Interview Klaus Michels (AVWL)

„Es gibt mildere Mittel als das Rx-Versandverbot“

Berlin - 09.08.2019, 17:45 Uhr

Dr. Klaus Michels geht hart ins Gericht mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz. Er fordert die Beibehaltung des Rx-Boni-Verbots im Arzneimittelgesetz und das Rx-Versandverbot als ultima ratio. (Foto: AVWL)

Dr. Klaus Michels geht hart ins Gericht mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz. Er fordert die Beibehaltung des Rx-Boni-Verbots im Arzneimittelgesetz und das Rx-Versandverbot als ultima ratio. (Foto: AVWL)


DAZ.online hat mit Dr. Klaus Michels, Chef des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, über die aktuelle politische Lage gesprochen. Michels erklärt, warum er das Apothekenstärkungsgesetz kritisiert, warum es „mildere“ Mittel als das Rx-Versandverbot gibt, warum man der Petition zum RxVV aber trotzdem zustimmen sollte und warum ihn das Auftreten von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt wundert.

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) ist einer der größten Apothekerverbände Deutschlands. In der Region gibt es rund 2000 öffentliche Haupt- und Filial-Apotheken. Der AVWL vertritt die Interessen von knapp 1500 Mitgliedern mit etwa 1900 Apotheken (Organisationsgrad ca. 95 Prozent) und ist Arbeitgeberverband der Apothekeninhaber. Der Vorsitzende Dr. Klaus Michels sieht die Reformpläne der Bundesregierung für den Apothekenmarkt schon seit einiger Zeit kritisch. Der AVWL hatte sich beispielsweise kürzlich mit anderen drei Apotheker-Organisationen in Nordrhein-Westfalen zusammengetan und ein juristisches Gutachten erarbeiten lassen, indem es um die Bedeutung der Gleichpreisigkeit für die gesamte Arzneimittelversorgung geht. Auch die ABDA betrachten Michels und sein Verband derzeit kritisch: Zum Beispiel hatte Michels kürzlich einen langen Brief an ABDA-Präsident Friedemann Schmidt geschrieben, in dem der Verbandschef forderte, dass die ABDA auf die Beibehaltung des Rx-Boni-Verbots in § 78 des Arzneimittelgesetzes beharren soll.

DAZ.online: Herr Michels, das Bundeskabinett hat den Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) beschlossen. Sie und die drei anderen NRW-Apothekerorganisationen haben das Vorhaben immer sehr kritisch gesehen. Wieso?

Dr. Klaus Michels: Der Entwurf weist einige positive, weil innovative Ansätze auf. So etwa das Makelverbot von E-Rezepten sowie die Etablierung pharmazeutischer Dienstleistungen. Ungeachtet dessen hat der Gesundheitsminister von Beginn an unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Inhalte des Kabinettsentwurfs nur als Paket verhandelbar seien. Und zu diesem gehört auch die Aufgabe der uneingeschränkten Preisbindung, die meines Erachtens große Gefahren mit sich bringt und grundlegende Fragestellungen berührt. Der Gesetzesentwurf hat darauf keine Antworten zu bieten.

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DAZ.online: ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hat kürzlich einen Brief an die Apothekerschaft geschrieben und darin den Kabinettsentwurf als in seiner Gesamtheit und bei realistischer Bewertung als inhaltlich gut bezeichnet. Diese Auffassung teilen Sie also eher nicht?

Dr. Michels: Nein, da bin ich in der Tat dezidiert anderer Auffassung. Die Gleichpreisigkeit sichert eine gerechte, solidarische und durch die medizinische Notwendigkeit bestimmte Arzneimittelversorgung. Sie ist als solches Teil unseres zu recht allseits anerkannten Gesundheitssystems. Neben zum Beispiel dem Fremd- und Mehrbesitzverbot gehört die Gleichpreisigkeit zum Fundament, auf dem die deutsche Vor-Ort-Apotheke ruht. Es sprechen viele gute Gründe dafür, sie als „nicht verhandelbar“ zu betrachten.

DAZ.online: Sie dürfen nicht vergessen, dass das Gesetz Honorarverbesserungen sowie das Makelverbot für E-Rezepte mit sich bringt. Das mindert ihre Sorgen nicht?

