipoxygenase beschrieben. Durch diese Enzyminhibition kann die Synthese schmerz- und entzündungsfördernder Prostaglandine und Leukotriene verringert werden. Darüber hinaus unterdrückt Brennnesselkraut offenbar die Freisetzung weiterer proinflammatorischer Mediatoren wie Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α) und Interleukin-1β. Urticae herba/folium ist daher zur unterstützenden Behandlung rheumatischer Beschwerden indiziert. Dies gilt gemäß Kommission E und auch gemäß der Dachorganisation nationaler Phytotherapiegesellschaften ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy). Das Phytotherapiekomitee der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – das HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) – erkennt die Droge lediglich als traditionell zu verwendendes Arzneimittel an und nennt als Einsatzgebiet: leichte Gliederschmerzen. Extraktpräparate aus Brennnesselblättern (z.B. Hox alpha®, Rheuma-Hek®) können kombiniert werden mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Deren Dosis lässt sich dann häufig reduzieren.
Zur Durchspülung der unteren Harnwege
Brennnesselkraut- und -blätter haben auch eine aquaretische Wirkung. Diese wird unter anderem dem hohen Gehalt an Mineralstoffen zugeschrieben. Die Droge hat deshalb ein zweites Einsatzgebiet: zur Durchspülung bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege (gemäß Kommission E und ESCOP) bzw. traditionell zur Durchspülung bei leichten Harnwegsbeschwerden (gemäß HMPC). Darreichungsformen von Brennnesselkraut und -blättern sind vor allem Extraktpräparate (z.B. Natulind®) und Teezubereitungen. Für eine Tasse Tee werden circa 1,5 g fein geschnittenes Kraut mit kochendem Wasser übergossen und nach 10 min abgeseiht. Zur Diurese trinkt man mehrmals täglich eine Tasse (mittlere Tagesdosis 8–10 g Droge). Brennnesselblätter-Fertigteepräparate gibt es zum Beispiel von H&S®, Salus® und Sidroga®.
Wurzeldroge hilft der Prostata
Bei Gartenbesitzern ist die Brennnessel nicht nur wegen ihres nesselnden Krauts verhasst. Auch ihre unterirdischen Teile bereiten Verdruss. Das weitverzweigte Rhizom mit den vielen dünnen Wurzeln lässt sich nur schwer aus dem Boden entfernen. Phytotherapeutisch sind diese Organe jedoch von großem Nutzen. Urticae radix ist bei Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie (BPH) indiziert (gemäß Kommission E und ESCOP). Das HMPC formuliert ähnlich: Linderung von Beschwerden der ableitenden Harnwege im Zusammenhang mit benigner Prostatahyperplasie. Dies gilt laut HMPC für den traditionellen Gebrauch.
Testosteron ausgebremst
Als wirksamkeitsrelevante Inhaltsstoffe der Wurzeldroge gelten insbesondere spezifische Lektine (UDA = Urtica dioica Agglutinine), darüber hinaus Polysaccharide, Phytosterole (vor allem β-Sitosterin), Cumarine und Lignane. Ein entscheidender Wirkmechanismus scheint die Interaktion mit einem wichtigen Transportprotein zu sein – dem Sexualhormon-bindenden Globulin (SHBG). Dadurch ist die Bindungsfähigkeit von Dihydrotestosteron vermindert und das Hormon wird in seiner wachstumsfördernden Wirkung auf die Prostata gebremst. Außerdem wurde eine hemmende Wirkung auf das Enzym 5-α-Reduktase festgestellt. Dadurch ist bereits die Synthese von Dihydrotestosteron eingeschränkt. Zu den weiteren pharmakologischen Wirkungen der Brennnesselwurzel zählen eine Hemmung von epidermalen Wachstumsfaktoren sowie eine Entzündungshemmung aufgrund immunstimulierender Effekte.
Symptomlinderung ohne Wachstumsbeeinflussung
Man geht davon aus, dass der therapeutische Effekt der Wurzeldroge vor allem auf einer entstauenden Wirkung mit nachfolgender Symptomverbesserung beruht und nicht auf einer Verkleinerung des Prostatavolumens. Die Droge eignet sich gut zur Langzeitbehandlung. Extraktpräparate stehen hierbei im Vordergrund (z.B. Natuprosta®, Prostaforton® uno, Urol® pros, kombiniert mit Sabal-Dickextrakt: Prostagutt® forte).
Gewinn für Küche und Natur
Traditionell dient die Brennnessel noch einem weiteren Zweck: Sie wird gerne zur Frühjahrskur eingesetzt, vor allem in Teeform oder als Frischpflanzenpresssaft. Inzwischen erlebt die mineralstoffhaltige Pflanze auch in der Küche eine kleine Renaissance. Kenner kochen die jungen Blättchen wie früher üblich als Wildgemüse oder bereiten aus ihnen eine Feinschmeckersuppe. Es lohnt sich also durchaus, dem stickstoffliebenden Kraut im Garten ein gewisses Bleiberecht einzuräumen. Damit tut man auch der Schmetterlingswelt etwas Gutes: Die Brennnessel dient den Raupen zahlreicher heimischer Falter (darunter Tagpfauenauge, Distelfalter, Admiral) als Futterquelle.
01.02.2019, 10:00 Uhr
(Foto: denio109 / stock.adobe.com)