Dr. Michels: Strukturen zerschlagen, um kurzfristige Vorteile zu erlangen? Nein! Die Politik mag die Gleichpreisigkeit einseitig zum Verhandlungsgegenstand gemacht haben. Nur: Müssen wir uns dem ergeben? Weil wir sonst fürchten müssen, die Politik oder einzelne ihrer Vertreter könnten nicht mehr mit uns reden? Ich halte es da ganz mit dem neuen BÄK-Präsidenten Dr. Klaus Reinhardt, der in seiner Antrittsrede bezogen auf den Gesundheitsminister in etwa geäußert hat, dass der Minister ja gerne Debatten führe, weswegen er es auch aushalten müsse, dass man ihn für bestimmte Dinge kritisiere. Und selbst die Apothekerschaft hat sich anfangs ganz in diesem Sinne selbstbewusst gegenüber der Politik verhalten. Allen voran forderte damals Präsident Schmidt als Reaktion auf den EuGH ein Rx-Versand­verbot. Und zur Unterstützung der Forderung holte man sogar drei Gutachten namhafter Rechtswissenschaftler ein. Beinahe wäre daraus sogar was geworden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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10 Kommentare

Er kam in weiß und er kam leider zu spät !

von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 9:49 Uhr

Kollege Michels hat alles treffend analysiert.

Aber es bleibt, wie es ist:
Apotheker*innen sind Weltmeister in der Analyse.

Nur in der Umsetzung dieser Ideen hapert es massiv !

Herr Michels: Was setzen Sie auf der nächsten ABDA-Mitgliederversammlung in Berlin davon um ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Er kam in weiß und er kam leider zu spät !

von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 10:16 Uhr

Oder können Sie die Diskussion darüber schon auf dem nächsten Apothekertag im September in Düsseldorf anstoßen?

AW: Er kam in weiß und er kam leider zu sp

von Anita Peter am 10.08.2019 um 10:48 Uhr

Die Streichung der PB in der AMPreisV ist durch. Der Systembruch kommt. Das ist der Plan von Spahn. Abgesegnet von der ABDA.
Ein RXVV wäre rechtssicher ( sagt sogar der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ). Das ist nur nicht kompatibel mit dem gewünschten Systemwechsel.
5-10 TSD vor Ort Apos reichen Spahn. Den Rest übernimmt dankend sein Freund Max.

Jawoll !!

von Uwe Hansmann am 10.08.2019 um 9:43 Uhr

Als langjähriger Mitstreiter von Klaus Michels in der berufspolitischen "Berliner Welt" kann ich ihm an dieser Stelle nur "DANKE" sagen.
Lieber Klaus, diese schonungslose Analyse an prominenter Stelle war mehr als überfällig!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Milderer Mittelweg oder Stillstand durch Stau?

von Christian Timme am 10.08.2019 um 3:09 Uhr

Fundierte Darstellung, Analyse, Bewertung und das Aufzeigen von Lösungswegen ... dieses Interview zeigt ... er gibt noch Personen mit Potential in der Apothekerschaft. Ein Standortwechsel von Herrn Dr. Michels nach Berlin ... könnte den „aktuellen Murks-Stau“ und diese „Sommerloch-Ausflüge“ beenden ... und neue Wege ebnen ...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Hut ab!

von Pillendreherin_1978 am 09.08.2019 um 21:15 Uhr

Entgegen der beiden vorherigen Kommentare möchte ich sagen: Chapeau!

Endlich mal jemand, der das „Big Picture“ liefert und die gesamte berufspolitische Situation pointiert darlegt!

Wer hier schreibt, hier wolle jemand die Karriereleiter heraufklettern (???!!!!), der hat wohl offensichtlich nicht(!) verstanden, dass die berufspolitische Spitze hier nicht ganz ohne „Affront“ davonkommt – ganz im Gegenteil:
Zu behaupten, die Aussagen der ABDA-Spitze seien widersprüchlich, befördert den Verfasser wohl wahrscheinlich eher weniger …

Endlich wird unsere brisante Situation mal von allen Seiten beleuchtet und nicht nur irgendein Statement herausposaunt oder eine kleine Malaise erwähnt.

Wir müssen diese große Kalamität (= Störung der planmäßigen Bewirtschaftung) endlich erkennen und beenden!
Wir können nur hoffen, dass diese Stellungnahme durch den Kreis der Interessierten und durch Öffentlichkeitsarbeit bis zu den Entscheidern vordringt und dort endlich gesehen wird, dass es sich in dieser Hinsicht tatsächlich um eine „Systemfrage“ handelt!
… Nicht um eine Einschränkung freien "Waren"verkehrs, nicht um willkommene Einsparungen irgendwelcher Systeme...

- „Strukturen zerschlagen, um kurzfristige Vorteile zu erlangen?“
- „Die Gleichpreisigkeit sichert eine gerechte, solidarische und durch die medizinische Notwendigkeit bestimmte Arzneimittelversorgung. Sie ist als solches Teil unseres zu recht allseits anerkannten Gesundheitssystems.“
- „… die Bedeutung der Gleichpreisigkeit für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems“
- „… von Rabattverträgen über die Patientenzuzahlung bis hin zur Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte spielt der einheitliche Abgabepreis eine Rolle. Er ist ein zentraler Baustein im SGB V“
- „Gewährleistung eines flächendeckenden Versorgungsnetzes“
- „Nicht medizinische Notwendigkeit bestimmt dann die Versorgung, sondern der Preiswettbewerb, angefeuert durch Marktphänomene

Ja! Genau das trifft des Pudels Kern!

Würde bedeuten:
Preiskampf nach oben,
Ausnutzen von Defekten,
vorgelagerte Preisschlachten,
Zustände wie auf dem Basar,
die radikale Zerstörung des freien Berufes!

Und all das unser höchstes Gut betreffend?!
Na, dann „Gute Nacht, Marie“!

Dieser Beitrag hat es tatsächlich noch einmal (oder sogar erstmals?!?) auf den Punkt gebracht, für all diejenigen, bei denen der Groschen (immer noch) nicht gefallen ist:

"Die Systemfrage(!!!!) ist gestellt!!“:

Löscht den Flächenbrand!

Dies mit dem „milderen“ Mittel voranzutreiben?
Gar nicht so dumm!

Ergo: Wiederherstellung der Geltung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG! - Und zwar für alle, Herr Spahn: GKV- und Privatversicherte!

Den Versandhandel in Gänze zu verbieten, ist tatsächlich gar nicht zwingend notwendig, aber Arzneimittelversorgung (Arzneimittel ungleich „Ware“, liebe EU) bitte schön zu gleichen Voraussetzungen!

Dem gegenüber können wir uns wohl behaupten! (Stichwort: Notdienst, persönlicher Händedruck, Rezepturen, BtM etc.)

– Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel und bejammert uns nicht ständig selbst, diese Larmoyanz hält ja niemand aus…

Dieser Beitrag ist ein guter Aufhänger! Danke!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Hut ab

von Anita Peter am 10.08.2019 um 5:45 Uhr

Der Systemwechsel hat mit Spahn schon längst begonnen, und die ABDA hat ihn akzeptiert. Kampflos.

AW: Hut ab

von Roland Mückschel am 10.08.2019 um 11:04 Uhr

In wessen Auftrag schreiben Sie, LAV-Helau?
Sogar Herr Timme, den ich sonst oft nicht verstehe,
ist genau dieser Meinung.
Jedes Mal wenn ich von Herrn Michels lese hat er
eine um ein paar Grad gedrehte Meinung. Bald dürfte
er die Runde geschafft haben.

Milde Mittel

von Roland Mückschel am 09.08.2019 um 17:53 Uhr

Wissen Sie überhaupt was Sie genau wollen?
Also ohne die Karriereleiter nach oben?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Milde Mittel

von Landapotheker am 09.08.2019 um 18:35 Uhr

Ich will ja keinem Unrecht tun, aber ich sehe es auch so das sich jemand in Stellung bringt ;-).

soweit ich informiert bin , lässt die Politik seit Jahren die Anfragen der deutschen Gerichte zur Wiedervorlage verhungern = Politik will ums Verecken kein RxVV (jedenfalls mehrheitlich nicht).

Dazu kommt das fast alle Juristen vor dem EUGH-Urteil tiefenentspannt waren und nun Gutachten schreiben in denen Sie 100% sicher sind.

Frag zu SGBV 3 Juristen und du bekommst 4 Meinungen.
Beklagt wird sowieso jede Regelung. entweder von den Auslandsversendern oder den Inlandsversendern.

verhandelbar/ nicht verhandelbar lol

Spahn sagt ic h will 51 % an der Gematik und fertig.
Der kann usn zuhören und das macht er. Er kann in vielen Punkten auf uns zugehen, das macht er auch,
Aber er sieht wie viele Juristen ein RxVV 15 Jahre nach der Versandfreigabe nicht juristisch haltbar.

Auch der Paragraph im AMG hat keinerlei Mehrheit mehr in der Politik.

Das kann man bedauern, das finden alle auch richtig Scheisse. Aber aufs Scheitern zu hoffen und unter grün/rot/gelb oder grün/Schwarz etwas besseres zu erwarten ......mutiger Ansatz .
Was unter einem vernünftigen Minister nicht klappt und mit Spahn unmöglich ist, soll dann besser vorm EUGH vertreten werden ?!?!

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